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    chern. Ab 1913 war er in St. Petersburg Gehilfe des Abgeordneten undSekretrs der menschewistischen Fraktion in der IV. Duma M. I. Sko-

    belew und Redaktionsmitglied der von F. I. Dan geleiteten Nowaja

    rabotschaja gaseta [Neue Arbeiterzeitung]. Zu Beginn des ErstenWeltkrieges wurde Nikolajewskij nach Irkutsk verbannt.

    Nach der Februarrevolution 1917 kehrte Nikolajewskij aus der Verban-nung nach Petrograd zurck. Er wurde Mitglied der Untersuchungs-kommission des Justizministeriums zur berprfung der vom ehema-ligen Polizeidepartement eingeleiteten politischen Verfahren und nachihrer Abschaffung Mitarbeiter der Sonderkommission zur Untersu-

    chung von gesetzwidrigen Handlungen ehemaliger Minister und hoherStaatsbeamter. Als Kommissar des Gesamtrussischen Zentralexekutiv-komitees setzte er sich fr die Erhaltung des Archivs des Polizeide-

    partements ein. Aus der Arbeit in diesem Archiv ging das Buch DerFall Malinowskij hervor. Nach dem Oktoberumsturz legte Nikola-

    jewskij sein Mandat nieder und widmete sich dem Studium der sozial-politischen Geschichte Russlands.

    Mit der Einrichtung der Hauptverwaltung fr Archivwesen im Juni1918 nahm Nikolajewskij den Vorschlag D. B. Rjasanows an, Inspek-tor des Zentralarchivs zu werden. Von 1919 bis 1921 stand er auer-dem dem Moskauer Archiv zur Revolutionsgeschichte vor. 1920 wurde

    Nikolajewskij Mitglied des ZK der SDAPR (Menschewiki). Im Auf-trag seiner Partei unternahm er mehrere Inspektionsreisen nach Sibi-rien, analysierte die gesellschaftspolitische Situation vor Ort undmachte sich ein Bild vom Zustand der rtlichen Archive. Unter Rck-

    griff auf die hier aufbewahrten Dokumente entstanden 1919 Skizzenber nach Sibirien verbannte Dekabristen. Eine begonnene Studie berden Brgerkrieg in Sibirien blieb unvollendet.3 Unter anderem arbeite-te er 1917/18 und 1921 auch in der Redaktion der Zeitschrift Byloe[Vergangenheit] mit.

    Am 21. Februar 1921 wurde Nikolajewskij verhaftet und in das Mos-kauer Butyrkagefngnis verbracht. Er hatte ffentlich gegen die Nie-

    3 Gosudarstvennyj Archiv Rossiskoi Federacii, f. R-376, op. 1, d. 53, 54.

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    derschlagung des Kronstdter Aufstandes protestiert. Whrend seinerGefngnishaft erschien die von ihm verfasste Biographie des Lockspit-zels Asef.4

    Am 11. Februar 1922 traf der aus Sowjetrussland ausgewiesene Niko-lajewskij in Berlin ein. Deutschland war ein Zentrum der russischenEmigration, im Land hielten sich etwa 250 000 Flchtlinge und Ausge-

    brgerte auf. In Berlin erschienen zahlreiche russischsprachige Zeit-schriften, darunter auch das Zentralorgan der SDAPR Sozialistits-cheskij westnik [Sozialistischer Bote].

    Im Februar oder Mrz 1922 suchte Nikolajewskij den Dichter M. Gor-

    ki auf und schlug ihm vor, an der Herausgabe der Zeitschrift Letopisrevoljuzii [Chronik der Revolution] mitzuwirken. Anliegen der He-rausgeber war, die Ereignisse von Februar bis Oktober 1917 in Russ-land zu dokumentieren. Am 15. Januar 1923 erschien die einzige, von

    Nikolajewskij mit J. O. Martow herausgegebene Nummer. In Vorberei-tung dieses Zeitschriftenprojekts hatte Nikolajewskij, untersttzt vonGorki, die Publikationsrechte fr die Verffentlichung der Tagebcher,

    Briefe und Erinnerungen zahlreicher Zeitzeugen erhalten, darunter vonP. B. Axelrod, J. O. Martow, N. N. Suchanow und S. Mstislawskij. Ni-kolajewskij wirkte als Vertreter des russischen sozialdemokratischenArchivs in Berlin. Dank seiner Anstrengungen entwickelte es sich zumgrten in der russischen Emigration.

    Im Sommer 1923 verhandelte Rjasanow als Direktor des MoskauerMarx-Engels-Instituts (MEI) in Berlin mit dem Vorstand der SPD ber

    die Rechte zur Herausgabe der Werke von Marx und Engels. Ein Jahrspter wurden entsprechende Vertrge ber die Benutzung des Marx-Engels-Nachlasses fr die Herausgabe einer Marx-Engels-Gesamtaus-gabe (MEGA) mit dem neugegrndeten Frankfurter Institut fr Sozial-forschung und dem SPD-Parteivorstand abgeschlossen. Um eine konti-nuierliche Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern zugewhrleisten, wurde Nikolajewskij ab 1. Dezember 1924 als Korre-

    4 Deutsche bersetzung: Boris Nikolajewsky, Asew. Die Geschichte eines Verrats,Berlin 1932.

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    spondent des MEI angestellt. Er bernahm in den folgenden Jahrendie Koordinierung der Inventarisierungs-, Fotokopier- und Sammelt-tigkeiten von Dokumenten fr das MEI in Deutschland.5

    Der Vorstand der SPD beschloss bereits am 23. Oktober 1924, Nikola-jewskij den Zugang zu allen im SPD-Archiv bendlichen Dokumentenzu erlauben. Als wissenschaftlicher Konsultant wurde Paul Kampff-meyer hinzugezogen. Nikolajewskij arbeitete mit Adolf Braun und Ru-dolf Hilferding als Vertreter des SPD-Vorstandes zusammen. Im Frank-furter Institut fr Sozialforschung wurde ein spezielles Fotolabor ein-gerichtet. Mit der dort vorhandenen Technik konnten 400 Kopien in

    drei Stunden hergestellt werden. Drei Jahre lang pendelte Nikola-jewskij zwischen Frankfurt und Berlin hin und her, um die Archivdo-kumente persnlich zum Kopieren zu bringen.6

    Darber hinaus sah Nikolajewskij die Manuskripte von Marx und En-gels durch, sichtete Zeitungen und Zeitschriften, die Marx und Engelsin ihren Aufstzen zitierten. 1924 erhielt er von Bernstein die bei die-sem verbliebenen Teile des Engels-Nachlasses. Im persnlichen Archiv

    Bernsteins fand Nikolajewskij auch Briefe von P. B. Axelrod, G. W.Plechanow, P. B. Struwe und anderen. Im Juli 1925 bekam er vonFriedrich Adler die von Rjasanow 1921 in Wien zurckgelassenen Ma-nuskripte von Marx und Engels, darunter die Mathematischen Manu-skripte und einen Teil des Briefwechsels aus der Zeit der Internationa-len Arbeiterassoziation.7

    Weiterhin organisierte Nikolajewskij die bergabe von Nachlssen

    russischer Sozialisten nach Moskau und untersttzte Rjasanow bei derArbeit an der Ausgabe der Werke Plechanows. Er berredete Axelrod,sein Archiv von Zrich nach Berlin zu holen. Bei der Sichtung des Be-

    5 Vgl. Vjaeslav Viktorovi Krylov, D. B. Rjazanov und B. I. Nikolaevskij, in: DavidBorisovi Rjazanov und die erste MEGA, S. 50-54.6 Vgl.: Erfolgreiche Kooperation. Das Frankfurter Institut fr Sozialforschung und dasMoskauer Marx-Engels-Institut (19241928). Hrsg. von Carl-Erich Vollgraf u.a., Ham-

    burg 2000.7 Aus dem Briefwechsel Nikolaevskijs mit dem Moskauer Marx-Engels-Institut(1924/26), in: David Borisovi Rjazanov und die erste MEGA, S. 69.

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    standes entdeckte Nikolajewskij in einem von W. Sassulitsch hinterlas-senen, ungeffneten Paket deren an Marx gerichteten Brief vom 8.Mrz 1881.8 Die Dokumente aus diesem Archiv bildeten den Grund-

    stock der zweibndigen Ausgabe ber die revolutionre Bewegung inRussland von 1885 bis 1914. Die von Nikolajewskij entdeckten Doku-mente wurden in zahlreichen Zeitschriften und Bchern, zum Beispielin Katorga i ssylka [Zwangsarbeit und Verbannung], Letopisi mark-sisma [Annalen des Marxismus], im Marx-Engels-Archiv und inden Lenin-Sammelbnden publiziert.

    Trotz des Abbruchs der Kopierarbeiten 1929 seitens des SPD-Archivs

    aufgrund der politischen Bekmpfung der SPD durch die KPdSU(B)-Fhrung9, konnte Nikolajewskij seine Aufgaben als Korrespondentdes MEI in Berlin noch bis Anfang 1931 ausben; nach der VerhaftungRjasanows wurde ihm gekndigt und im Februar 1932 die sowjetischeStaatsbrgerschaft entzogen. In der folgenden Zeit schrieb Nikola-

    jewskij gemeinsam mit Otto Mnchen-Helfen eine Marx-Biographie,die 1933 erschien.

    Die Machtergreifung Hitlers stellte Nikolajewskij vor die kompli-zierte Aufgabe, das russische Archiv zu erhalten. Ihm gelang es, seineVerlegung nach Paris zu organisieren. Gemeinsam mit Kampffmeyer,Jonny Hinrichsen und Paul Neumann organisierte Nikolajewskij auchdie Rettung des SPD-Archivs vor dem Zugriff der Nationalsozialisten.Der Marx-Engels-Nachlass kam auf abenteuerlichen Wegen in einenBanksafe in Kopenhagen. 1935 zeigte das Marx-Engels-Lenin-Institutin Moskau Interesse am Marx-Engels-Archiv. Eine aus W. W. Adorats-

    kij, N. I. Bucharin, A. J. Arosew und G. A. Tichomirnow bestehendeDelegation traf in Paris ein, um ber den Kauf des Archivs zu verhan-deln. Mit Adler gehrten L. Blum, R. Hilferding und F. I. Dan zur Ver-handlungsdelegation der Sozialistischen Internationale; Nikolajewskij

    8 Vgl.: Iz archiva P. B. Akselroda [Aus dem Archiv von P. B. Akselrod]. Vyp. 1.18801892. Hrsg. von P. J. Savelev, Moskva 2006, S. 21 u. 233-242.9

    Vgl. Rolf Hecker, Erfolgreiche Kooperation. Das Frankfurter Institut fr Sozialfor-schung und das Moskauer Marx-Engels-Institut (19241928), in: Erfolgreiche Koope-ration, S. 92-111.

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    kam eine gewisse Vermittlerrolle zu. Die Verhandlungen zogen sichber Monate hin und endeten ergebnislos im April 1936.10

    Von 1936 bis 1940 war Nikolajewskij Direktor der Pariser Filiale des

    neu gegrndeten Amsterdamer Internationalen Instituts fr Sozialge-schichte (IISG). Das Archiv der russischen Sozialdemokratie in Pariswar fr die Fhrung der KPdSU(B) von auerordentlichem Interesse.Vom Volkskommissariat fr innere Angelegenheiten (NKWD) ge-schickte Vertreter versuchten, nach der Abreise von Trotzki nach Mexi-ko in den Besitz seines Archivs, das er Nikolajewskij berlassen hatte,zu gelangen. Stalin brauchte Beweise fr den bevorstehenden Schau-

    prozess gegen Rykow und Bucharin. Nach einem Einbruch zog es Ni-kolajewskij vor, seine Aufzeichnungen ber die mit Bucharin in Paris1936 gefhrten Gesprche zu vernichten.

    Am 19. Mai 1938 wurde der Vertrag ber den Verkauf des SPD-Ar-chivs an das IISG unterzeichnet; der Marx-Engels-Nachlass wurdenach Amsterdam geholt, spter, kurz vor der deutschen Besetzung der

    Niederlande, nach England gebracht.11 Nikolajewskij sollte im Auftrag

    des IISG gemeinsam mit Gustav Mayer und Hans Stein eine mehrbn-dige Dokumentenpublikation mit den Protokollen des Generalrats derIAA vorbereiten. Als Paris 1940 von deutschen Truppen besetzt wurde,fahndete eine Sonderabteilung aus dem Einsatzstab von ReichsleiterAlfred Rosenberg nach Nikolajewskij und dem Archiv. Ihm gelang es

    jedoch, einen Groteil der bei ihm verwahrten Dokumente rechtzeitigin die USA zu bringen.

    Im November 1940 traf Nikolajewskij in den USA ein. Hier begann dieletzte Etappe in der Pege, Bearbeitung und Kommentierung des Nach-lasses der russischen revolutionren Bewegung.12 Zunchst arbeitslos,

    10 Vgl.Rolf Hecker, Die Verhandlungen ber den Marx-Engels-Nachla 1935/36. Bis-her unbekannte Dokumente aus Moskauer Archiven, in: MEGA-Studien, (1995) 2, S.3-25.11 Vgl. Maria Hunink, De Papieren van de Revolutie. Het Internationaal Instituut voor

    sociale Geschiedenis 19361947, Amsterdam 1986. ber Nikolaevskij hier: S. 14/15.12 Vgl.: Stichwort Nikolaevskij von I. Rozental, in: Politieskie partii Rossii.Konec XIX pervaja tret XX veka, Moskva 1996, S. 396ff.

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    konnte Nikolajewskij dann ein Stipendium der Rockefeller Foundation bekommen, arbeitete als Konsultant der Rundfunksender Voice ofAmerica und Free Europe. An der Columbia Universitt war er Mit-

    arbeiter einer Sonderkommission zum Studium der Geschichte derUdSSR und dann bis Ende der 1950er Jahre Direktor des AmericanLabor Archives and Research Institute in New York. Er entwickelteeine vielseitige publizistische Ttigkeit in diesen Jahren.13 Einige dervon ihm gesammelten gedruckten Materialien verkaufte er 1955 an dieIndiana Universittsbibliothek. Der grte Teil seiner Sammlung wur-de 1963 vom Hoover Institution on War, Revolution, and Peace derStanford Universitt bernommen, gedruckte Einheiten gingen in die

    Universittsbibliothek. Nikolajewskij war bis zu seinem Tode er starb1966 in Menlo Park, Kalifornien Kurator dieser Sammlung. Sie um-fasst 280 Gruppen oder Series, ber die ein 1989 verffentlichter Kata-log Auskunft gibt.14

    13 Vgl. u.a.: Forced Labor in Soviet Russia (mit D. J. Dallin), London 1948, New York1965 u. 1975; Power and the Soviet Elite: The Letter of an Old Bolshevik and OtherEssays. Ed. by Janet D. Zagoria, New York u.a., 1965.14 Vgl.Anna M. Bourgina, The writings of B. I. Nicolaevsky. A selected bibliography,in: Revolution and politics in Russia. Essays in memory of B.I. Nicolaevsky, Bloom-

    ington 1972, S. 322-341; Guide tot he Boris I. Nicolaevsky Collection in the HooverInsitution. Part I. Compiled by Anna M. Bourgina and Michael Jakobson. Part II. Com-piled by Michael Jacobson, Stanford University 1989.

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    Hinw eis zum Angebot digitaler FES-Verffentlichungen im

    Internetangebot der Friedrich-Ebert-Stiftung

    Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung | 7. Oktober 2009

    Die hier vorliegende Datei (PDF) enthlt einen Einzelbeitrag aus der Monographie

    "Bew ahren - Verbreiten - Aufklren : Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen derdeutschsprachigen Arbeiterbewegung / Gnter Benser und Michael Schneider (Hrsg.)Bonn-Bad Godesberg, 2009"

    Internetadresse des Gesamtwerks: http:/ / library.fes.de/ pdf-files/adsd/ 06730/ index.html