Trawny_Heidegger_Vorlesung 2008

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    Heideggers esoterische Philosophie (Wien SS 2008)

    1. Vorlesung

    Es [das Bewutsein] vermit an der neu erscheinenden Gestalt die Ausbreitung und

    Besonderung des Inhalts; noch mehr aber vermit es die Ausbildung der Form, wodurch

    die Unterschiede mit Sicherheit bestimmt und in ihre festen Verhltnisse geordnet sind.

    Ohne diese Ausbildung entbehrt die Wissenschaft der allgemeinen Verstndlichkeit, undhat den Schein, ein esoterisches Besitztum einiger Einzelnen zu sein: - ein esoterisches

    Besitztum: denn sie ist nur erst in ihrem Begriffe oder ihr Inneres vorhanden; einiger

    Einzelnen: denn ihre unausgebreitete Erscheinung macht ihr Dasein zum Einzelnen.

    Erst was vollkommen bestimmt ist, ist zugleich exoterisch, begreiflich, und fhig, gelernt

    und das Eigentum Aller zu sein. Die verstndige Form der Wissenschaft ist der Allen

    dargebotene und fr Alle gleichgemachte Weg zu ihr, und durch den Verstand zum ver-

    nnftigen Wissen zu gelangen, ist die gerechte Foderung des Bewutseins, das zur Wis-

    senschaft hinzutritt [...]. Hegel, Vorrede zur Phnomenologie des Geistes

    Bei dem Thema Heideggers esoterische Philosophie handelt es sich eigentlich um eine

    Interpretation von Abhandlungen dieses Denkers, die so ungefhr zwischen 1935 und

    1945 entstanden sind. Im Mittelpunkt dieser Interpretation befinden sich die Beitrge

    zur Philosophie (Vom Ereignis). Sie werden gleich sehen, inwiefern ich die Behauptungaufstellen mchte, dass es bisher noch keine wirkliche Interpretation dieses Textes gege-

    ben hat, dass es also einmal an der Zeit ist, ihn zu interpretieren. Heute werde ich eine

    allgemeine Einleitung in das Problem der Vorlesung zu geben versuchen, die mit der

    seltsamen Frage nach dem Ort der Philosophie beginnt, dann zu einer knappen Betrach-

    tung der Wirkungsgeschichte von Heidegger bergeht, um zuletzt in einer Interpretation

    des ersten Satzes der Beitrge zur Philosophie, in welchem es um das Verhltnis zwi-

    schen ffentlichkeit und Philosophie geht, zu schlieen.

    Ich werde dann in der zweiten Vorlesung zu begrnden versuchen, inwiefern es berech-tigt ist, bei der Philosophie von Heidegger von einer esoterischen Wendung zu spre-

    chen. Dabei werde ich auch zeigen, inwiefern das Problem des Esoterischen eigentlich

    schon immer zur Philosophie gehrt. Diesbezglich werde ich auf drei verschiedene

    Konzepte eines esoterischen Philosophierens verweisen. Zudem werde ich den Begriff

    der Adressatenbezogenheit der Philosophie einfhren.

    In der dritten Vorlesung mchte ich mich mit der Frage nach dem Verhltnis von Philo-

    sophie und Wissenschaft beschftigen bzw. mit der Art und Weise, wie Heidegger dieseFrage fasst bzw. wie er mit ihr zu tun hat.

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    In der vierten Woche soll es dann darum gehen, dass Heidegger die Philosophie in der

    zweiten Hlfte der dreiiger Jahre als herrschaftliches Wissen bezeichnet. Dabei ist es

    wichtig, Heideggers Verstndnis der Herrschaft genauer zu erlutern.

    Daraus wird sich dann die Notwendigkeit ergeben, ber die Rolle der Sprache bzw. das

    Problem der Sprache bei Heidegger zu sprechen. In diesen Kontext gehrt ganz zent-ral die Bedeutung des Dichters Hlderlin, wie Heidegger sie in den Beitrgen fasst.

    In der sechsten Vorlesung wird es uns dann um Heideggers Politik gehen, d.h. um die

    Politik, die sich aus den Beitrgen zur Philosophie herausschlen lsst.

    In der siebenten Woche wird es mir dann um die Adressaten der Beitrge gehen. Die

    Beitrge sprechen unmittelbar zu einer Art von Gemeinschaft. Heidegger charakteri-

    siert diese Adressaten als die Zuknftigen und - das hngt dann natrlich mit der vo-

    rangehenden Vorlesung zusammen - als Volk.

    Danach wird es mir um die normative Rolle der Grundstimmung in den Beitrgen

    gehen. Heidegger nennt die wichtigste Grundstimmung Verhaltenheit.

    In der neunten Vorlesung werde ich mich dann um den sogenannten letzten Gott bei

    Heidegger kmmern. Ich wrde diese Vorlesung gern Im Innersten nennen.

    Jedem muss klar sein, dass sich dieser Aufbau noch verndern und verschieben kann.

    Das liegt mithin auch an Ihnen und Ihrer Mitarbeit. Ich halte es brigens stets so: ichlese eigentlich immer einen ziemlich durchgearbeiteten Text, wobei ich dann da und dort

    abschweife, d.h. improvisierte Kommentare gebe. Sie haben dabei stets die Mglichkeit

    mich zu unterbrechen, abgesehen von den Passagen meiner Erluterungen, an denen ich

    Sie bitten werde, die Fragen, die Sie haben werden, zurckzustellen, bis ich meine Aus-

    fhrungen beendet haben werde. Das wird aber wahrscheinlich seltener vorkommen.

    Noch eines am Anfang. Ich bin mir bewusst, dass es ein kleines Wagnis ist, ber Heide-

    ggers Philosophie zwischen 1935 und 1945 zu lesen. Das liegt auch daran, dass sich an-

    scheinend nur sogenannte Heideggerianer mit diesen Texten auskennen. Ich mchte

    mich nicht um diesen Titel oder Makel bemhen, lehne ihn auch ab. Mir geht es natr-

    lich nicht darum, Heidegger zu feiern und neue Heideggerianer hervorzubringen.

    Das tut ohnehin niemand. Ich bin der Ansicht, dass Heideggers Beitrge zur Philoso-

    phie in einer gewissen und respektablen Hinsicht intensivster Unsinn sind. Doch das

    verweist auf einphilosophisches Problem, fr welches ich mich interessiere und das ich Ih-nen zu erlutern versuchen werde. Dass es dann manchmal anscheinend esoterisch

    zugehen mag, liegt eben an diesem Problem. Wenn Sie am Ende Heidegger fr einen

    Holzkopf halten, ist das auch ein gutes Ergebnis.

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    brigens mchte ich Sie diesbezglich bitten, bereits nach dieser oder der nchsten Vor-

    lesung zu der Entscheidung zu kommen, die Vorlesung zu besuchen oder zu meiden. Ich

    halte das nur fr fair. Denn ein punktuelles Besuchen meiner Ausfhrungen wird Ihnen

    nichts bringen.

    *

    Von Anfang an stellt die Philosophie die Frage nach sich selbst. Diese Frage hat eine be-

    stimmte Tiefe und Weite, die ich hier nicht im Ganzen bercksichtigt kann. Das liegt da-

    ran, dass die philosophische Frage nach sich selbst fr gewhnlich als Selbsterkennt-

    nis bezeichnet wird. Die Selbsterkenntnis aber scheint zweierlei zu implizieren: 1.) der

    Mensch erkennt sich selbst; 2.) der Philosoph erkennt sich selbst. Diese beiden Erkennt-

    nisse sind miteinander verbunden insofern, als der Mensch, der sich fragt, wer er als

    Mensch sei, der Philosoph ist. Dennoch ist die Frage nach dem Selbst der Philosophie

    ein wenig anders gelagert. Denn hier fragt der Philosoph, welche Bedeutung die Philo-

    sophie fr den Menschen haben kann bzw. was eigentlich die Philosophie ist. Indem ich

    mich meinem Thema nhere mchte ich behaupten, dass unsere Vorlesung ber Heide-

    ggers esoterische Philosophie zunchst zur Selbsterkenntnis der Philosophie in diesem

    zweiten Sinne gehrt, dann aber zur Selbsterkenntnis in der ersten Bedeutung bergeht.

    Ich widme mich in den nchsten Wochen dieser ersten Art und Weise der Selbster-

    kenntnis.

    In diesem Zusammenhang hat die Philosophie stets die Frage nach ihrem Ortgestellt.Wo findet Philosophie statt? Wo wird sie gelehrt, erlernt, praktiziert, gelebt? Nehmen wir

    z.B. Sokrates bzw. Platon. Fr Sokrates war der entsprechende Ort seines Philosophie-

    rens eine ffentliche Sphre, und zwar die Agora, d.h. der Markt, auf dem sich die Brger

    trafen, um miteinander ber die Angelegenheiten der Polis informell zu diskutieren, o-

    der das Gymnasion, wo Sokrates mit seinen Freunden Sport trieb. Sokrates war der f-

    fentliche Philosoph, der politische Philosoph im reinsten Sinne, weil er die ffentlich-

    keit der Diskussionen suchte, ja, weil sie sein Element waren. Das, so knnten wir sagen,

    ist ihm zum Verhngnis geworden. Sokrates wurde hingerichtet, weil die Polis seine Pro-vokationen der Wahrheitssuche nicht ertrug.

    Platon hat dann vielleicht mit der Grndung der Akademie (387 vor Christus, d.h. 12

    Jahre nach der Ermordung seines Lehrers) auf diese Hinrichtung reagiert. Damit kommt

    ein anderer Ort der Philosophie ins Spiel. Die Akademie war zu Platons Zeiten eine

    Kultgenossenschaft, d.h. man opferte dort dem Apollon. Die Philosophen trafen sich ab-

    gesondert von der ffentlichkeit der Polis. Sie waren unter sich. Dadurch wurde die Ge-

    fahr einer Auseinandersetzung mit der ffentlichkeit eliminiert. Wir verstehen, welche

    Mglichkeiten in einer solchen Absonderung von der ffentlichkeit stecken. Die christ-

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    Europeum spricht er von einer sogenannten Ortung. Die Ortung ist zunchst die

    Einrichtung der Begrndung eines Ortes. Schmitt interessiert sich nun dafr, dass jede

    Begrndung eines Ortes zugleich eine spezifische Rechtslage miteinrichtet. Die Or-

    tung ist dann, wie er sagt, ein rechtsbegrndender Ur-Akt. Das wird schnell deutlich,

    wenn wir an die Grndung einer Stadt denken. Keine Stadt kann gegrndet werden oh-

    ne ein spezifisches Recht. Das gilt dann nicht nur fr eine Stadt, sondern im Prinzip fr

    jeden Ort. Schmitt spricht daher von einer Lehre von den Topoi. Und so schreibt er:

    Sie (also die Lehre von den Topoi) ist die Dialektik des ffentlichen Platzes, der Agora,

    zum Unterschied von der Dialektik des Lyceums und der Akademie. Was ein Mensch

    dem andern sagen kann, ist diskutabel, plausibel oder berzeugend nur im rechten

    Rahmen und am rechten Ort. So gibt es auch heute noch unentbehrliche Topoider Kan-zel und des Katheders, des Richterstuhls und der Wahlversammlung, der Konferenzen

    und Kongresse, des Kinos und des Rundfunks. Jede soziologische Analyse dieser ver-

    schiedenen Orte mte mit einer Darstellung ihrer verschiedenen Topoibeginnen.Schmitt bedient sich hier einer quivokation des griechischen Wortes Topos. Einerseits

    sind Topoi nichts anderes als Orte, andererseits sind sie seit Aristoteles allgemeine Ge-

    sichtspunkte des Redens, aus denen berzeugende Folgestze entspringen knnen. Als

    solche gehren die Topoi dann zur Rhetorik. Nach Schmitt gibt es nun eine Verbindung

    zwischen den Orten und den Topoi. Auf der Basis einer Ortung ist jeder Ort abges-

    timmt auf Topoi, d.h. auf jeweils spezifische Weisen des Redens. Ich kann nicht an allen

    beliebigen Orten alles Mgliche sagen. Das liegt an unterschiedlichen Ortungen. So

    drfen Sie in einer Kirche nicht das sagen, was sie in einem Labor der Biochemie sagenknnen. Das betrifft natrlich nicht nur Fragen des Geschmacks, sondern Fragen des

    Rechts, wobei das Recht hier auch ein ungeschriebenes sein kann. Genau das war ja

    wohl das Problem des Sokrates in seiner Polis.

    So differenziert Schmitt zwischen der Agora und der Akademie, die ihren Namen von

    einem Helden hat und dabei einen Hain in Athen bezeichnete. Diese beiden Orte er-

    laubten unterschiedliche Diskurse, unterschiedliche Topoi. Die Art und Weise, wie So-

    krates gesprochen hat, war in der Akademie fehl am Platze. Der Lehrvortrag, der sich in

    der Akademie etablierte, ist etwas anderes als ein meutischer Dialog. Das ist ein wichti-

    ger Aspekt fr das Folgende, denn auch fr Heideggers esoterische Philosophie ist die

    Frage nach den Topoi im Verhltnis zum Ort der Philosophie sehr wichtig. Dabei modifi-

    ziert sich dieses Problem dann zu der Frage nach einer philosophischenSprache.

    Bevor ich nun nher (ich komme nher) auf dieses Thema: Heideggers esoterische Philo-

    sophie eingehen werde, mchte ich diesen Anfang unserer Vorlesung mit der Themati-

    sierung des Ortes verlassen und anscheinend ber etwas ganz anderes sprechen. Ich

    mchte etwas sehr Allgemeines ber die Wirkungsgeschichte von Heideggers Philoso-phie sagen, wie sie sich mir darstellt. Denn diese Wirkungsgeschichte ist schon darum

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    ziemlich eigentmlich, weil immer noch regelmig neue Texte aus dem Nachlass er-

    scheinen. Dabei handelt es sich auch nicht um bloe Skizzen, sondern um echte Werke,

    jedenfalls in Heideggers eigenem Verstndnis.

    Folgende Bestandsaufnahme der Wirkungsgeschichte von Heideggers Philosophie drfte

    im Groen und Ganzen korrekt sein. Heideggers Wirkung beginnt mit der Verffentli-chung von Sein und Zeit im Jahre 1927. Vorher war er ein Privatdozent, der gewiss von

    seinen Studenten geschtzt und sogar verehrt wurde, doch der keinerlei Einfluss auf die

    Situation der Philosophie im damaligen Deutschland oder gar Europa ausben konnte.

    Mit der Publikation von SuZ nderte sich das schlagartig. Das Buch wurde bald ein

    Hauptwerk in mehrfacher Hinsicht. Einerseits revolutionierte der Text die damalige

    Philosophie, andererseits war eben Heidegger damit sogleich der erste Philosoph der

    deutschen Universitt. Dabei mssen wir den Charakter dieses Textes bercksichtigen.

    Er ist scheinbar systematisch aufgebaut, bercksichtigt den akademischen Kontext, indem das Buch ja Karriere machen sollte. Denn, das darf man nicht vergessen, Heidegger

    verfasste dieses Werk deshalb, weil er sich fr die bernahme eines Ordinariats zu qua-

    lifizieren hatte. SuZ entspricht gewissermaen der Ortung der Universitt bzw. der U-

    niversittsphilosophie. Dass SuZ daher im Grunde bis heute die Wirkungsgeschichte

    von Heideggers Philosophie an den Universitten dominiert, ist sehr verstndlich.

    Die Wirkung, die SuZ erzeugt, wurde durch Heideggers Folgeverffentlichung Kant

    und das Problem der Metaphysik (1929) noch verstrkt. Dieser Text unterstrich den

    Eindruck, den SuZ hinterlie.

    Im Jahre 1933 geschah dann etwas, das die Wirkungsgeschichte von Heideggers Denken

    bis heute beeinflusst. Heidegger versucht, politische Verantwortung zu bernehmen. Er

    tritt der NSDAP bei. Doch dieser Aspekt in der Auseinandersetzung mit Heideggers Phi-

    losophie wurde charakteristischer Weise erst in den letzten 20 oder 25 Jahren wichtig.

    Nach dem Krieg geschah zunchst etwas anderes.

    Als nach der Verffentlichung des Humanismus-Briefs Anfang der fnfziger Jahre die

    Holzwege, Vortrge und Aufstze und Unterwegs zur Sprache erschienen, wurde

    bald klar, dass sich Heideggers Denken gewandelt hatte. Man sprach und spricht von ei-

    ner Kehre. Noch heute gibt es Heidegger-Forscher, die von einem Heidegger I und

    einem Heidegger II sprechen. Freilich ist diese Sprachregelung unphilosophisch, er-

    leichtert und beschleunigt aber den Diskurs.

    Mit der Publikation dieser Texte begann sich die Wirkungsgeschichte von Heideggers

    Denken zu ndern. Sie wurde komplexer, lste sich auch ein wenig von der blo akade-

    mischen Rezeption, die nachwievor von SuZ bestimmt wurde. Vor allem in Frankreichwurde Heidegger, gefrdert durch die Verffentlichung des an Jean Beaufret gerichteten

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    Humanismus-Briefes, nun ein beraus entscheidender Impulsgeber. Im Nachkriegs-

    Deutschland, in dem Heidegger auf Grund seines politischen Engagements nur kurz Be-

    hinderungen zu akzeptieren hatte, blieb der Philosoph eine akademisch mchtige Figur

    schon allein deshalb, weil Schler wie Hans Georg Gadamer begannen, ihrerseits Ein-

    fluss zu nehmen. Doch wie gesagt begann sich das Bild des Heideggerschen Denkens

    auch in Deutschland zu wandeln, was dann durch die Publikation der Nietzsche-Vorle-

    sungen am Beginn der sechziger Jahre noch verstrkt wurde.

    Anfang der siebziger Jahre wurde die Wirkungsgeschichte von Heideggers Denken

    durch den Beginn der Verffentlichung der Gesamtausgabe bereichert. Dabei drfte

    auch hier nur sehr differenziert geurteilt werden. Texte wie Vorlesungen aus den zwanzi-

    ger Jahren wurden im Kontext von SuZ und dem Kant-Buch betrachtet. So wurde genau

    nachvollzogen, wie Heidegger durch seine Aristoteles-Auslegungen am Beginn der zwan-

    ziger Jahre SuZ vorbereitet. Zugleich bemerkte man, wie wichtig neben Kant Leibnizwurde. Dagegen erbrachte die Publikation der bisher unbekannten Hlderlin-Vorlesun-

    gen noch einmal eine tiefe Modifikation des Heidegger-Verstndnisses. Gewiss wusste

    man bereits seit der Publikation der Erluterung zu Hlderlins Dichtung am Beginn

    der vierziger Jahre, dass der Dichter fr Heidegger eine wichtige Rolle spielte. Doch

    durch die Verffentlichungen der Vorlesungen lernte man immer mehr, dass der Dichter

    und die Dichtung fr Heidegger nicht ein Thema der sthetik darstellten, sondern

    dass sie fr ihn von hchster philosophischer Relevanz waren. Es zeigte sich daher im-

    mer mehr, inwiefern ein Heidegger-Verstndnis, das sich allein auf SuZ bezog, inadquatwar.

    Wer sich Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit Heidegger be-

    schftigen wollte, musste erkennen, dass Heideggers Denken ein Weg war von SuZ ber

    die Holzwege und die anderen in den fnfziger Jahren verffentlichten Texte zu den

    Nietzsche-Vorlesungen und dann weiter zu den Hlderlin-Vorlesungen. Zudem

    schwappte inzwischen aus Frankreich die geballte Ladung einer beraus produktiven

    Auseinandersetzung mit diesem ganzen Heidegger nach Deutschland zurck: Foucault,

    Merleau-Ponty, Levinas, Lyotard, Derrida etc. - all die Texte dieser Heidegger-Leser ent-falteten gleichsam eine eigene Heidegger-Rezeption, die in einer spezifischen Hinsicht

    bis heute neben der universitren Heidegger-Wahrnehmung existiert. Noch z.B. die Hei-

    degger-Lektre von Giorgio Agamben hat diese Bedeutung. Sie wird vielfach diskutiert,

    jedoch im akademischen Kontext kaum ernstgenommen.

    Ende der achtziger Jahre geschah dann etwas, was die Wirkungs- und Rezeptionsge-

    schichte von Heideggers Denken noch einmal heftig erschttern sollte. Zum 100. Ge-

    burtstag des Philosophen wurden die Beitrge zur Philosophie (Vom Ereignis) verf-

    fentlicht. Diese Publikation - das Werk kursierte schon vorher als Typoskript unter be-

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    Titel [Beitrge zur Philosophie] mu jetzt notwendig bla und gewhnlich und nichtssa-

    gend lauten und den Anschein erwecken, da es sich um wissenschaftliche Beitrge

    zum Fortschritt der Philosophie handle. / Die Philosophie kann ffentlich nicht anders

    angemeldet werden, da alle wesentlichen Titel durch die Vernutzung aller Grundworte

    und die Zerstrung des echten Bezuges zum Wort unmglich geworden sind. (GA 65, 3)

    [Fr die jetzt folgende Interpretation empfehle ich zur begleitenden Lektre das Kapitel

    III der Besinnung (GA 66) mit der berschrift Die Philosophie (Selbstbesinnung: ge-

    schichtliche Auseinandersetzung; das seynsgeschichtliche Denken - die Metaphysik), 45-

    80.] Dieser erste Satz ist nicht einfach so ein beilufiger Satz, sondern, wie ich glaube, fr

    das Verstndnis dessen, was Heidegger als Philosophem am Herzen liegt, sehr wichtig.

    Heidegger geht von einem Gegensatz zwischen der ffentlichkeit und der Philoso-

    phie aus. Der ffentliche Titel Beitrge zur Philosophie wird von der wesentlichen

    berschrift bzw. dem wesentlichen Titel Vom Ereignis abgesetzt. In der ffentlich-keit knne die Philosophie nicht anders angemeldet werden - wie anders? Eben

    nicht anders als in der Form wissenschaftlicher Beitrge, d.h. als Wissenschaft.

    Zugleich aber ist die ffentlichkeit dadurch bestimmt, dass in ihr alle Grundworte

    vernutzt seien und der echte Bezug zum Wort zerstrt worden sei. Das bedeutet zu-

    nchst, dass die Wissenschaft ein Teil der ffentlichkeit sei, in welcher eine Sprache

    herrsche, die ein echtes Philosophieren unmglich mache.

    Es geht also um die ffentlichkeit und die Frage, wie sich die Philosophie zu ihr

    verhalte, wobei unter ffentlichkeit hier bei Heidegger auch die Sphre der Wissen-schaft verstanden wird - wie das genauer vor sich geht, werden wir spter sehen. Dabei

    mchte ich zunchst an das erinnern, was ich zu Anfang mit dem Hinweis auf jenes Zitat

    von Carl Schmitt ausgefhrt habe. Offensichtlich haben wir es hier am Anfang der Bei-

    trge mit dem Problem des Verhltnisses einer Ortung zu ihren Topoi zu tun, wie sich

    also ein Ort insofern inszeniert, als in seinem Bereich eine bestimmte Sprache herrscht.

    Von Schmitt aus gesehen mssten wir nach der Ortung der ffentlichkeit fragen,

    nach den Normen und Regeln, die in ihr anerkannt werden und auch von wem sie aner-

    kannt werden und welche Regeln abgelehnt werden.

    Da wir aber es hier mit Heidegger zu tun haben wollen, werde ich im Weiteren ein wenig

    Heideggers Verstndnis der ffentlichkeit erlutern. Bereits in SuZ hatte der Philo-

    soph die ffentlichkeit als die Sphre des Man errtert. In diesem Kontext spricht er

    auch von der Diktatur des Man als einer allgemeinen Erscheinungsweise des soge-

    nannten Geredes. Bei dieser Diktatur wird nicht an die entsprechende Regierungs-

    form gedacht, sondern an die Art und Weise, wie sich das Man in der ffentlichkeit

    miteinander verstndigt. Unter dem Man versteht Heidegger dabei, wie Sie wohl wis-

    sen, eine indifferente Seinsweise des Daseins. Es gibt Lebensvollzge, die betreibe nicht

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    ich als Person, als dieses einzigartige Leben, sondern die ich betreibe, wie alle, d.h. wie

    man sie betreibt. So fahre ich nicht Bus gem meinem unverwechselbaren Charakter,

    sondern eben so, wie man das tut. Oder ich nehme am Internet teil, wie man das tut

    etc. So gesehen ist das Man nicht nur eine defiziente bzw. negative Existenzweise,

    sondern es gibt mir die Mglichkeit, Dinge zu erledigen, ohne besonders viel darber

    reflektieren zu mssen.

    Nun aber spricht Heidegger von einer Diktatur des Man. Das heit, dass diese indiffe-

    rente Existenzweise dem Dasein diktiert, wie es zu sprechen und zu denken hat. Dabei

    bezieht sich Heidegger ausdrcklich auf das Massenmedium der Presse. In einer solchen

    Diktatur spricht nicht ein bestimmter Einzelner zu bestimmten Einzelnen, sondern es

    herrscht ein Diskurs, in welchem niemand als Einzelner erscheint. Man redet eben wie

    man redet, d.h. man wei, was man sagen soll und muss und was man nicht sagen darf.

    Dabei wird dieses Wissen womglich nicht ausdrcklich gemacht, sondern existiertgleichsam als eine unthematische Gewohnheit. Das Wort Diktatur strahlt dementspre-

    chend eine gewisse Ambivalenz aus. Sicher suggeriert es einen gewissen Zwang: das

    Man gibt vor, wie man reden muss. Zugleich aber zeigt es auch an, wie einer zu reden

    hat, wenn er sich in der ffentlichkeit aufhlt und vielleicht sogar in ihr eine Rolle

    spielen will. In dieser Hinsicht kann ein Blick auf die Sprache der Politiker sehr frucht-

    bar sein. Denn z.B. die sogenannte political correctness, die ja sogar nicht nur die Poli-

    tiker betrifft, scheint doch ein solches Diktat (gewesen) zu sein.

    Ob mit Heidegger das Phnomen der ffentlichkeit erfasst werden kann, mag bezwei-felt werden, denn gewiss ist diese Sphre zu komplex als nur auf eine Diktatur des

    Man reduziert werden zu knnen (vgl. Jrgen Habermas: Struktur der ffentlichkeit.

    Untersuchungen zu einer Kategorie der brgerlichen Gesellschaft. Berlin / Neuwied 1962

    aber auch seine modifizierte Betrachtung der ffentlichkeit in Ach, Europa). Was mir

    aber wichtig und fr das Verstndnis der Beitrge zur Philosophie entscheidend ist,

    das ist, dass Heidegger eine Kollision zwischen der Sprache (d.h. heute vielleicht den

    Diskursen) der ffentlichkeit bzw. der Wissenschaft einerseits und der Philosophie

    andererseits erkennt. Whrend die ffentlichkeit keinen echten Bezug zum Wort ha-be, finde nach Heidegger Philosophie nur in einem solchen statt.

    Immerhin hat auch Habermas inzwischen einen Strukturwandel der ffentlichkeit

    festgestellt. Unlngst hat sogar er seine Untersuchungen zur Struktur der ffentlich-

    keit um eine Medienkritik bereichert. So spricht er von einer Entformalisierung der

    ffentlichkeit und einer Entdifferenzierung entsprechender Rollen. Runden aus Po-

    litikern, Experten und Journalisten, die sich bei einer fabelhaften Moderatorin treffen

    wrden und keine Lcke lassen, die ein Intellektueller schlieen msste (Jrgen Ha-

    bermas: Ach, Europa. Kleine politische Schriften XI. Frankfurt/Main 2008, 81ff.). Zu fra-

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    gen wre dabei, wie es zu einem solchen Strukturwandel gekommen ist. Die Antwort

    wrde wohl auf das Phnomen stoen, dass die ffentlichkeit als solche immer mehr

    zu einem Markt wird, auf dem die medial prsentierten Figuren einen spezifischen

    Wert haben. Ein schlecht gekleideter, untrainierter Intellektueller hat es bei einer

    solchen (neoliberal-globalen) Konkurrenz nicht leicht. In komplizierteren Stzen zu

    sprechen oder gar Zeit zu beanspruchen, um einen Gedanken zu entwickeln, ist eine

    mediale Disqualifikation. Allerdings geht es Heidegger niemals um den Intellektuellen.

    Hat diese Figur traditionell einen Bezug zur ffentlichkeit, so fehlt dieser im Heide-

    ggerschen Verstndnis des Philosophen, msste ihm demnach als Problem erst ange-

    tragen werden.

    Zurck zu unserem Satz, dem ersten Satz der Beitrge zur Philosophie. Er sagt: Die

    Philosophie knne ffentlich nicht anders angemeldet werden als eben in der Form

    von Beitrgen. Betrachten wir ein wenig genauer das eigentmliche Wort anmelden.Bei einer Anmeldung geht es immer um eine Zulassung, sei es, sie melden sich bei

    einem Verein an oder vielleicht ihr Auto bei der Zulassungsstelle. Der Vorgang der

    Anmeldung setzt nun eine spezifische Differenz voraus. Diese Differenz erweist sich

    genauer bedacht als die Trennung einer Innen- und Auensphre. Eine Philosophie, die

    sich ffentlich anmeldet, verlangt nach der Zulassung (immer in der Perspektive der

    Beitrge) seitens der Wissenschaft.

    Ohne das Wort der Anmeldung berstrapazieren zu wollen mchte ich ein letztes

    Merkmal andeuten. Eine Anmeldung setzt ein gewissesHerrschaftsverhltnis voraus. Woeine Zulassung zu erlangen ist, gibt es Zugangskriterien, die erfllt werden mssen. Ob

    diese Kriterien nun erfllt werden oder nicht, entscheidet niemals derjenige, der sich

    anmeldet, sondern die Stelle, an der sich angemeldet wird. Das meint, dass wir es

    direkt am Beginn der Beitrge auch mit der Frage zu tun haben, inwiefern die Philoso-

    phie im Verhltnis zur ffentlichkeit als eine autonome Art und Weise des Denkens

    erscheinen kann und inwiefern eben nicht. Gibt es nicht auch fr die ffentlichkeit

    Zugangskriterien, die erfllt sein mssen? Ist nicht die ffentlichkeit eine Ordnung,

    die wie jede Ordnung einen marginalisierenden Effekt hat? Fr Heidegger indessenscheint diese Frage schon beantwortet zu sein.

    ffentlich kann die Philosophie nur als Wissenschaft erscheinen (Moderne!). Doch

    wenn sie so erscheint, hat sie sich selbst aufgegeben und verloren. Und weil oder indem

    dieses Verhltnis zur ffentlichkeit existiert, kehrt sich die Philosophie von ihr ab und

    beugt sich auf sich selbst zurck und ist, wie Heidegger sagt, ein denkerisch-sagendes

    Zugehren zum Seyn und in das Wort des Seyns (GA 65, 3, kursiv von mir). Dieses inist ein erster starker Hinweis auf das, was ich Heideggers esoterische Wendung nenne:

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    die Philosophie besteht in einem echten Bezug zum Wort, indem sie sich in das Wortdes Seyns begibt. Darber in der nchsten Woche mehr.

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    2. Vorlesung (10. April)

    Ich habe in der letzten Woche grob das Thema Heideggers esoterische Philosophie

    vorbereitet. Dabei hatte ich mich auf den ersten Satz der Beitrge zur Philosophie be-zogen und diesen gleichsam diskurstheoretisch interpretiert. Als Hintergrund dieser

    Perspektive diente mir, wie Sie vielleicht erinnern, ein Gedanke Carl Schmitts, der von

    einer Ortung als einem rechtsbegrndenden Ur-Akt spricht und jede Ortung, d.h.

    jede Grndung und Einrichtung eines Ortes, mit einer Topik, d.h. eben mit einem spezi-

    fischen Diskurs verbindet. So spricht man gewiss im Rundfunk anders als auf einer Kon-

    ferenz fr Philosophie (Schmitts Beispiele). Heidegger bringt nun die Bemhungen um

    eine philosophische Sprache mit der ffentlichkeit, zu welcher fr ihn auch die moder-

    ne Wissenschaft bzw. der Ort der Universitt gehrt, in einen Konflikt. In der ffentlich-

    keit und wohl auch von ihr, d.h. von ihren strukturimmanenten Diskursvoraussetzungen,

    seien alle Grundworte vernutzt und der echte Bezug zum Wort zerstrt worden. (Wir

    nehmen diese Lagebeurteilung einmal hin.) In diesem Zusammenhang verwendet Hei-

    degger auch das Wort der Anmeldung, die Philosophie knne ffentlich nicht anders

    angemeldet werden wie als Wissenschaft.

    Ich mchte heute nicht wie zuletzt auf den kritischen Ton dieser Formulierung eingehen,

    sondern gleichsam auf seine systematische Bedeutung. Anmelden bedeutet nmlich

    letztlich adressieren bzw. lsst sich als eine Weise des adressierens verstehen. Um die-ses adressieren der Philosophie soll es mir zunchst ein wenig gehen, denn die Unter-

    suchung zu Heideggers esoterischer Philosophie kann mit einer Reflexion der sogenann-

    ten Adressatenbezogenheit der Philosophie anfangen. Hermeneutisch gesehen ist jederphilosophische Text, ja jeder philosophische Gedanke adressatenbezogen. Er wendet sich

    an einen spezifischen Empfnger, um an das basale und banale Kommunikationsmodell

    von Sender und Empfnger zu erinnern. Ich verstehe aber sowohl unter dem Sender

    als auch unter dem Empfnger etwas anderes. Adressatenbezogenheit in der Philo-

    sophie meint zuerst, dass kein philosophischer Gedanke fr ihn selbst geuert wird.Das eben ist womglich eine banale Folge des Kommunikationsmoduls. Weniger banal

    ist aber vielleicht, dass auf Grund dieser prinzipiellen Bezglichkeit eines philosophi-

    schen Gedankens eine Notwendigkeit entspringt, im philosophischen Sprechen den Ad-

    ressaten differenziert zu bercksichtigen. Die Art und Weise der uerung philosophi-

    scher Gedanken hat sich abzustimmen auf den Anzusprechenden.

    Wenn wir dieses Thema ein wenig vertiefen, bemerken wir sogleich, dass es verschiedene

    Adressaten gibt. Es gibt in der Philosophie Gebte und Ungebte, von einem Anfnger

    im Proseminar erwarten wir eine andere Gebtheit im Argumentieren z.B. als von einemoder einer Promovierenden. Mit meinen Bekannten spreche ich anders ber die Philo-

    13

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    sophie als mit Ihnen oder einem Kollegen. Versuchen Sie einmal jemandem, der noch

    keinen Satz von Heidegger gelesen hat, Heideggers Fragen zu erklren. Dieses Problem

    der Adressatenbezogenheit der Philosophie ist frh erkannt worden. Nachdem z.B. So-

    krates in der Politeia den Glaukon ber den Bildungsgang der Wchter unterrichtet

    hat und ihn ber die Arithmetik, die Geometrie, Stereometrie, Astronomie und die Har-

    monik vor die Dialektik, d.h. den Weg zu den hchsten Kenntnissen der Philosophie, ge-

    fhrt hat, teilt er diesem mit, dass er wohl nun nicht mehr folgen knnen werde. Denn

    das, was das Hhlengleichnis im Bild dargestellt habe, d.h. was das Gleichnis versinn-

    lichte, stellen zugleich die eben erwhnten Disziplinen von der Arithmetik bis zur Har-

    monik dar. Die Dialektik aber fhre nun zu einem Wissen ohne jede Versinnlichungs-

    mglichkeit, ohne jede Wahrnehmung. Nun gehe es um ein Wissen, das sich ausschlie-

    lich in vernnftigen Reden fassen lasse. Die Erfassung dieser Reden, in denen die hchs-

    ten Kenntnisse (, 503d) behandelt wrden, gehe nach Sokrates aber

    ber das Fassungsvermgen des Glaukon hinaus (VII. Buch, 531c-533a). Mit anderenWorten: Sokrates wei, das er sich an verschiedene Personen differenziert adressieren

    muss. Das Sprechen in Bildern wird dabei vom unterschieden.

    Fr Heidegger stellt sich die Adressatenbezogenheit der Philosophie - wie gesagt, jede

    Philosophie ist adressatenbezogen, ob sie es will oder nicht - so dar: die Philosophie er-

    scheine in der ffentlichkeit als Wissenschaft. Die Wissenschaft bildet hier stellvertre-

    tend eine Adressatengruppe dar. Dieser Adressat bringt es mit sich, dass die Philosophie

    sich in der Sprache bekunden muss, die in dieser Wissenschaft herrsche. Nach Heide-gger sei das eine vernutzte und zerstrte Sprache. Was er damit de facto meint, kn-

    nen wir als gewohnheitliche Diskursbahnen, die das Funktionieren einer Institution

    verbrgen, verstehen. Demgegenber bestehe die philosophische Sprache in einem

    echten Bezug zum Wort. Wie dieser Bezug aussieht, werden wir spter erfahren. Fr

    jetzt ist es wichtiger, zu sehen, dass sich auf der Grundlage dieser Adressatensituation

    der Text Beitrge zur Philosophie wie berhaupt Heideggers Philosophieren jener Zeit

    nicht an die ffentlichkeit wendet, sondern sich von dieser abkehrt.

    Mit dieser Abwendung aber kehrt sich die Philosophie einem anderen Adressaten zu.Diesen Entschluss, einen spezifischen anderen Adressaten anzusprechen, finden wir in

    allen Manuskripten zwischen 1935 und 1945 bzw. noch darber hinaus vor. Ich mchte

    diesbezglich auf einen Text verweisen, den Sie in GA 66, und zwar am Ende dieses

    Bandes finden. Die berschrift dieses Textes lautet: ber die Bewahrung des Versuch-

    ten. Dort unterscheidet Heidegger genau zwischen den Vorlesungen, den Vortrgen, den

    Seminaren und den damals unverffentlichten Abhandlungen eben wie den Beitrgen

    zur Philosophie. Jede Textart wird unterschieden hinsichtlich ihrer Adressaten. (Ich

    meine, eine entwickelte Heidegger-Hermeneutik muss diese Differenzierung von Textenernstnehmen.) Auf Grund der Abwendung von der ffentlichkeit und der Zuwendung

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    zu einem anderen Adressaten mchte ich von Heideggers esoterischer Philosophie spre-chen. Da haben wir also den zunchst missverstndlichen - und gewiss sehr vernutzten

    - Begriff der Esoterik.

    Als erstes Merkmal einer Esoterik ist die Unterscheidung zwischen einem Innen und ei-

    nem Auen wesentlich. Vom Inneren her gesehen ist das uere exoterisch. Selbst frdas populre Verstndnis der Esoterik gilt, dass nur Eingeweihte den Sinn einer spezi-

    fischen Lehre oder sogar Geheimlehre kennen. Fr eine solche Esoterik sind z.B. die

    Freimaurer ein bekanntes Beispiel. Bezglich einer solchen Organisation ist die Initiati-

    on und die Befolgung bestimmter Regeln verbindlich. In unserem Kontext wird es natr-

    lich um andere Merkmale der Esoterik gehen, wobei sogleich konzediert werden muss,

    dass jede Esoterik in der Gefahr schwebt, auf einen organisierten Verbund von Einge-

    weihten hinauszulaufen.

    Um zu zeigen, inwiefern das Problem des Esoterischen zur Philosophie bzw. zur Geistes-

    geschichte gehrt, mchte ich im Folgenden zunchst drei mehr oder weniger bekannte

    Esoterik-Konzepte oder -Verstndnisse besprechen, als da wren:

    1.) Die sogenannte Tbinger Schule in der Platon-Philosophie und ihre These von ei-

    ner esoterischen Philosophie bei Platon.

    2.) Leo Strauss Begriff des Esoterischen in seinem Buch Persecution and the Art of

    Writing.3.) Die Dichtung Stefan Georges bzw. der sogenannte George-Kreis, wobei dieser Aspekt

    meiner Ausfhrungen in einen unmittelbar historischen Zusammenhang mit Heideggers

    Philosophieren weist.

    Das erste Modell sozusagen einer Unterscheidung von einer Esoterik und Exoterik in

    der Philosophie kennen wir, wie gesagt, aus der Platon-Forschung. Die drei Platon-For-

    scher Hans-Joachim Krmer, Konrad Gaiser und Thomas A. Szlezk vertreten die An-

    sicht, dass Platons Dialoge nicht die eigentliche Lehre des Philosophen enthalten. Dabeiknne sie sich auf Aussagen Platons (im Siebenten Brief, wo er davon schreibt, nur

    mndlich ber das Eigentliche gehandelt zu haben) wie auf Aristoteles berufen, der von

    Platons spricht, von ungeschriebenen Lehrstzen also. Diese habePlaton eben in der Akademie mndlich mitgeteilt. Auch wichtig fr diese Auslegung o-

    der diese Platon-Hermeneutik ist dabei Platons eigene Schriftkritik, die wir im zweiten

    Teil des Phaidros studieren knnen. Platon kritisiert in diesem Zusammenhang die

    Schriftlichkeit der Philosophie als ein Unglck, weil sie die individuelle Arbeit der

    sprachlichen Aneignung eines Gedankens zu erbrigen scheint. Auch in der Politeia

    spricht Sokrates/Platon davon, dass die hchsten Kenntnisse nur den festen und un-

    15

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    wandelbaren Charakteren, d.h. den Besten, reserviert seien. Andere seien diesen Kennt-

    nissen nicht gewachsen. Es gibt also bei Platon ein Wissen davon, dass die hchsten

    Kenntnisse der Philosophie nicht Allen zugnglich seien. Der Philosoph spricht also

    stets fr bestimmte und zu bestimmten Adressaten. Die Herrscher einer plis sollten na-

    trlich im Besitz jener hchsten Kenntnisse sein. In dieser Hinsicht wren die Schriften

    Platons die exoterische Lehre, das mndlich Mitgeteilte, in der Akademie Mitgeteilte, die

    esoterische Lehre. Aber vielleicht ist es besser, eine Definition des Esoterischen vom Er-

    finder dieser Platon-Auslegung, von Hans-Joachim Krmer selbst, zu hren. In seinem

    wichtigen Buch Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte der

    platonischen Ontologie. Heidelberg 1959, 17ff. heit es: Der Begriff des Esoterischen

    lt sich nun in engerer und weiterer Bedeutung fassen: er kann in umfassendem Sinn

    angewendet werden auf diemndliche Lehrttigkeitberhaupt, die als solche neben denSchriften einhergeht, ohne da dabei ein inhaltlicher Unterschied unterliefe; er gilt

    zweitens - mit grerem Recht - fr diejenige - inhaltlich abgegrenzte -Sonderlehre, dienur mndlich entwickelt, aber nicht literarisch fixiert wird; und er trifft drittens - im ei-

    gentlichen Sinn - fr jene Lehre zu, welche nur in einem beschrnkten Kreis zugnglich,sonst aber mehr oder weniger geheim gehalten ist. Krmer betont demnach, dass das

    Esoterische fr ihn weniger oder mehr auf das mndlich Mitgeteilte bezogen wird.

    Zwar hat er eine Gradation, in welcher die eigentliche bewusste Geheimlehre das reinste

    Esoterische zu sein scheint, doch selbst hier geht es schlielich um das gesprochene im

    Unterschied zum geschriebenen Wort. Fr Platon reklamiert Krmer nun wohl alle drei

    Begriffe des Esoterischen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Platon auch bersolches geredet hat, was er schriftlich fixierte.

    Diese Platon-Auslegung ist sehr umstritten, wie Sie sich vielleicht denken knnen. Denn

    freilich - im eigentlichen Sinne gibt es keine ungeschriebene Lehre des Platon (das liegt

    eben daran, dass sie schlicht nicht vorliegt). Dennoch scheint sie mir dort, wo sie die Ad-

    ressatenbezogenheit der Platonischen Philosophie betont, auf etwas Richtiges hinzuwei-

    sen. Was Heidegger betrifft, so disqualifiziert sich dieses Modell einer Esoterik/Exoterik-Differenz dadurch, dass sie die Grenze zwischen dem mndlich Mitgeteilten und dem

    Schriftlichen setzt. Heidegger nmlich hat vom rar gewordenen Hand-Werk der

    Schrift (Humanismus-Brief) sehr viel gehalten. Im Unterschied zu einer ungeschriebe-

    nen Lehre knnte man bei Heidegger von einer geschriebenen Un-Lehre sprechen. Wie

    dem auch sei, es ist wichtig zu sehen, dass wir von Platon her das Problem der Adress-

    atenbezogenheit des Philosophierens kennen mssen und dass dieses Problem bei Hei-

    degger (nicht nur bei Heidegger) wiederkehrt.

    Das zweite Modell einer Esoterik/Exoterik-Differenz finden wir bei Leo Strauss. Wir fin-

    den es ausgefhrt in Aufstzen, die Strauss im Jahre 1952 unter dem Titel Persecutionand the Art of Writing verffentlicht hat wie einem krzeren Text ber Lessing mit dem

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    Titel Exoteric Teaching. Hier sei es das Verfolgtwerden, das Philosophen dazu gebracht

    habe between the lines zu schreiben. Strauss nennt diese Verfolgung a necessary ne-

    gative criterion (32). Der Text, den einer lesen will, muss geschrieben sein in an era of

    persecution, that is, at a time where some political or other orthodoxy was enforced by

    law or custom. Dieses Kriterium betrifft dann vor allem Autoren, die z.B. mit den Lehr-

    meinungen von Theologen in Konflikt gerieten, das sind z.B. Hobbes oder auch Rousse-

    au. Wir wissen, dass diese Philosophen wirklich um ihr Leben zu frchten hatten. Nun

    liee sich vielleicht sagen, dass Heidegger in der Mitte der dreiiger Jahre es immerhin

    mit einem Regime zu tun hatte, das in der Tat Menschen nicht nur aus rassistischen

    Grnden verfolgte. Gewiss htte Heidegger, was er in dem Manuskript Die Geschichte

    des Seyns (GA 69) aus dem Jahre 1939 ber die Macht und die Machthaber sagt,

    nicht verffentlichen knnen. Manche Heidegger-Interpreten sagen auch, dass die Nietz-

    sche-Vorlesungen between the lines eine Kritik an der Rassen-Ideologie der Nazis mit-

    teilt. Doch diesbezglich wre Heideggers Entscheidung, Manuskripte ohne eine Verf-fentlichungsabsicht anzufertigen, im Sinne von Strauss kein esoteric writing. Heide-

    gger wurde eben nicht verfolgt bzw. er ging jeder mglichen Verfolgung aus dem

    Weg. Eine andere Frage ist jedoch, was Strauss unter persecution genau verstand. Da

    lesen wir: The term persecution covers a variety of phenomena, ranging from the most

    cruel type, as exemplified by the Spanish Inquisition, to the mildest, which is social

    ostracism. (32) Soziale chtung nun, d.h. z.B. die Bedrohung sozialer Sicherheit durch

    bestimmte soziale Druckmittel wie Armut und gesellschaftliche Marginalisierung, gibt es

    beinahe fr jeden Philosophen. Wir knnten hier z.B. an Nietzsche denken, der ja nicht -wie Rousseau - vor Verfolgern fliehen musste, dessen Schriften auch nicht symbolisch

    bzw. stellvertretend ffentlich verbrannt wurden (Hobbes, Rousseau) und dessen Texte

    auch nicht (wie noch bei Kant) zensiert wurden. Man hat ihn sozusagen einfach nicht be-

    achtet - im sozialen Sinne, meine ich. Wir mssen jedoch auch in dieser Hinsicht sagen,

    dass Heidegger wohl niemals wirklich sozial gechtet worden ist, selbst wenn er - wie

    wir noch sehen werden - die Adressaten der Beitrge in solcher Gefahr sehen wollte,

    d.h. sie auch stilisierte. Vielleicht knnen wir sogar sagen, dass eine bestimmte Fremd-

    heit zur sozialen Welt in Heideggers von mir sogenannter esoterischer Philosophie zufinden ist. Doch letztlich ist, wenn wir z.B. den Erfolg des spteren Denkens von Heide-

    gger in Frankreich sehen, zu sagen, dass auch Strauss Konzept des esoteric writing

    nicht auf Heidegger anzuwenden ist.

    Was nun unbezweifelbar einen gewissen Einfluss auf Heideggers Selbstverstndnis als

    Philosoph und seine Entscheidung, einen Text wie die Beitrge zur Philosophie (oder

    auch andere solche Texte) zu schreiben, ausgebt hat, ist die esoterische Dichtung Stefan

    Georges bzw. die Wirkungsgeschichte dieser Dichtung in einem Kreis. In Heideggers

    Denken finden wir diesen Einfluss ganz massiv in seiner Interpretation der DichtungFriedrich Hlderlins vor, die er durch die erste historisch-kritische Gesamtausgabe von

    17

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    Norbert von Hellingrath kennenlernte. Von Hellingrath, den Heidegger verehrte, war

    jung im Ersten Weltkrieg gefallen und gehrte eben zu jenem George-Kreis. Mehr von

    Bedeutung ist, dass Georges eigene Sicht von Hlderlin, die er freilich auf die eigene

    Auffassung als Dichter bertrug, Heideggers Einstellung zu Hlderlins Dichtung und

    durch diese Einstellung hindurch sein Verstndnis der Philosophie beeinflusste. Georges

    Auffassung der Dichtung impliziert eine esoterische Entscheidung, die wir interessant

    ausgefhrt in einer Vorrede zu einem Gedichtband von 1914 mit dem Titel Der Stern

    des Bundes finden. Hier rechtfertigt der Dichter die Publikation dieser Gedichte. Da

    heit es: der Stern des Bundes war zuerst gedacht fr die freunde des engern bezirkes

    und nur die erwgung dass ein verborgen-halten von einmal ausgesprochenem heut

    kaum mehr mglich ist hat die ffentlichkeit vorgezogen als den sichersten schutz. Dann

    haben die sofort nach erscheinen sich berstrzenden welt-ereignisse die gemter auch

    der weiteren schichten empfnglich gemacht fr ein buch das noch jahrlang ein ge-

    heimbuch htte bleiben knnen. (SW VIII, 5) Diese Interpretation der Verffentlichungist gewiss paradox. Eine nicht mehr zu verhindernde Verffentlichung versichert sich ei-

    nes sichersten schutzes eben der ffentlichkeit. So gesehen nimmt die Publikation

    von Gedichten, die zuvor mndlich den freunden des engern bezirks vorgetragen und

    dann in Handschriften auch kursierten, den Texten die Aura, ein geheimbuch zu sein.

    Gerade fr ein solches geheimbuch htte sich die ffentlichkeit natrlich besonders

    interessieren knnen. Nun kennen Sie vielleicht die Geschichte von Edgar Allan Poe, wo

    ein Mord aufgeklrt werden soll und man das Apartment des Verdchtigen umkrempelt,

    dabei niemals auf einen Brief kommt, der ganz deutlich und offen fr alle auf einemTisch lag. Es scheint so, dass George hnliches mit seinen Argumenten insinuiert.

    Wie dem auch sei (wir werden noch auf den Stern des Bundes zurckkommen). Diese

    freunde des engern bezirks hat George dann in seinem letzten Gedichtband mit dem

    Titel Das Neue Reich als das Geheime Deutschland angesprochen. Fr dieses Ge-

    heime Deutschland war Hlderlin so etwas wie ein Passwort. Aber nicht nur dieser,

    auch andere wie Nietzsche oder Goethe scheinen hier eine Rolle zu spielen. Auf dieses

    Geheime Deutschland, zu dem auch der sptere Hitler-Attentter Claus von Stauffen-

    berg sich zhlte, hat sich Heidegger nun ausdrcklich bezogen.

    Im August 1934 hielt Heidegger zwei Vortrge in den Auslnderkursen der Freiburger

    Universitt ber Die deutsche Universitt. Der Charakter dieser Vortrge ist gem

    dem Anlass populr. Er ist im Grundton den herrschenden Krften gegenber affirmativ.

    Ich betone, dass ich das kritisiere (spter werde ich deutlicher werden).

    Heidegger spricht zunchst von der Universitt im Heraufkommen des modernen Geis-

    tes derNeuzeit. In ihr sei eine Befreiungdes Menschen aus den bisherigen Bindun-gen geschehen. Dann aber stellt Heidegger fest, da um die Zeit der Wende des 18.

    18

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    zum 19. Jahrhundert die Deutschen alles andere seien nur nicht frei1. Bekannt-

    lich wurde Preuen im Jahre 1806/07 von Napoleon besiegt und okkupiert. Danach fhrt

    Heidegger fort:

    Aber in all dieser politischen Ohnmacht lebte noch und lebte schon ein geheimes

    Deutschland. Aus der innersten Not und unter dem Druck der uersten Knechtschaft

    erwachte eineneue Freiheit. Das will sagen: Das Wesen der Freiheit wurde neu begriffen,in das Wissen und in den Willen der Deutschen eingepflanzt.2

    Das geheime Deutschland lebte noch, weil die politische Ohnmacht nicht soweit

    ging, es ganz zu unterdrcken. Es lebte schon, weil Heidegger implizit davon ausgeht,

    dass es auch zu seiner [Heideggers] Zeit lebt.

    Das Geheime Deutschland ist die Formel fr einen esoterischen Kreis von Wissen-schaftlern und Dichtern, die, und das musste Heidegger anziehen, ihren Kreis um ein

    sprachliches Ereignis - nmlich die Dichtung - bildeten. Dieses sprachliche Ereignis im-

    plizierte eine Art von bildungspolitischem Anspruch, den George auf Platon zurckfhr-

    te, allerdings auf einen Platon, den er eben nicht im Sinne der Philosophie, sondern der

    Dichtung, was einigermaen schwierig ist, auslegte. Es ist aber wichtig, diesen Aspekt

    des George-Kreises sehr ernstzunehmen. Die Esoterik dieser Gruppe, dieses Kreises o-

    der Bundes, ist nicht zu verbinden mit einem Verzicht auf das Politische. Im Gegenteil:

    gerade die Abwendung von der ffentlichkeit wurde im Kreis als ein politischer Akt ver-standen im Sinne einer Grndung einer Polis im Platonischen Sinn.

    Am Ende dieser meiner Ausfhrungen mchte ich noch erwhnen, dass dieses Gehei-

    me Deutschland aus einer Gruppe von Mnnern bestand, in der die politischen Ereig-

    nisse zu tiefen und traurigen Zerwrfnissen fhrten. Jdische Mitglieder wie Wolfskehl

    und Kantorowicz gingen ins Exil, andere liefen zu den Nazis ber. Aus diesem Kreis ent-

    sprang, wie ich schon sagte, der sptere hingerichtete Hitler-Attentter. Indem Heide-

    gger im Jahre 1934 das Regime noch bejahte, hatte seine Interpretation des GeheimenDeutschland eine Tendenz, die im Kreis nur teilweise geteilt wurde und die womglich

    der Hymne selber letztlich nicht zu entnehmen ist.

    19

    1 Martin Heidegger: Die deutsche Universitt. In:Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges 1910-1976(GA 16). Frankfurt am Main 2000, S. 290.

    2

    Ebd. Etwas spter spricht Heidegger im selben Text auch von einem kleinen Kreis der deutschen Ju-gend, der unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges die Frage der Entscheidung stellte und dabei aufihren groen und noch kaum verstandenen Mahner Friedrich Nietzsche (Ebd., S. 297) hrte.

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    Von den drei Modellen der Esoterik/Exoterik-Differenz knnen wir in Bezug auf Heide-

    gger folgendes lernen: 1.) eine reflektierte Heidegger-Hermeneutik muss adressatenbezo-

    gen sein bzw. die Adressatenbezogenheit von Heideggers Denken bercksichtigen; 2.)

    obwohl Heidegger nicht persnlich unter sozialer chtung zu leiden hatte, wird in die

    Konstituierung seiner Adressaten der Charakter oder die Stilisierung einer sozialen Iso-

    lierung oder Fremdheit eingehen; 3.) am George-Kreis konnte Heidegger sehen, inwie-

    fern das sprachliche Ereignis der Dichtung einen Bund von Personen bildete, der sich

    bildungspolitisch auf die klassisch-griechische Erbschaft Platons berief. Er konnte also

    hier lernen, inwiefern die Abwendung von der ffentlichkeit nicht notwendig verbun-

    den war mit dem Verzicht auf einen politischen Anspruch.

    20

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    3. Vorlesung (17. April)

    Ich hatte in der letzten Stunde mit meinen Ausfhrungen zum Esoterischen bei Heide-

    gger und in der Philosophie berhaupt begonnen. Dabei hatte ich vor allem den BegriffdesAdressaten bzw. dieAdressatenbezogenheitder Philosophie stark gemacht.

    Was darunter zu verstehen ist, ist Folgendes. Im Grunde ist jeder Gedanke als eine Er-

    scheinung von Sprache jeweils bezogen auf Jemanden. Dazu gehrt sogar, dass offenbar

    meine eigenen Gedanken sich an mich adressieren knnen. Damit meine ich, dass auch

    ich nicht immer gleich denke. Auch meine Gedanken scheinen sich differenziert an

    mich zu wenden, so z.B. in einem direkten Appell oder einer Selbstverurteilung. In unse-

    rem Fall haben wir es jedoch mit philosophischen Gedanken zu tun, die sich mit Not-wendigkeit unterschiedlich an unterschiedliche Andere adressieren mssen. Ich hatte

    damals vor allem auf Sokrates und die Politeia verwiesen. In ihr uert Sokrates/Platon

    z.B. den Gedanken, dass es hchste Kenntnisse gibt, die nur den Besten vorbehalten sei-

    en, das sind dann die Kenntnisse, die zur Herrschaft in der Polis bentigt werden.

    (Natrlich kann dieser Platonische Einfall kritisiert werden und das wurde er auch viel-

    fach. Was wurde kritisiert? Die Privilegierung des Wahrheitszugangs. Der philosophische

    Gedanke bzw. seine Wahr- oder Falschheit werden normalerweise als adressatenindiffe-

    rent aufgefasst. Das liegt zuletzt daran, dass der Wahrheitsbegriff, der hier gilt, formali-sierbar ist. So ist es unbezweifelbar, dass die Formel A=A wahr ist, egal wem gegenber

    ich sie uere. Sicher wird eingerumt, dass gleichsam natrliche Bedingungen die Ver-

    stehensprozesse von philosophischen Stzen strker oder leichter hemmen oder frdern

    knnen. M.a.W.: man braucht nicht darber zu streiten, dass z.B. bestimmte Behinderun-

    gen das Verstehen beeinflussen. Doch hier bleibt jedoch vorausgesetzt, dass die Mglich-

    keit des Verstehens eines Satzes fr jeden dieselbe ist, d.h. dass die Wahrheit prinzipiell

    indifferent gilt. Nun wird man vielleicht noch zugeben, dass dieuerungvon Wahrhei-

    ten unterschiedlich ausfallen kann. Das wird dann aber hchstens noch als Express-ionsphnomen anerkannt, was schlielich dann doch blo eine sthetische Frage ist.

    Diese Kritik ist hilfreich, weil sie uns zwingt, das Problem, um das es hier bei der Inter-

    pretation einer esoterischen Philosophie bei Heidegger geht, noch genauer zu fassen. So

    kann Platon in der Politeia, wenn er die hchsten Kenntnisse (,503d) den Besten reserviert eigentlich nicht meinen, dass hier eine besonders kompli-

    zierte Wahrheit verkndet wird. Formal wird auch Platon anerkennen, dass alle philoso-

    phischen Einsichten als vernnftige fr den Menschen schlechthin da sind. Das liegt

    mitunter daran, dass es nur eine Vernunft und einen Menschen fr jeden besonderen

    21

  • 8/7/2019 Trawny_Heidegger_Vorlesung 2008

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    Menschen gibt. Was kann er aber dann meinen? Womglich dieses, dass es eine Art von

    Herrschaftswissen gibt, an dem nicht alle partizipierensollten? Gewiss gibt es auch solcheMomente bei Platon, doch letztlich scheint mir auch das nicht das eigentliche Problem

    zu sein.

    Ich mchte es einmal so versuchen: formal betrachtet, ist der Zugang zur Weisheit bzw.zur Wahrheit adressatenindifferent. Es gibt sozusagen keine Extra-Wahrheit. Trotzdem

    aber werden nicht alle Menschen zu Philosophen, wenn sie die Wahrheiten der Philo-

    sophie zur Kenntnis nehmen. Formal msste das so mglich sein, dass es vielleicht nicht

    immer, aber doch hufiger als tatschlich verwirklicht werden msste. Das verweist da-

    rauf, dass Verstehen offenbar nicht schon immer Verstehen ist. Es gibt anscheinend

    ein Verstehen, das ber das formale Verstndnis von Wahrheiten hinausgeht. Auf So-

    krates bezogen knnte man fragen: ist es fr das Verstndnis der Wahrheit der Philoso-

    phie blo akzidentell, dass Sokratesnichtaus Athen geflohen ist und sich vor der Hin-richtung rettete? oder zeigt sich hier etwas, das fr die Philosophie und ihre Wahrheit

    zuhchst relevant ist? Wir wollen das Problem hier nicht lsen, ich mchte aber voraus-

    setzen, dass Heidegger diese Frage gewiss bejahen wrde. Verstehen ist etwas anderes

    als die mgliche Erfassung einer wahren oder falschen Prdikation oder als die mgliche

    Erfassung eines logischen Widerspruches, der Falschheit indiziert. Heidegger - und nicht

    nur er - wrde wohl nicht zgern, zu behaupten, es gebe auch Wahres im Widersprchli-

    chen. Oder noch anders gesagt: die Wahrheit lsst sich fr Platon und auch Heidegger

    nicht auf Argumente reduzieren. Wir werden auf dieses Problem sicher spter nocheinmal zurckkommen.)

    Ich hatte dann auf drei Modelle einer Esoterik/Exoterik-Differenzierung in der Philo-

    sophie hingewiesen. Das sind:

    1.) Die sogenannte Tbinger Schule in der Platon-Philosophie und ihre These von ei-

    ner esoterischen Philosophie bei Platon.

    2.) Leo Strauss Begriff des Esoterischen in seinem Buch Persecution and the Art of

    Writing.

    3.) Die Dichtung Stefan Georges bzw. der sogenannte George-Kreis, wobei dieser Aspekt

    meiner Ausfhrungen in einen unmittelbar historischen Zusammenhang mit Heideggers

    Philosophieren weist.

    Ich mchte noch einmal zitieren, was Hans-Joachim Krmer in seinem wichtigen Buch

    Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte der platonischen On-

    tologie. Heidelberg 1959, 17ff. ber das Esoterische schreibt: Der Begriff des Esoteri-

    schen lt sich nun in engerer und weiterer Bedeutung fassen: er kann in umfassendem

    22

  • 8/7/2019 Trawny_Heidegger_Vorlesung 2008

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    Sinn angewendet werden auf diemndliche Lehrttigkeitberhaupt, die als solche nebenden Schriften einhergeht, ohne da dabei ein inhaltlicher Unterschied unterliefe; er gilt

    zweitens - mit grerem Recht - fr diejenige - inhaltlich abgegrenzte -Sonderlehre, dienur mndlich entwickelt, aber nicht literarisch fixiert wird; und er trifft drittens - im ei-

    gentlichen Sinn - fr jene Lehre zu, welche nur in einem beschrnkten Kreis zugnglich,sonst aber mehr oder weniger geheim gehalten ist. Krmer betont demnach, dass das

    Esoterische fr ihn weniger oder mehr auf das mndlich Mitgeteilte bezogen wird.

    Zwar hat er eine Gradation, in welcher die eigentliche bewusste Geheimlehre das reinste

    Esoterische zu sein scheint, doch selbst hier geht es schlielich um das gesprochene im

    Unterschied zum geschriebenen Wort. Fr Platon reklamiert Krmer nun wohl alle drei

    Begriffe des Esoterischen.

    Ich hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Heideggers Esoterik mit

    diesem Modell nicht oder nur in einem spezifischen Sinne gefasst werden kann. Heide-ggers esoterische Philosophie orientiert sich nicht am Mndlichen, d.h. an der nicht-

    schriftlichen Adressierung eines philosophischen Gedankens. Heidegger ist im Gegenteil

    ein Philosoph der Schriftlichkeit. Wohl aber knnten wir den letzten Punkt aufmerksa-

    mer bercksichtigen, der besagt, dass sich das Esoterische an einen beschrnkten Kreisadressiert. Dieser sehr formale Aspekt des Esoterischen ist in der Tat bei Heidegger zu

    finden. Ich habe in der letzten Stunde schon darauf hingewiesen, wer dieser Kreis ist.

    Es sind die so genannten Zuknftigen.

    Das zweite Modell einer Esoterik/Exoterik-Differenz finden wir bei Leo Strauss. Wir fin-den es ausgefhrt in Aufstzen, die Strauss im Jahre 1952 unter dem Titel Persecution

    and the Art of Writing verffentlicht hat wie einem krzeren Text ber Lessing mit dem

    Titel Exoteric Teaching. Hier sei es die Verfolgung, das Verfolgtwerden, die Philoso-

    phen dazu gebracht habe between the lines zu schreiben. Strauss nennt diese Verfol-

    gung a necessary negative criterion (32). Der Text, den einer lesen will, muss geschrie-

    ben sein in an era of persecution, that is, at a time where some political or other ortho-

    doxy was enforced by law or custom. Dieses Kriterium betrifft dann vor allem Autoren,

    die z.B. mit den Lehrmeinungen von Theologen in Konflikt gerieten, das sind z.B. Hob-bes oder auch Rousseau. Wir wissen, dass diese Philosophen wirklich um ihr Leben zu

    frchten hatten. Nun liee sich vielleicht sagen, da Heidegger in der Mitte der Dreii-

    ger Jahre es immerhin mit einem Regime zu tun hatte, das in der Tat Menschen nicht nur

    aus rassistischen Grnden verfolgte. Gewiss htte Heidegger, was er in dem Manuskript

    Die Geschichte des Seyns (GA 69) aus dem Jahre 1939 ber die Macht und die

    Machthaber sagt, nicht verffentlichen knnen. Manche Heidegger-Interpreten sagen

    auch, dass die Nietzsche-Vorlesungen between the lines eine Kritik an der Rassen-Ide-

    ologie der Nazis mitteilt. Doch diesbezglich wre Heideggers Entscheidung, Manuskrip-te ohne eine Verffentlichungsabsicht anzufertigen, im Sinne von Strauss kein esoteric

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    writing. Heidegger wurde eben nicht verfolgt bzw. er ging jeder mglichen Verfol-

    gung aus dem Weg. Eine andere Frage ist jedoch, was Strauss unter persecution ge-

    nau verstand. Da lesen wir: The term persecution covers a variety of phenomena, ran-

    ging from the most cruel type, as exemplified by the Spanish Inquisition, to the mildest,

    which is social ostracism. (32) Soziale chtung nun, d.h. z.B. die Bedrohung sozialer Si-

    cherheit durch bestimmte soziale Druckmittel wie Armut und gesellschaftliche Margina-

    lisierung, gibt es beinahe fr jeden Philosophen. Wir knnten hier z.B. an Nietzsche

    denken, der ja nicht - wie Rousseau - vor Verfolgern fliehen musste, dessen Schriften

    auch nicht symbolisch bzw. stellvertretend ffentlich verbrannt wurden (Hobbes, Rous-

    seau) und dessen Texte auch nicht (wie noch bei Kant) zensiert wurden. Man hat ihn so-

    zusagen einfach nicht beachtet - im sozialen Sinne, meine ich. Wir mssen jedoch auch

    in dieser Hinsicht sagen, dass Heidegger wohl niemals wirklich sozial gechtet worden

    ist, selbst wenn er - wie wir noch sehen werden - die Adressaten der Beitrge in sol-

    cher Gefahr sehen wollte, d.h. sie auch stilisierte. Vielleicht knnen wir sogar sagen, dasseine bestimmte Fremdheit im Verhltnis zur sozialen Welt in Heideggers von mir soge-

    nannter esoterischer Philosophie zu finden ist. Heidegger nennt jene Zuknftigen je-

    denfalls Fremdlinge. Doch letztlich ist, wenn wir z.B. den Erfolg des spteren Denkens

    von Heidegger in Frankreich sehen, doch zu sagen, dass auch Strauss Konzept des eso-

    teric writing nicht auf Heidegger anzuwenden ist.

    (Vielleicht macht man es sich aber auch mit dieser Frage nach der Sozialitt der Philo-

    sophie immer zu einfach. Was bedeutet es in sozialer Hinsicht, philosophieren zu wollenbzw. Philosoph werden zu wollen (um es einmal in aller ntigen Naivitt zu fragen)? Im

    Grunde haben die Philosophen das von Beginn an reflektiert. Und vielleicht ist so gese-

    hen das Sein des Philosophen doch geradezu prinzipiell sozial gechtet, will sagen, von

    einer Andersheit und Fremdheit ausgezeichnet, die ihn aus dem Herzen des sozialen Le-

    bens entfernt. Vielleicht ist der Philosoph doch stets, wie Arendt nahelegt, ein Paria

    (vgl. zu Rachel Varnhagen). Und vielleicht ist das auch ntig, weil sich nur als Paria et-

    was sehen lsst, das die Mchtigen und Reichen und vielleicht auch Schnen niemals

    sehen knnen. Sie sehen, wieder haben wir es mit dem Problem zu tun, ob es ein Vers-

    tehen von Wahrheiten gibt, das ber blo formale Nachvollzge von Argumenten hi-

    nausgeht.)

    Was nun doch wohl unbezweifelbar einen gewissen Einfluss auf Heideggers Selbst-

    verstndnis als Philosoph und seine Entscheidung, einen Text wie die Beitrge zur Phi-

    losophie (oder auch andere solche Texte) zu schreiben, ausgebt hat, ist die esoterische

    Dichtung Stefan Georges bzw. die Wirkungsgeschichte dieser Dichtung in einem

    Kreis. In Heideggers Denken finden wir diesen Einfluss ganz massiv in seiner Inter-

    pretation der Dichtung Friedrich Hlderlins vor, die er durch die erste historisch-kriti-sche Gesamtausgabe von Norbert von Hellingrath kennenlernte. Von Hellingrath, den

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    Heidegger verehrte, war jung im Ersten Weltkrieg gefallen und gehrte eben zu jenem

    George-Kreis. Mehr von Bedeutung ist, dass Georges eigene Sicht von Hlderlin, die er

    freilich auf die eigene Auffassung als Dichter bertrug, Heideggers Einstellung zu

    Hlderlins Dichtung und durch diese Einstellung hindurch sein Verstndnis der Philo-

    sophie beeinflusste. Georges Auffassung der Dichtung impliziert eine esoterische Ent-

    scheidung, die wir interessant ausgefhrt in einer Vorrede zu einem Gedichtband von

    1914 mit dem Titel Der Stern des Bundes finden. Hier rechtfertigt der Dichter die

    Publikation dieser Gedichte. Da heit es: der Stern des Bundes war zuerst gedacht fr

    die freunde des engern bezirkes und nur die erwgung dass ein verborgen-halten von

    einmal ausgesprochenem heut kaum mehr mglich ist hat die ffentlichkeit vorgezogen

    als den sichersten schutz. Dann haben die sofort nach erscheinen sich berstrzenden

    welt-ereignisse die gemter auch der weiteren schichten empfnglich gemacht fr ein

    buch das noch jahrlang ein geheimbuch htte bleiben knnen. (SW VIII, 5) Diese In-

    terpretation der Verffentlichung ist gewiss paradox. Eine nicht mehr zu verhinderndeVerffentlichung versichert sich eines sichersten schutzes eben der ffentlichkeit. So

    gesehen nimmt die Publikation von Gedichten, die zuvor mndlich den freunden des

    engern bezirks vorgetragen und dann in Handschriften auch kursierten, den Texten die

    Aura, ein geheimbuch zu sein. Gerade fr ein solches geheimbuch htte sich die f-

    fentlichkeit natrlich besonders interessieren knnen. Nun kennen Sie vielleicht die Ge-

    schichte von Edgar Allan Poe, von ein Mord aufgeklrt werden soll, man das Apartment

    des Verdchtigen umkrempelt und niemals auf einen Brief kommt, der ganz deutlich und

    offen fr alle auf einem Tisch lag. Es scheint so, dass George hnliches mit seinen Ar-gumenten insinuiert.

    Wie dem auch sei (wir werden noch auf den Stern des Bundes zurckkommen). Diese

    freunde des engern bezirks hat George dann in seinem letzten Gedichtband mit dem

    Titel Das Neue Reich als das Geheime Deutschland angesprochen. Fr dieses Ge-

    heime Deutschland war Hlderlin so etwas wie ein Passwort. Aber nicht nur dieser,

    auch andere wie Nietzsche oder Goethe scheinen hier eine Rolle zu spielen. Auf dieses

    Geheime Deutschland, zu dem auch der sptere Hitler-Attentter Claus von Stauffen-

    berg sich zhlte, hat sich Heidegger nun ausdrcklich bezogen.

    Im August 1934 hielt Heidegger zwei Vortrge in den Auslnderkursen der Freiburger

    Universitt ber Die deutsche Universitt. Der Charakter dieser Vortrge ist gem

    dem Anlass populr. Er ist im Grundton den herrschenden Krften gegenber affirmativ.

    Ich betone, dass ich das kritisiere (spter werde ich deutlicher werden).

    Heidegger spricht zunchst von der Universitt im Heraufkommen des modernen Geis-

    tes derNeuzeit. In ihr sei eine Befreiungdes Menschen aus den bisherigen Bindun-gen geschehen. Dann aber stellt Heidegger fest, da um die Zeit der Wende des 18.

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    zum 19. Jahrhundert die Deutschen alles andere seien nur nicht frei (GA 16,

    290). Bekanntlich wurde Preuen im Jahre 1806/07 von Napoleon besiegt und okkupiert.

    Danach fhrt Heidegger fort:

    Aber in all dieser politischen Ohnmacht lebte noch und lebte schon ein geheimes

    Deutschland. Aus der innersten Not und unter dem Druck der uersten Knechtschaft

    erwachte eineneue Freiheit. Das will sagen: Das Wesen der Freiheit wurde neu begriffen,in das Wissen und in den Willen der Deutschen eingepflanzt.

    (Etwas spter spricht Heidegger im selben Text auch von einem kleinen Kreis der deut-

    schen Jugend, der unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges die Frage der Ent-

    scheidung stellte und dabei auf ihren groen und noch kaum verstandenen Mahner

    Friedrich Nietzsche (GA 16, 297) hrte.)

    Das geheime Deutschland lebte noch, weil die politische Ohnmacht nicht soweit

    ging, es ganz zu unterdrcken. Es lebte schon, weil Heidegger implizit davon ausgeht,

    dass es auch zu seiner [Heideggers] Zeit lebt.

    Das Geheime Deutschland ist die Formel fr einen esoterischen Kreis von Wissen-

    schaftlern und Dichtern, die, und das musste Heidegger anziehen, ihren Kreis um ein

    sprachliches Ereignis - nmlich die Dichtung - bildeten. Dieses sprachliche Ereignis im-

    plizierte eine Art von bildungspolitischem Anspruch, den George auf Platon zurckfhr-te, allerdings auf einen Platon, den er eben nicht im Sinne der Philosophie, sondern der

    Dichtung, was einigermaen schwierig ist, auslegte. Es ist aber wichtig, diesen Aspekt

    des George-Kreises sehr ernstzunehmen. Die Esoterik dieser Gruppe, dieses Kreises o-

    der Bundes, ist nicht zu verbinden mit einem Verzicht auf das Politische. Im Gegenteil:

    gerade die Abwendung von der ffentlichkeit wurde im Kreis als ein politischer Akt ver-

    standen im Sinne einer Grndung einer Polis im Platonischen Sinn.

    Von den drei Modellen der Esoterik/Exoterik-Differenz knnen wir in Bezug auf Heide-gger folgendes lernen: 1.) eine reflektierte Heidegger-Hermeneutik muss adressatenbezo-

    gen sein bzw. die Adressatenbezogenheit von Heideggers Denken bercksichtigen; 2.)

    obwohl Heidegger nicht persnlich unter sozialer chtung zu leiden hatte, wird in die

    Konstituierung seiner Adressaten der Charakter oder die Stilisierung einer sozialen Iso-

    lierung oder Fremdheit eingehen; 3.) am George-Kreis konnte Heidegger sehen, inwie-

    fern das sprachliche Ereignis der Dichtung einen Bund von Personen bildete, der sich

    bildungspolitisch auf die klassisch-griechische Erbschaft Platons berief. Er konnte also

    hier lernen, inwiefern die Abwendung von der ffentlichkeit nicht notwendig verbun-

    den war mit dem Verzicht auf einen politischen Anspruch.

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    Wiederaufnahme des Anfangs. In den Beitrgen zur Philosophie vollzieht Heidegger

    eine Abwendung von den Diskursen der ffentlichkeit und eine Zuwendung zu be-

    stimmten nicht-ffentlichen Adressaten, die wir vorlufig als die Zuknftigen kenntlich

    gemacht haben. Diese esoterische Wendung seines Denkens begrndet Heidegger mit

    der Notwendigkeit, den echten Bezug zum Wort einzuhalten. Was demnach in den

    Beitrgen zur Philosophie mindestens mitthematisiert wird, ist der prekre Status derPhilosophie in der Moderne.

    In der Mitte der dreiiger Jahre stellt sich fr Heidegger die Frage nach dem Sinn der

    Philosophie, nach ihrer Bedeutung und somit nach ihrer Mglichkeit. En passant sagt

    Heidegger das einmal im Kontext von Aufzeichnungen zu Hlderlins Empedokles-

    Bruchstcken, also in Aufzeichnungen aus derselben Zeit: Denn weil ja die Philoso-

    phie zwischen Ende und Anfang steht, ist ihre Aufgabe eine einzig-einmalige [...]. (GA75, 333) Die Philosophie hat eine einzig-einmalige Aufgabe, weil sie sich in einer ein-

    zigartigen Situation befindet. Eine solche Situation knnen wir als Krise bezeichnen.

    Womglich wrde der Philosoph sagen, das jede Situation der Philosophie einzig-ein-

    malig ist, weil sie eben jeweils in einer besonderen geschichtlichen Lage sich befindet.

    Doch die Einzigkeit und Einmaligkeit der Philosophie fr uns - insofern Heideggers

    Lagebeurteilung noch fr uns gilt - ist die Krise, in der nicht etwa eine Richtung des

    Philosophierens fraglich ist, sondern ob das Philosophieren berhaupt noch einen Ort

    hat. Um das aber besser zu verstehen, mssen wir die Beitrge daraufhin untersuchen,wie Heidegger diese Krisen-Situation fasst und denkt.

    Wir sahen, dass Heidegger die Philosophie gleichsam vor der Wissenschaft retten

    mchte, indem er die Wissenschaft mit der ffentlichkeit identifiziert. Daher ist es

    wichtig, in einem nchsten Schritt zu sehen, wie Heidegger diese Wissenschaft ver-

    steht. In den Beitrgen finden wir dazu die so genannten Stze ber die Wissen-

    schaft (144-159). Diese Stze sind zuweilen sehr polemisch. Sie sind auch manchmal

    auf bestimmte damals aktuelle Phnomene bezogen wie z.B. auf die Entstehung der sogenannten Zeitungswissenschaft, d.i. der Vorlufer der Kommunikations- und Medi-

    enwissenschaft. Ich mchte versuchen, die Polemik und Zeitbezogenheit im Folgenden

    so weit es geht hinunterzustimmen. Fr das Verstndnis der Krise der Philosophie

    scheint zumindest die Polemik nicht sehr hilfreich zu sein. Die Zeitbezogenheit aller-

    dings ist nicht ganz belanglos, weil sie mit der einzig-einmaligen Aufgabe der Philoso-

    phie zusammenhngt.

    Was also ist nach Heidegger die Wissenschaft. Das erste, was der Philosoph betont, ist,

    dass Wissenschaft immer im neuzeitlichen Sinne verstanden werden msse (145).

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    Die mittelalterliche Lehre - die doctrina - und die griechische Erkenntnis - sagen

    wir einfach die - seien davon grundverschieden. Zugleich aber bestimmtensie mittelbar und gewandelt das mit, was wir heute als Wissenschaft kennen und al-

    lein auch, gem unserer geschichtlichen Lage, betreiben knnten. Damit widerspricht

    Heidegger einer Interpretation der Philosophie als Wissenschaft, die zwischen der

    griechischen und der modernen Wissenschaft eine bruchlose Entwicklungsehen will. Mit dem Anfang der Neuzeit ist etwas in die Geschichte gekommen, das sich

    von der Antike und dem Mittelalter grndlich unterscheidet.

    [Randbemerkung: Man knnte diese erste Einschtzung der Lage mit Max Webers Rede

    Wissenschaft als Beruf und Husserls Philosophie als strenge Wissenschaft verglei-

    chen. Dabei wrde man erkennen, dass Weber einen radikalen Unterschied zwischen

    dem Anfang der Wissenschaft und der Moderne setzt mit der Wendung von der Ent-

    zauberung der Welt, d.h. mit einem Prozess der durchgreifenden Rationalisierung. AmEnde dieses Prozesses befindet sich eine Wissenschaft, die ber ihren Sinn nicht

    mehr wissenschaftlich befinden kann. Nur noch als Privatmann kann ich irgendeinen

    Sinn voraussetzen, der aber nicht mehr diskursiv sein kann, weil ich eine andere private

    Sinnsetzung nicht zu widerlegen vermag. Husserl widerspricht dem entschieden. Denn

    er mchte eine mehr oder weniger bruchlose Verfassung der Wissenschaft behaupten,

    auch wenn jener Text schon aus einer spezifischen Defensive heraus argumentiert. Sp-

    ter, in der so genannten Krisis-Schrift (Krisis der neuzeitlichen Wissenschaft), wird

    er dann die transzendentale Phnomenologie gegen einen bestimmten Objektivismusverteidigen bzw. in solchem Objektivismus das bel der Wissenschaft sehen. Doch

    Heidegger geht ber diese Sicht durchaus hinaus. Ich halte brigens Webers Rede fr

    zeitgemer als Husserls berlegungen.]

    In den Beitrgen belegt Heidegger die Behauptung eines Unterschiedes der neuzeitli-

    chen zur antiken und mittelalterlichen Wissenschaft mit dem Hinweis, dass die neu-

    zeitliche und moderne Wissenschaft auf das Experiment und auf mit ihm zusam-

    menhngende Instrumente verwiesen ist. Die Voraussetzung fr das neuzeitliche Ex-periment seien zunchst der mathematische Entwurf der Natur, die Auffassung des

    Seins als der Gegenstndlichkeit und der Vor-gestelltheit (etwas brigens, das Hus-

    serl in seiner Kritik des Objektivismus nicht thematisiert hat, also dieses, dass die tran-

    szendentale Phnomenologie in den Prozess der Objektivierung des Seins selber noch

    hineingehrt). In diesem Sinne darf man wohl hinzufgen, dass sich fr Heidegger seit

    Descartes der Wahrheitsbegriff zur certitudo, zur Gewissheit, gewandelt hat, d.h. dass die

    Gewissheit und folglich die rationale berprfbarkeit ein notwendiges Element des

    Wahren geworden ist. Zugleich drfen wir wohl auch daran erinnern, dass Francis Bacon

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    das Wissen und die Wissenschaft zum ersten Mal als Macht charakterisiert. Die Natur-

    betrachtung wird zur Naturbeherrschung.

    Ohne dass Heidegger das hier sagt, mchte ich bezglich der und der mittelal-terlichen doctrina oder scientia noch eine eigene Beobachtung hinzufgen. Fr Platon

    und Aristoteles bleibt die an die gebunden. Das Wissen ist eine beson-dere Tugend, eine Bestheit des Menschen, ber welche nicht alle Menschen verfgen

    und auch gem ihrer , ihrer Natur oder ihres Charakters, nicht verfgen knnen.Diese Tugend ist dann niemals unabhngig von anderen Tugenden. Der Mann oder die

    Frau, der oder die hat oder, besser, nach ihr strebt, strebt auch nach Gerechtig-keit, Tapferkeit und Besonnenheit - d.h. der Wissende oder Strebende ist notwendig

    auch gerecht, tapfer und besonnen. Mit der Mathematisierung des Wissens, mit dem

    Experiment und dem Instrument tritt eine Indifferenz auf, die das Wissen von der

    Tugend abkoppelt. Der Naturforscher und dann der Forscher berhaupt braucht nichtgerecht zu sein. Fr das Mittelalter bleibt verbindlich, dass die Natur ein ens creatum des

    Schpfers ist. Die Natur ist damit in einen ordo eingefgt, in welcher die reine Naturfor-

    schung als solche gar nicht existiert. Fr Augustinus - der freilich nicht zum Mittelalter

    gehrt - ist eine bloe Betrachtung des Natrlichen die curiositas, eine Neugierde, die als

    Wissen nicht anerkannt wird. Ja, im Grunde ist sie sogar sndhaft.

    Zurck zu Heidegger. Wissenschaft ist also ein Phnomen der Neuzeit. Demnach, so

    der Philosoph, ist die Wissenschaft selbstkein Wissen im Sinne der Grndung undBewahrung einer wesentlichen Wahrheit, d.h. keine Philosophie, sondern eine abgelei-

    teteEinrichtungeines Wissens, d.h. die machenschaftliche Aufmachung eines Umkreisesvon Richtigkeiten innerhalb eines sonst verborgenen und fr die Wissenschaft gar nicht

    fragenswrdigen Bezirkes einer Wahrheit (ber die Natur, die Geschichte, das Recht

    z.B.). Fr das Adjektiv machenschaftlich verwenden wir hier vorerst einmal das Wort

    technisch. Heidegger will sagen, dass die Wissenschaft nicht mehr nach der Wahr-

    heit ihres Gegenstandes fragt, sondern diese Frage fr irrelevant hlt. Was die Wahr-

    heit der Natur ist, ist fr die Naturwissenschaft gleichgltig. Die Wissenschaft ist anrichtigen Aussagen ber etwas Vorgegebenes, ber ein positum interessiert. Insofern

    ist jede Wissenschaft positive Wissenschaft. Sie bezieht sich auf Vorhandenes, das

    selbstverstndlich als solches vorausgesetzt wird. So wie die Naturwissenschaft nicht

    mehr fragt: was ist die Natur in Wahrheit? fragt die Geschichtswissenschaft fr gewhn-

    lich nicht, was die Geschichte in Wahrheit sei (natrlich gibt es Ausnahmen). Was fr die

    Elementarteilchenphysik subatomare Teilchen sind, sind fr die Geschichtswissenschaft

    die Quellen bzw. Dokumente historischer Erkenntnis.

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    Das daraus folgende nchste Merkmal der Wissenschaft sei, dass es sie gar nie und

    nirgends gebe, will sagen, die Wissenschaft entfalte sich in Einzeldisziplinen, die sich je

    nach ihren Gegenstandsgebieten ausrichten. In dieser Hinsicht ist die Spezialisierung

    oder, wie Heidegger sagt, Spezialistik eine notwendige innere Folge ihres Charaktersals Einzelwissenschaft und unveruerliche Bedingung ihres Bestandes und d.h. immer

    ihres Fortschritts. In diesem Kontext mchte ich wieder auf der Basis von Webers Wis-

    senschaft als Beruf hinzufgen, dass es bei solcher Spezialistik berhaupt keine Rol-

    le spielt, worauf man sich spezialisiert. Wichtig ist allein, dass man es tut. So stehe ichhier vor ihnen als Spezialist fr Heidegger. Ich knnte aber auch einer fr Platon, Karl

    Popper oder Angelus Silesius sein. Es ist nicht etwa wichtiger, eine Vorlesung ber Aris-

    toteles zu hren oder zu halten im Vergleich zu einer ber Habermas - allein das Faktum

    und der Grad der Spezialisierung spielt eine Rolle. Nach Weber meint das: in der

    Wissenschaft gebe es keine Werte, sondern nur Tatsachen. Jede Einzelwissenschaft

    ist indifferent gegenber ihren mglichen Gegenstnden.

    Ein weiterer wichtiger Charakterzug der neuzeitlichen Wissenschaft ist sodann nach

    Heidegger, dass sie erklrend sei. Das meint, dass Unbekanntes des Gebietes in ver-schiedenen Weisen und Reichweiten der Rckfhrung auf ein Bekanntes und Verstnd-

    liches zurckgebracht werde. Dabei scheint mir, dass solches Erklren damit zusam-

    menhngt, dass stets Vorhandenes, Gegebenes, d.h. Objekte die Grundlage der Wissen-

    schaften ausmachen. Eine Frage als solche z.B. kann kein Gegenstand einer Wissen-

    schaft sein, sondern eigentlich nur ihre Antwort. bertragen auf die Philosophie alsWissenschaft bedeutet dies, dass die Frage nach dem Sinn von Sein bei Heidegger einmglicher Gegenstand der Forschung sein kann, aber eben nicht einfach die Frage nach

    dem Sinn von Sein. Denn mit der Gegenstandsangabe bei Heidegger ist der spezielle

    Bereich einer Untersuchung festgelegt. Dann kann man erklren, was damit gemeint

    ist (genau das tue ich ja hier im Grunde).

    Damit kommen wir auf einen anderen wichtigen Aspekt der Wissenschaft und zwar

    der Geisteswissenschaft, ber die Heidegger auch spricht. Dabei geht es um den histo-rischen Grundzug der Geisteswissenschaft, mithin auf das Problem des Historismus.

    Nach Heidegger nhrt sich alle Historie aus dem Vergleichen und dient der Auswei-

    tung der Mglichkeiten des Vergleichens. Bei diesem Vergleichen komme die Histo-

    rie niemals zur Einzigkeit des Einmaligen und Einfachen, angesichts dessen die Histo-

    rie, falls sie jemals vor Solches bringen knnte, sich selbst als unzureichend erkennen

    msste. Das Vergleichen sei im Wesen ein Gleichmachen, die Rckbeziehung auf ein

    Gleiches, das als solches gar nicht ins Wissen komme. Diese Kritik am Historismus,

    die sich brigens durchaus von derjenigen Leo Strauss unterscheidet, die ich, ehrlich

    gesagt, derjenigen von Heidegger vorziehen wrde, lsst sich womglich an einem Bei-

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    spiel am Besten illustrieren. Die Einigkeit des Einmaligen und Einfachen - wir hrten

    bereits von dieser Wendung in Heideggers Gedanke, dass die Philosophie heute eine

    einzig-einmalige Aufgabe habe - hngt fr den Philosophen mit dem Wesen der Ge-

    schichte selbst zusammen. In der Geschichte ist jedes wirkliche geschichtliche Gescheh-

    nis einzigartig so wie die Geschichte selbst (was hier jetzt nicht wichtig ist). Nehmen

    wir Hlderlins Dichtung, so ist es fr Heidegger mglich zu denken, dass diese Dichtung

    vllig unvergleichbar in einem einzig-einmaligen Augenblick der Geschichte einzig-

    einmalig zu uns, den Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts spricht. Es ist mglich,

    dass dieses fr sptere Generationen sich ganz anders darstellen wird. Fr diese unsere

    geschichtliche Situation sei es aber eben so und nicht anders, was freilich nicht leicht

    ausweisbar sein drfte. Diese Hinsicht knne die Geschichtswissenschaft (und mit ihr

    die vergleichenden Geisteswissenschaften) nicht bernehmen, denn ber Hlderlin

    werde stets nur im Vergleich, d.h. in einer historischen Kontextualisierung gesprochen.

    Fr den Historiker ist also nichts einzigartig, weil sich das Einzigartige nicht ver-gleichen und d.h. dann nicht erklren lsst. Denn Erklrung heisst Vergleich bzw.

    Kontextualisierung. Fr Hlderlin gilt dann, dass seine Frhdichtungen nicht ohne

    Schiller, seine Hymnen nicht ohne Pindar etc. zu verstehen seien.

    Lassen Sie mich noch einen Augenblick dabei bleiben. In Bezug auf Hlderlin hat natr-

    lich das Gesagte der Hymnen, d.h. der wrtliche Inhalt, z.B. bei der Herstellung von Edi-

    tionen und Kommentaren eine gewisse Bedeutung. Doch die Literaturwissenschaft kann

    sich auf den letzten Anspruch eines Gedichtes als Wissenschaft nicht einlassen. Dennnach Weber msste dann hier eine Wertschtzung stattfinden dahingehend, dass maneinen spezifischen Sinn eines Gedichtes oder den Rang eines Dichters ber andere stel-

    len knnte. Das kann jeder machen, aber eben nicht als Wissenschaftler. Denn eine

    solche Wertschtzung widerspricht dem Sinn der Spezialisierung. Ein Hlderlin-Spe-

    zialist ist ja nicht wichtiger als ein Goethe-Spezialist.

    Zum Ort solcher Wissenschaften uert sich Heidegger auch. Es sei die Universi-

    tt als Sttten der wissenschaftlichen Forschung und Lehre. Das ist ein durchaus ba-nales und aktuelles Urteil. Die Universitten wrden nach Heidegger nun zu reinen

    und immer wirklichkeitsnheren Betriebsanstalten, in denen nichts zur Entscheidung

    komme. Dass Heidegger, nachdem er den Charakter der neuzeitlichen Wissenschaften

    wie gerade beschrieben erlutert hat, von einer solchen Entscheidung spricht, ber-

    rascht vielleicht. Wir haben es hier wahrscheinlich mit einem Reflex auf die berhmt-be-

    rchtigte Rektorats-Rede zu tun, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. Ich in-

    teressiere mich hier fr die esoterische Abwendung Heideggers von der ffentlichkeit

    und, indem die Wissenschaft zu ihr gehrt, auch fr seine Bestimmung des Verhltnis-

    ses von Philosophie und Universitt. Diese lautet nun zuletzt bei Heidegger folgen-

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  • 8/7/2019 Trawny_Heidegger_Vorlesung 2008

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    dermaen: Die Philosophie, hier nur verstanden als denkende Besinnung auf die Wahr-

    heit und d.h. Fragwrdigkeit des Seyns, nicht als historische und System anfertigende

    Gelehrsamkeit, hat an der Universitt und vollends in der Betriebsanstalt, die sie wer-

    den wird, keinen Ort. Denn sie hat berhaupt nirgendwo einen solchen, es sei denn je-

    nen, den sie selbst grndet, zu dem aber kein Weg von irgend einer festen Einrichtung

    aus unmittelbar hinzufhren vermag. (GA 65, 156) Nach all dem, was wir ber die Wis-

    senschaft gehrt haben, kann diese Konsequenz nicht mehr berraschen. Den einzigen

    Ort, den Heidegger als einen solchen fr die Philosophie akzeptiert, ist einer, den sie

    selbst grndet (nicht begrndet). Das scheint einen gewissen Anspruch der Philoso-

    phie zu behaupten.

    Lassen wir das einmal fr jetzt so stehen und blicken wir noch einmal auf das Gesagte zu

    rck. Was Heidegger beschreibt und interpretiert, ist eine durch Brche, Vernderungen

    und Verwandlungen markierte Wissenschaftsgeschichte, die einmal anscheinend in derantiken griechischen Philosophie begann, das Mittelalter als ancilla theologiae durch-

    querte und in der Neuzeit die entscheidenden Transformationen durchmachte. Von er-

    heblicher Bedeutung ist dabei das von Heidegger seynsgeschichtlich verstandene Auf-

    treten einer spezifischen Technik, die offenbar eine tiefgreifende Umorientierung der

    Wissenschaft im frhen 19. Jahrhundert zur Folge hatte (fr Heidegger noch frher).

    Wenn am Anfang diese Geschichte mit und in der Philosophie entspringt (),vorausgesetzt wir knnen berhaupt noch von einer Geschichte sprechen, und die Philo-

    sophie das Ganze in seinen aufeinander bezogenen Teilen bedenkt, dann ist am Endedieser Geschichte die Philosophie eine Geisteswissenschaft neben anderen Geistes-

    wissenschaften in einem spezifischen Verhltnis zur Naturwissenschaft in einer Insti-

    tution namens Universitt.

    Nun liee sich freilich darber gar nicht klagen bzw. diese Geschichte wrde ganz un-

    problematisch sein, wenn nicht die Philosophie selber in dieser ihrer Integration in die

    Geisteswissenschaften elementare Merkmale ihres traditionellen Selbstverstndnisses

    htte aufgeben mssen. Das hngt nun mit dem Ort zusammen, den die Philosophieselber grnde. Ohne fr jetzt zu wissen, was das heissen soll, knnen wir schon vor-

    lufig darauf hinweisen, dass Heidegger immer wieder betont, die Philosophie frage nach

    der Wahrheit des Seyns. Sie fragt dann nicht etwa nach einer philosophischenWahrheit, sondern nach der Wahrheit des Ganzen. So gesehen wre die Philosophie

    niemals ein Fach, sondern der Ort einer ganz unfachlichen Frage. Es ginge wohl hier

    eher um eine Frage, in welcher auch die Wissenschaften eine Bedeutung htten. Um-

    gekehrt drfte dann aber nicht gedacht werden, dass die Philosophie in ihrer Frage eine

    gegebene Wissenschaft bereits als verbindlich akzeptierte. Diese Wahrheit oder ihr

    Fragen danach wrde die Wissenschaft mitumfassen. Doch eine solche umfassendere

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  • 8/7/2019 Trawny_Heidegger_Vorlesung 2008