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Angela Pilch Ortega · Andrea Felbinger · Regina Mikula Rudolf Egger (Hrsg.)

Macht – Eigensinn – Engagement

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LernweltforschungBand 7

Herausgegeben von

Heide von FeldenRudolf Egger

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Angela Pilch Ortega Andrea Felbinger · Regina Mikula Rudolf Egger (Hrsg.)

Macht – Eigensinn –EngagementLernprozesse gesellschaftlicher Teilhabe

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

1. Auflage 2010

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

Lektorat: Stefanie Laux

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-17085-5

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Inhaltsverzeichnis

Rudolf Egger Vorwort 7

Werte, Kriterien, Ziele

Heiner Keupp Visionen der Zivilgesellschaft: Der aufmüpfige Citoyen oder eine Mittelschichtveranstaltung? 17

Melanie Krug/Michael Corsten Sind Nicht-Engagierte nicht eigensinnig? 41

Rudolf Egger „The wider benefits of negotiations“. Zur Entstehung von sozialer Wertschöpfung in gewerkschaftlichen Bezügen 63

Angela Pilch Ortega Biographisierte Wir-Bezüge und ihre Relevanz für soziales Engagement. Eine kritische Momentaufnahme 81

Regina Mikula Sozial-Kapital als Bedingungsfeld und studentisches Engagement als Möglichkeitsraum für individuelle und kollektive Veränderungsprozesse 99

Perspektiven, Ressourcen, Fälle

Peter Alheit Lernwelt „Nachbarschaft“: Zur Wiederentdeckung einer wichtigen Dimension 121

Heiner Keupp Kommunale Förderbedingungen für bürgerschaftliches Engagement 137

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Wolf-Dietrich Bukow/Sonja Preißing „Wir sind kölsche Jungs“. Die „Kalker Revolte“ – Der Kampf um Partizipation in der urbanen Gesellschaft 151

Andrea Felbinger Gesellschaftlicher Ressourcenmangel als Entwicklungschance? Oder: Die Suche nach Sinn durch gesellschaftliches Engagement am Beispiel ehrenamtlicher Sachwalterschaft 173

Michael May Produktionsweisen des Sozialen älterer Migrantinnen und Migranten in Deutschland 189

Michael Wrentschur Neuer Armut entgegenwirken: Politisch-partizipative Theaterarbeit als kreativer Impuls für soziale und politische Partizipationsprozesse 211

Michaela Harmeier Lehrengagement zwischen biographischer Selbstfindung und Wissensvermittlung: Ehrenamt in der Erwachsenenbildung 233

Patrick Meyer-Glitza Nicht-tötende Rinderhaltung als neue Herausforderung für den Ökologischen Landbau – eine Fallstudie 249

Cornelia Dinsleder/Katharina Faltis/Andrea Felbinger/Andrea Mayr/ Helga Moser/Karin Pesl-Ulm/Harald Ploder/Elisabeth Puster/Katica Stanić Die Herausbildung professioneller Handlungsmacht in der Berufswelt einer Betriebsrätin 267

AutorInnenverzeichnis 283

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Vorwort

Die Begriffe, mit denen eine Gesellschaft beschrieben wird, sind Ergebnisse von Deu-tungsversuchen rivalisierender Interessensgruppen und deren Weltsicht. Die hier in die Diskussion gebrachten Prinzipien, Urteile und Überzeugungen bestimmen in ih-ren Interpretationsräumen das soziale Gewebe, innerhalb dessen wir unser Leben interpretieren. Gesellschaftliche Macht beruht deshalb nicht einfach auf Gewalt, Zwang oder Unterdrückung, sondern in Demokratien ist die Erlangung und Erhal-tung von Zustimmung zu bestimmten Erzählungen und Interpretationen von Gesell-schaftsvorstellungen zentraler Bestandteil der Absicherung von Herrschaft. Heute dominieren hier (trotz der anhaltenden und sich noch verschärfenden Krisen) neoli-berale Denkweisen, die den Ort des Handelns von Individuen in Konsumentschei-dungen und globalen Wirtschaftstrends auflösen. Der Versuch, die Krisen unserer Gesellschaft durch derartige ökonomische und technologische Strategien, durch mehr Effizienz im Wirtschaftssystem, durch immer neue Kontrollen im Finanzsystem, durch Pflegeroboter oder Autokatalysatoren etc. meistern zu wollen, die Hoffnung, durch mehr Technik und Markt zu einer gerechteren, rationaleren Welt beizutragen, scheint als Interpretationsfundament unserer Welt trotz zahlreicher gravierender Not-lagen kaum an Attraktivität eingebüßt zu haben. Es weist vieles darauf hin, dass das Abrücken von dieser Marktgläubigkeit mit einer enormen Angst vor der zunehmen-den sozialen Komplexität gesellschaftlicher Sachverhalte und einer damit einherge-henden Überforderung der Subjekte einhergeht. Die Welt jenseits der reinen ökono-mischen Parameter von Kosten-Nutzen, von Gewinn und Verlust, von In- und Out-put, wird hier als zu kompliziert und auch als zu wenig kontrollierbar angesehen. Ult-raliberale Denkschulen verstärken dieses Credo, indem sie betonen, dass allen am Besten gedient ist, wenn technologische Systeme und die unsichtbare Hand des Mark-tes nur ihrer eigenen Logik folgen können, wenn die hier wirkenden vitalen Eigendy-namiken nicht gestört werden. Derartige Argumentationen übersehen dabei, dass es in einem Gemeinwesen aber nicht nur um Techniken und deren Adjustierung, um Out-put und Regelungsdichten, um Geld und Besitz geht, sondern fortwährend auch um die Frage, wie man die verschiedenen materiellen und sozialen Ressourcen für als wichtig zu definierende Ziele sinnvoll einsetzen kann und soll. Es geht letztlich stets auch darum, wie dieses „Sinnvolle“ etikettiert und in weiterer Folge durchgesetzt wird. Erst durch soziale Prozesse, in denen handelnde Individuen ihre Kriterien, Werte und Ziele verhandeln und überprüfen, in denen sie sich ihre Welt verständlich machen, entsteht das, was wir mit Fug und Recht als Gesellschaft bezeichnen können. Dazu bedarf es aber des Zutrauens, dass wir uns in einer prinzipiell verstehbaren Welt be-wegen, dass solche Verständlichkeit überhaupt möglich und auch tauglich ist, auch

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Rudolf Egger

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wenn wir wissen, dass unsere Werte und Ziele einem Wandel unterliegen. So gemeinte Verständlichkeit ist dabei kein einmal erreichter Zustand, sondern ein Prozess, der Auskunft über die ordnenden Kräfte unseres Lebens zu geben vermag. Da wir soziale Wesen sind, betrifft dies aber nicht nur unsere persönlichen Stellungnahmen zur „Welt“, sondern die Aufgabe besteht auch darin, Gründe zum gemeinsamen Handeln zu finden, um selbst daran zu wachsen und etwas für andere beizutragen. Eine solche Perspektive bedarf der Rückbindung an die Gesellschaft, bedarf des Aufgreifens der Gelegenheiten zum Miteinander, zum sozialen Engagement, zur sozialen Wertschöp-fung. Indem wir erkennen, dass wir unsere Welt gemeinsam hervorbringen, erkennen wir auch, wer wir sind, und wer wir sein könn(t)en. Gerade diese Atmosphäre ist in der Technologisierung und Verbetriebswirtschaftung unseres Lebens stark gefährdet. Demgegenüber stehen Formen sozialer Wertschöpfung, die die Möglichkeiten der stetigen Bezugnahme zwischen den Wünschen, Vorstellungen, Ideen vom Mensch-Sein und den Möglichkeiten des je konkreten Lebens, zwischen dem, was ich für mich und andere leiste und dem, was andere für mich schaffen, hervorheben. Dieser Fokus der sozialen Verortung wird im Rahmen unserer heutigen Wirtschaftsordnung immer stärker in Nischen abgeschoben und oft nur noch dort in seiner eigenständigen, wert-schöpfenden und sozialen Dimension gesehen, wo der Markt, mangels zu geringer Verdienstaussichten, kein Interesse mehr daran hat. In diesem Sinne ist unsere noch immer umfassende Orientierung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu verstehen, die zum Beispiel die Arbeitsleistung, die Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder erbringen oder auch die freiwillige Pflege von Angehörigen, einfach negiert. Dass das BIP auch über die wahren Folgekosten dieses Wirtschaftswachstums nichts sagt, wird ebenfalls achselzuckend hingenommen. Trotz der Erarbeitung weiterer wichtiger Kriterien (z. B. der vom Nobelpreisträger A. Sen entwickelte Human Development Index oder der Vorschlag für einen Nationalen Wohlfahrtsindex) bevorzugen die bestehenden Indi-zes weiterhin nur den klassischen Markt und seine Logik. Eine vernünftige Umorien-tierung müsste unmissverständlich anzeigen, dass Formen der Wertschöpfung nicht nur durch ökonomisches Kapital ausgewiesen werden können, sondern dass auch „Investitionen“ in soziales Kapital, in die Art, wie wir mit der Familie, unseren Nach-barn, den Kollegen, den Vereinskameraden, den Leuten, die wir in Bürgerinitiativen oder im Gasthaus treffen umgehen, die Grundlagen allen wirtschaftlichen Handelns darstellen. In diesen sozialen Feldern wird jene Form von Kapital geschaffen, derer wir alle lebenslang bedürfen. Ein Schwinden dieser Kapitalsorte, das Nachlassen von Vertrauen, das Verrosten des „gesellschaftlichen Scharniers Solidarität“ ist auf lange Sicht unstreitbar auch wirtschaftlich kontraproduktiv. Dazu bedarf es aber der Bürger und Bürgerinnen, die eine Form menschlichen Zusammenlebens ernst nehmen, in der der Zusammenhang der Gesellschaft nicht allein durch Marktgesetze oder durch staatliche Zwangsmaßnahmen hergestellt wird. Das in den letzten Jahren zunehmende Interesse an sozialen Netzwerken, an der Entstehung sozialen Kapitals kann als Indiz

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Vorwort

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dafür betrachtet werden, dass dessen Relevanz als gesellschaftliche Ressource, um sozialer Desintegration entgegenzuwirken, zumindest in Teilbereichen der Gesell-schaft stärker ins Zentrum gerückt wurde. Begriffe wie „soziales Engagement“, „Bür-gerInnengesellschaft“ u. dgl. akzentuieren die gesellschaftspolitische Relevanz von sozialen Netzwerken und deren Ressourcen. Die in diesem Buch versammelten Über-legungen fragen deshalb danach, wie soziales Kapital heute in unserer Gesellschaft erzeugt und lebendig gehalten werden kann. Dabei geht es einmal um die Beschrei-bung jener vielfältigen informellen und non-formalen Lernprozesse, in denen wir in unserer unmittelbar erlebbaren Nachbarschaft jene sozialstrukturellen Ressourcen im Sinne der Teilhabe an Gesellschaft kreieren, die in weiterer Folge auch für die ver-schiedenen Subsystem der Gesellschaft entscheidend sind. Den Funktionen und Möglichkeiten, den Potenzialen und Widerständen in der Herausbildung von (sozia-len) Wert-Schöpfungsketten wird diesbezüglich in den Sozialstrukturen der Akteure nachgegangen. Um die hier eingelagerten biographischen Bewältigungs- und Lernpro-zesse zu verstehen ist es notwendig, die in den Subgruppen jeweils wirksamen Sinn-perspektiven zu reflektieren. Diese sind freilich nicht als „externe Größen“ immer schon gegeben. Alle die hier gebundenen Erfahrungsprozesse bilden den biographi-schen Wissensvorrat einer Person, der aus verschiedenen Schichten und Regionen abgestufter Nähe und Ferne besteht und der sich, unter den Bedingungen gesell-schaftlicher „Großwetterlagen“, (durch Lernprozesse) verändert. In den hier vorgeleg-ten strukturellen und empirischen Analysen der Prozesse von sozialer Wertschöpfung soll dementsprechend weitschichtiges Wissen über die Leistungen der Subjekte gene-riert werden, in denen sie die sozial präformierten Anforderungen die an sie herange-tragenen werden zu ihren eigenen Lernprojekten machen, und wie sie diese wiederum anschlussfähig an ihre je konkrete Lebenswelt gestalten. Es werden dabei auch jene Erwartungs- und Deutungsmuster beleuchtet, die die heterogenen Lernanforderungen erst subjektiv bedeutsam werden lassen. Diese systematischen und erfahrungsgesättig-ten Rekonstruktionen von Lernwelten können dabei Hinweise darauf geben, wie sich gemeinsame gesellschaftliche Wertekontexte, aus denen heraus Entscheidungen ge-troffen werden, konfigurieren und transformieren.

In dieser Publikation stehen deshalb die Bedingungen, Möglichkeiten und Per-spektiven von Menschen im Mittelpunkt, die sich in unserer Gesellschaft für ein WIR (das von der kleinräumigen Peer-Group über Vereine und Nachbarschaftsaktivitäten bis hin zur ökologischen „Zentralverbundenheit“ reicht) engagieren. Die Grundfrage der in diesem Sammelband verhandelten Beiträge ist, wie Menschen dazu kommen, dass ihr Interesse an der Steigerung des Eigenwohls nicht (nur) auf Kosten anderer geht. Dabei steht auch das „innige“ Verhältnis zwischen Demokratie und Kapitalis-mus zur Diskussion, indem danach gefragt wird, wo sich in den großen Demokratien der reale Platz von Solidarität, von Mitfgefühl und gesellschaftlicher Verbundenheit befindet. In den Blick gerückt werden jene Prozesse, die Aufschluss darüber geben,

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Rudolf Egger

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innerhalb welcher MACHTkonstellationen welche Formen der EIGENintitaive SINN ergeben und welche Arten von sozialem ENGAGEMENT dabei „freigesetzt“ werden. Aufgezeigt wird dies anhand von konkreten Beispielen der Verpflichtungen unterschiedlicher Menschen in verschiedenen Aktivitätsfeldern. Von Interesse ist diesbezüglich auch, wie sich die identitätsstiftenden Herkunftserzählungen von Men-schen und Gruppen heute präsentieren, und wie die Kernwerte einer zivilen Gesell-schaft im Sinne einer aktiven Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung weitergetragen wer-den können. Die einzelnen Beiträge bearbeiten in diesem Sinne ein breites Spektrum lebensnaher sozialer Aktivitäts- und Engagementfelder. Im Einzelnen befassen die Aufsätze konkret mit folgenden Phänomenen:

Im Artikel von Heiner Keupp, betitel mit Visionen der Zivilgesellschaft: Der aufmüpfige Ci-toyen oder eine Mittelschichtveranstaltung?, wird ein gangbarer Weg zur Idee der Zivilgesell-schaft gesucht, wobei als zentraler Prüfstein die Anerkennung der aktiven Subjekte innerhalb ihrer unhintergehbaren Ansprüche auf Selbstbestimmung und Partizipation proklamiert wird. Die hier gültigen Ansprüche und Rechte für bürgerschaftliches En-gagement werden kritisch diskutiert.

Melanie Krug und Michael Corsten beschreiben in ihrem Artikel Sind Nicht-Engagierte nicht eigensinnig? den gegenwärtigen Aktivierungsdiskurs als Herrschaftsform, die den Eigensinn der Akteure an sich bindet und zur Sicherung des Gemeinwohls instrumen-talisiert. Nicht-Engagierte gelten dann als „therapiebedürftig“. Anhand von Verglei-chen bürgerschaftlich Engagierter und Nicht-Engagierter, die sich in soziodemogra-phischen Merkmalen nur minimal unterscheiden, können sie zeigen, dass auch Nicht-Engagierte Eigensinn im positiven Sinne beweisen. Sie bilden Lebenskonstruktionen aus, die sich dem Aktivierungsdiskurs entziehen und daher nicht in bürgerschaftliches Engagement münden.

Der Beitrag von Rudolf Egger mit dem Titel „The wider benefits of negotiations“. Zur Ent-stehung von sozialer Wertschöpfung in gewerkschaftlichen Bezügen beschäftigt sich mit der Er-weiterung der ökonomischen Parameter zur Feststellung der Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft. Auf der Grundlage eines empirischen Projekts zur Sozialisation von BetriebsrätInnen wird die Absicherung solidarischen Handelns in gewerkschaftlichen Bezügen als ein weit gespannter sozialer Zusammenhang analysiert.

Angela Pilch Ortega beschreibt in ihrem Aufsatz Biographisierte Wir-Bezüge und ihre Rele-vanz für soziales Engagement. Eine kritische Momentaufnahme die Vervielfältigung und Entgrenzung möglicher Wir-Zugehörigkeits-Konstruktionen in modernen Gesell-schaften und deren Verstricktheit in Prozesse sozialer Verortung. Für sie ist die Be-leuchtung kollektiver Muster der sozialen Bezugnahme aufgrund der Einbettung sozi-aler Akteurinnen und Akteure in sozio-historische sowie sozio-kulturelle Kontexte unerlässlich. Weiters wird auch der Frage nachgegangen, inwiefern das breit diskutierte Konzept des sozialen Kapitals verstärkt als kollektive oder als individuelle Ressource verstanden werden kann. Bei der Suche nach der Identifikation solidaritätsfördernder

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Vorwort

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Mechanismen in einer Gesellschaft plädiert die Autorin dafür, die „Schattenseiten“ sozialen Kapitals, dessen sozialdesintegrative Wirkungsweise in der Diskussion nicht völlig außer Acht zu lassen.

Regina Mikula untersucht in ihrem Beitrag mit dem Titel Sozial-Kapital als Bedingungs-feld und studentisches Engagement als Möglichkeitsraum für individuelle und kollektive Verände-rungsprozesse das Konzept des sozialen Kapitals am Beispiel der Studierendenproteste 2009 in mehrfacher Art und Weise. Sie zeigt ein mögliches Erklärungs- und Aufklä-rungsmuster für die Entstehung und Funktionsweise von derartigen Protestbewegun-gen und versucht die horizontalen Beziehungsnetzwerke und die damit verbundenen solidarischen Bindungen (die Studierende zum gemeinsamen Handeln motivieren) zu skizzieren. Darüber hinaus werden auch der individuelle und der kollektive Lernnut-zen, bzw. die Auswirkungen der lokalen Partizipationsbewegung zu einer über die lokalen Grenzen hinaus wahrnehmbaren europäischen und internationalen Solidarität beschrieben.

Peter Alheit beschäftigt sich in seinem Beitrag Lernwelt „Nachbarschaft“: Zur Wiederent-deckung einer wichtigen Dimension eingangs mit einem demographischen Krisenszenario der näheren Zukunft, um darauf aufbauend eine feinfühlige Vorahnung davon zu geben, wie die heute erst in Ansätzen bemerkbaren politischen, soziologischen und pädagogischen Konsequenzen dieser Entwicklung aussehen könnten. Sein Nachden-ken über Nachbarschaft ist dabei analytisch und empirisch getragen und gründet auf ausgewählten Ergebnissen einer aktivierenden Befragung in einem Göttinger Prob-lemstadtteil.

Der zweite Beitrag von Heiner Keupp, mit dem Titel Kommunale Förderbedingungen für bürgerschaftliches Engagement, geht auf ein Gutachten für die Enquetekommission des deutschen Bundestages zurück. Er beschreibt hier Potentiale des Freiwilligenengage-ments und den Formenwandel sozialer Beziehungen in der Bundesrepublik und skiz-ziert die Rahmen von Vergemeinschaftungsformen, die, um handlungswirksam wer-den zu können, neuer „Gelegenheitsstrukturen“ und offener Passungsangebote be-dürfen.

Wolf-D. Bukow und Sonja Preißing erläutern in ihrem Beitrag „Wir sind kölsche Jungs“. Die „Kalker Revolte“ – Der Kampf um Partizipation in der urbanen Gesellschaft die „Gramma-tik urbanen Zusammenlebens“, innerhalb der die Bezugsgruppe zur alles entschei-denden Diskursgemeinschaft emporsteigt. Die hier wirkenden Formen der systemi-schen Inklusion der lebensweltlichen Anerkennung werden als Basiserfahrungen für das urbane Zusammenleben charakterisiert. Die Analyse der „Kalker Revolte“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Jugendliche und Heranwachsende um lebenspraktische Partizipation bemühen und wie ihnen die Stadtgesellschaft dafür tatsächlich auch ei-nen Raum im Sinne der Entwicklung einer modernen Zivilgesellschaft einräumt. Andrea Felbinger beschreibt in ihrem Text Gesellschaftlicher Ressourcenmangel als Entwick-lungschance? Oder: Die Suche nach Sinn durch gesellschaftliches Engagement am Beispiel ehrenamtli-

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cher Sachwalterschaft die Manifestationen von Sinnstiftung im Engagement auf einer individuellen und einer sozialen Ebene. In ihrem Beitrag wird der Frage nachgegan-gen, in welcher Art und Weise ein zunehmend ungenügendes staatliches Unterstüt-zungssystem dazu beiträgt, dass die Individuen in die Lage versetzt werden, soziale Partizipation, Beteiligung an einem Gemeinwohl und Teilhabe an konkreter gesell-schaftlicher Veränderung zu lernen bzw. erlernen zu müssen. Darüber hinaus wird am konkreten Beispiel ehrenamtlicher Sachwalterschaft untersucht, wie Menschen ihre Kohärenz und damit ihre individuelle Sinngebung und Sinnanschlüsse durch soziales Engagement gestalten.

Michael May beschreibt in seinem Beitrag Produktionsweisen des Sozialen älterer Migran-tinnen und Migranten in Deutschland den theoretischen Bezugsrahmen und erste Ergeb-nisse des Handlungsforschungsprojektes „Ältere MigrantInnen im Quartier – Stüt-zung und Initiierung von Netzwerken der Selbstorganisation und Selbsthilfe“. Als Hintergrund dazu werden weitere empirische Befunde vor allem quantitativer For-schungsprojekte zum Bereich Sozialkapital und Freiwilligenengagement von Zuwan-derern in Deutschland kritisch kommentiert.

Im Text von Michael Wrentschur mit dem Titel Neuer Armut entgegenwirken: Politisch-partizipative Theaterarbeit als kreativer Impuls für soziale und politische Partizipationsprozesse steht das Projekt „Kein Kies zum Kurven kratzen“, das sich zum Ziel setzt, auf kreative und partizipative Weise Ideen und Vorschläge zur Armutsbekämpfung und -vermeidung zu entwickeln. Menschen, die bestimmte soziale Problemlagen und Inte-ressen teilen, werden über Methoden politisch-partizipativer Theaterarbeit zur Selbst-bildung, zur sozialen und politischen Beteiligung aktiviert, wodurch sich neue Teilha-bechancen an gesellschaftlichen und politischen Vorgängen ergeben.

Michaela Harmeier stellt in ihrem Aufsatz Lehrengagement zwischen biographischer Selbst-findung und Wissensvermittlung. Ehrenamt in der Erwachsenenbildung Überlegung dazu an, was Menschen veranlasst, sich neben beruflichen und familiären Verpflichtungen ehren-amtlich in der Erwachsenenbildung zu engagieren. Zunächst zeigt sie in einem histori-schen Abriss, dass das Ehrenamt eine lange Tradition in der organisierten Bildungsar-beit hat. Hierauf folgt eine trägerspezifische Darstellung der Unterschiede im Anteil der ehrenamtlich Tätigen und abschließend werden über ein Fallbeispiel biographisch begründete Motivlagen zur Aufnahme eines Ehrenamtes in der Erwachsenenbildung und darin implizierte Lernpotentiale exemplarisch vorgestellt.

Patrick Meyer-Glitza stellt in seinem Beitrag mit der Überschrift Nicht-tötende Rinder-haltung als neue Herausforderung für den Ökologischen Landbau - eine Fallstudie ausdrücklich dar, wie ein ökologischer Landbau mit dem Schutz von Tieren zu verbinden ist. Im Nachvollzug der Lebensgeschichte seiner Protagonistin schildert er, wie sich die Über-legungen und Werte des Ökologischen Landbaus in Richtung Mitgefühl und der Ach-tung des Lebensrechtes der Tiere entwickeln können.

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Vorwort

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Eine DokorandInnengruppe der Universität Graz, bestehend aus Cornelia Dinsleder, Katharina Faltis, Andrea Felbinger, Andrea Mayr, Helga Moser, Karin Pesl-Ulm, Harald Ploder, Elisabeth Puster und Katica Stanić beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Titel Die Herausbildung professioneller Handlungsmacht in der Berufswelt einer Betriebsrätin anhand eines Forschungsprojekts mit den konkreten Bedingungen der Herausbildung einer proze-dural und in der Gewerkschaftsarbeit institutionell abgesicherten Form von gelebter Solidarität. Ausgangspunkt dazu ist ein narrativ-biographisches Interview mit einer engagierten Betriebsrätin.

Die hier versammelten Aufsätze sind alle, so unterschiedlich sie sich auch ihren Themenbereichen zuwenden, getragen vom Versuch der Bestimmung der sozialen Rückversicherung und der sozialpolitischen Absicherung dessen, was wir als Zivilge-sellschaft bezeichnen. In diesem Sinne versuchen Sie innerhalb ihrer Perspektiven zum Denken anzuregen um das eigene soziale Handlungsfeld zu erweitern.

Last but not least sei an dieser Stelle erwähnt, dass das vorliegende Buch seine letztendliche Gestalt der fachkundigen Formatierung und Lektorierung der einzelnen Beiträge sowie der umsichtigen Betreuung des Gesamtprojekts durch Anneliese Pirs verdankt, der wir dafür zu herzlichem Dank verpflichtet sind.

Rudolf Egger Graz, Juli 2010