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    Krebs im lter

    I

    f

    ,

    U

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    B. Kark, H. Werner Hrsg.)

    Krebs itn Alter

    ur

    Onkologie und Immunologie

    im hoheren Lebensalter

    I -:- I

    I ;;:::_ I

    ~

    Steinkopff Verlag Darmstadt

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    Dr. B. Kark

    Dr. H Werner

    Stadtisches Krankenhaus Hochst

    Klinik rur Innere Medizin

    GotenstraBe 6

    6230 Frankfurt

    CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

    Krebs m Alter: zur Onkologie u. Immunologie im hoheren

    Lebensalter / B. Kark; H. Werner Hrsg.). - Darmstadt:

    Steinkopff,1988

    ISBN-13: 978-3-7985-0744-9 e-ISBN-13: 978-3-642-85368-5

    DOl:

    10 1

    007/978-3-642-85368-5

    NE: Kark, Bendix [Hrsg.]

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiltzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die

    der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen,

    der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der

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    behalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall

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    republik Deutschland yom 9 September

    1965

    in der Fassung yom 24. Juni 1985 zulassig. Sie ist

    grundsatzlich vergutungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des

    Urheberrechtsgesetzes.

    Copyright © 1988 by Dr. Dietrich SteinkopffVeriag GmbH Co. KG, Darmstadt

    Verlagsredaktion: Juliane K. Weller - Herstellung: Heinz J. Schafer

    Softcover reprint

    of

    the hardcover 1st edition 1988

    Gesamtherstellung: betz-druck gmbh, 6100 Darmstadt

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      orwort

    Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung der Menschen in den In

    dustrielandern fast verdoppelt. Neben besseren sozialen Bedingungen ist dies vor allem

    auf den erfolgreichen Kampf der Medizin gegen Infektionskrankheiten und andere aku

    te Erkrankungen zuriickzufuhren. Ais Ursachen fur Morbiditat und Mortalitat alter

    Menschen stehen heute chronische und degenerative Veranderungen im Vordergrund.

    In

    der

    Todesursachenstatistik stehen b6sartige Tumoren nach den Herz-Kreislauf

    Erkrankungen an zweiter Stelle. Mehr als 50

    der

    malignen Tumoren werden in

    der

    Gruppe der iiber 65 j ahrigen gefunden, die

    nur

    ca. 3 der Gesamtbev6lkerung bilden.

    Damit sind b6sartige Tumoren vor allem eine Erkrankung des h6heren Lebensalters.

    Trotz dieser Tatsache ist die Meinung weit verbreitet, daB bei Auftreten von Tumor

    erkrankungen im h6heren Lebensalter die Therapieverfahren

    der

    modernen Onkologie

    nicht mehr angewendet werden k6nnen bzw. diirfen. er Krebs bei alten Menschen

    wird als schicksalshafte Erkrankung hingenommen, die ein schon lange wahrendes Le

    ben beendet. Dies kommt nicht zuletzt in vielen Therapiestudien zum Ausdruck, die die

    Wirksamkeit kurativer oder den Tumor kontrollierender MaBnahmen bei iiber 65jahri

    gen Patienten gar nicht mehr untersuchen. Dadurch sind auch die Erfahrungen in der

    Tumortherapie alter Menschen begrenzt.

    In Zukunft werden Geriater und auch Arzte anderer medizinischer Dlsziplinen, bedingt

    durch den steigenden Anteil alter Menschen an

    der

    Gesamtbev6lkerung, immer starker

    mit den Problemen der Tumorerkrankung bei alten und sehr alten Menschen konfron

    tiert werden. Ernste Begleiterscheinungen wie starke Schmerzen, groBer Leidens

    druck, Immobilitat und Verlust der sozialen Kompetenz verursachen bei alten Men

    schen groBe Angste vor Krebserkrankungen und zwingen den behandelnden Arzt, sich

    mit dem Tumorleiden auseinanderzusetzen.

    Bei Krebs mu

    die Zielsetzung

    jeder

    chirurgischen, internistischen und radiologischen

    Therapie zunachst die Beseitigung des Tumorleidens sein. In vielen Fallen kann dieses

    Ziel leider nicht erreicht werden, so

    daB

    sekundare MaBnahmen wie palliative Thera

    pieformen und Erleichterung

    der

    Folgesymptome in den Vordergrund treten. Die Ent

    scheidung fiir eine Therapie wird bestimmt durch die Wachstumseigenschaften des

    Tumors, seine Empfindlichkeit gegen Chemotherapeut ika und Strahlentherapie

    oder

    die M6glichkeit der kurativen

    oder

    zumindest kontrollierenden Behandlung durch chir

    urgische Intervention. Bei allen Therapieformen mu jedoch beriicksichtigt werden, ob

    der

    physische, psychische und soziale Status des alten Menschen den Einsatz dieser Be

    handlungsformen zulaBt. Die Belastungen einerTumortherapie k6nnen von alten Men

    schen in mancher Hinsicht schlechter toleriert werden als von jiingeren.

    Zudem

    sind

    die Wiinsche und Erwartungen an das Leben bei alten Menschen ganz anders gelagert

    als im jiingeren Lebensalter. Es gilt daher, alle diagnostischen und therapeutischen

    MaBnahmen in enger Abstimmung mit dem Patienten durchzufuhren. Seine Vorstel

    lungen und Wiinsche sollten dabei vor arztlichen Erwagungen beriicksichtigt werden.

    Die Nutzen-Schaden-Relationmu im Hinblick auf die Lebensqualitat sowie die soziale

    und familiare Situation des alten Menschen besonders sorgfaltig abgewogen und

    der

    v

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    Therapieplan entsprechend individuell gestaltet werden. Wenn diese geriatrischen

    Uberlegungen in onkologisches Wissen und Denken einflieBen, ist auch im hoheren

    Lebensalter eine Behandlung bosartiger Erkrankungen moglich und erfolgreich.

    Die Friihdiagnose maligner Tumoren ist bei alten Menschen vielfach sehr schwierig.

    Vorsorgeuntersuchungen und -programme werden oft nicht wahrgenommen, Warn

    symptome werden gelegentlich ignoriert oder falschlicherweise mit dem hohen Lebens

    alter in Zusammenhang gebracht. Vielfach verliiuft das Tumorleiden auch so schlei

    chend und ist die Symptomatik so atypisch, daB dadurch die rechtzeitige Erkennung und

    Behandlung erschwert wird.

    Die tumorbezogenen diagnostischen MaBnahmen werden bei alten Menschen im we

    sentlichen genauso durchgefiihrt wie im jiingeren Lebensalter. Absolute Indikation zur

    Therapie ist gegeben, wenn dadurch das Tumorleiden geheilt werden kann. Ein Bei

    spiel dafiir ist der begrenzte Kolontumor, der durch chirurgische MaBnahmen entfernt

    werden kann. Eine relative Behandlungsindikation liegt vor, wenn die vorgesehene

    Therapie geeignet ist, die Uberlebensdauer des Patienten bei guter Lebensqualitiit zu

    erhalten oder gar zu verliingern, die Begleitsymptomatik des Tumorleidens z.B.

    Schmerz) zu erleichtern oder das Tumorwachstum unter Kontrolle zu halten. Ais Bei

    spiel solI hier das Prostatakarzinom angefiihrt werden. Kontraindikation fiir eine Tu

    mortherapie ist die terminale Erkrankung.

    ber

    auch bei schlechtem Allgemeinzu

    stand, seniler Demenz, schwerer Polypathie, mangelnder Kooperation des alten Men

    schen oder fehlenden Uberwachungsmoglichkeiten mu von TherapiemaBnahmen Ab

    stand genommen werden.

    m vorliegenden Berichtsband wird der derzeitige Wissensstand iiber das Tumorleiden

    im hoheren Lebensalter von Experten der verschiedenen medizinischen Fachrichtun

    gen zusammengetragen. Nach den Darstellungen der gerontologischen Tumorpatholo

    gie und -immunologie ist den Therapiemoglichkeiten des Tumorleidens aus internisti

    scher und radiologischer Sicht sowie aus der Sicht der verschiedenen chirurgischen

    Fachdisziplinen breiter Raum gewidmet. Die Herausgeber mochten dem geriatrisch tii-

    tigen Arzt damit Informationen und Hilfestellungen bei der Fiihrung seiner Tumorpa

    tienten hOheren Alters anbieten. Gleichzeitig solI dieser Band die Grundlage fiir frucht

    bare Diskussionen iiber die Tumortherapie im hoheren Lebensalter bilden und zur Ent

    wicklung und Erforschung neuer Therapiemethoden anregen.

    Frankfurt, Februar 1988

    VI

    B. Kark

    H. Werner

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    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort.

    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    v

    Biologie

    nnd

    Wachstumseigenschaften maligner

    Tnmoren

    bei a1ten Patienten

    Goerttler, K. 1

    Epidemiologische Aspekte

    der

    Krebserkranknng im

    hohen

    Lebensalter

    Holmes,

    F.F.

    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    13

    Grnndsatze

    der

    Krebstherapie im hohen Lebensalter

    C

    Hodkinson,

    H.M.

    . .

    Kontinenzerhaltende Operationen beim Dickdarm-

    nnd

    Mastdarmkarzinom

    im hoheren Lebensalter

    21

    \ Hansen,

    H.

    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

    Die

    operative Behandlnng des Magenkrebses bei iiber 60jahrigen Patienten

    Franke

    F. 33

    Palliativma8nahmen bei fortgeschrittenen Tnmoren des Gastrointestinaltrakts

    im

    hoheren

    Lebensalter

    ,/ Rosch, W. 39

    Grenzen

    der

    chirurgischen Behandlnng des Bronchialkarzinoms

    bei a1ten Patienten

    i

    Stelter W. .

    Adjnvante Therapiemoglichkeiten beim fortgeschrittenen Prostata-

    nnd

    Blasenkarzinom im

    Alter

    45

    vHaselberger, I. G. Ludwig 51

    Therapie des Mammakarzinoms im hoheren Lebensalter

    Czygan, P.-I . . .

    63

    K1inik

    nnd

    Therapie von Hamoblastosen nnd malignen Lymphomen im

    Alter

    Becker,

    H. 67

    K1inik

    nnd

    Therapie

    der Hanttumoren

    im

    Alter

    } Hundeiker, M. .

    75

    Grundlagen

    der

    Strahlentherapie maligner

    Tnmoren

    bei a1ten Patienten

    .

    Halama,

    I.

    W. Falk

    93

    VII

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    Tumornachsorge aktives Aufgabenfeld

    Douwes F.R. . .

    Immunologische Aspekte des Alterns

    Makinodan T. N. Kinohara

    Das Altern des Immunsystems und seine Bedeutung ur die Krebsentstehung

    1 1

    111

    Morell A. 127

    Chronobiologische Aspekte der Imunglobuline im Alter

    Nicola de P. G. Casale .

    Impfungen und Impfprobleme bei alten Menschen

    Doerr H.W. O. Thraenhart .

    Aktueller Stand der Therapie mit Interferonen

    Timmermann K. . . . . . . . . . . . . . . .

    VIII

    137

    143

    149

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      iologie

    un

    Wachstumseigenschaften maligner Tumoren

    bei alten Patienten

    K

    Goerttler

    Institut fur Experimentelle Pathologie, Universitat und Deutsches Krebsfor

    schungszentrum Heidelberg

    Einleitung

    Bei

    der

    Beurteilung pathoanatomischer Praparate stehen wir oft vor dem Problem,

    Vorgeschichte und kunftige Entwicklung einer Krankheit erschlieBen zu mussen, auch

    wenn uns biographische

    Daten

    nicht

    oder

    unzureichend zuganglich gemacht werden.

    Je

    langer wir leben, umso komplexer ist auch unsere Lebensgeschichte. Hinsichtlich

    der

    Beurteilung

    der

    EinfluBnahme atiologischer

    Faktoren

    sind die Schwierigkeiten ihrer

    Analyse aus dem Gewebsschnitt noch gr6Ber, denn die meisten Reaktionen sind nicht

    erreger-

    oder

    noxenspezifisch. Vollends unm6glich ist die Rekonstruktion einer Schad

    stoffanamnese.

    Erscheinungsbild und Wachstumseigenschaften maligner Tumoren werden durch das

    Lebensalter der betroffenen Personen beeinfluBt. Dabei spielen Sterblichkeit und Re

    generationsverhalten somatischer Zellen eine wichtige Rolle.

    In der

    Humanpathologie

    stehen wir dem schwierigen Problem, daB der EinfluB eines einzigen Faktors in der

    Krebsverursachung die Ausnahme, komplexe

    Faktoren

    die Regel sind.

    Die

    dabei ab

    laufenden Prozesse der Geschwulstentstehung werden auch durch den Altersfaktor be

    einfluBt.

    Zur

    Biologie des alten Patienten geh6rt auch dessen psychologische Situation. Neben

    das Wissen urn die Begrenztheit

    der

    noch verfiigbaren Lebensspanne tritt die Angst,

    daB die letzte Lebensphase durch schwere k6rperliche Belastung in Folge

    der

    Tberapie

    einer Geschwulstkrankheit gest6rt wird. Die mangelnde Bereitschaft alter Menschen

    zur Inanspruchnahme

    der

    Krebsfruherkennungsuntersuchungen

    hat

    hier ihre Wurzel.

    Uber

    die Besonderheiten therapeutischer MaBnahmen bei alten Patienten ist daher

    ebenfalls kurz zu berichten.

    Pathologie der Lebenspbasen 6, 9, 15)

    Unser Leben

    gliedert sich in verschiedene Phasen unterschiedlicher Lange und Bedeu

    tung. Wir k6nnen dessen einzelne vor-

    und

    nachgeburtliche Phasen zu Wachstum

    und

    Differenzierung in Beziehung setzen und erhalten ein Kurvenbild mit Steilanstieg, be

    sonders im vorgeburtlichen und fruhkindlichen Teil unserer Existenz Abb. 1). Die

    Kurve schwenkt ein in ein mehr oder weniger ausgeglichenes FlieBgleichgewicht, in

    dem sich Aufbau und

    bbau

    die Waage halten. Danach kommt es zu dem uns allen be-

     •

    Meinem Freund und Weggefiihrten Professor Volker Becker, Erlangen, zur Vollendung des

    65. LebensJahres gewidmet.

    1

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    EntwicklungshOhe

    t

    ~

    --_

    t

    Tage Wochen Monate

    I I

    Jahre Jahrzehnte

    lo t

    Abb. 1. Lebensphasen, Entwicklungshohe und mogliche Folgen wah rend verschiedener Lebens

    phasen ablaufender Krankheitsablaufe. Letztere sind in der Lebenskurve durch eingezeichnete

    Rechtecke markiert. In jenen wird der yom Zustand der Orthobiose entsprechend ungestortem

    Lebensablauf) abweichende ProzeB bei funktioneller Storung als Allobiose gekennzeichnet, die

    meist wieder in die Orthobiose mimdet restitutio ad integrum). Formale Schaden werden als

    Pathobiose vermerkt, die bei fehlender Ausheilung in eine Pathie einmiinden permanenter Rest

    schaden). Stark von der Orthobiose abweichende Linien symbolisieren den ortlichen oder allge

    meinen Gewebstod Nekrobiose-Nekrose). Je nach der betroffenen Lebensphase weich en die

    Krankheitsbilder mehr

    oder

    weniger stark voneinander ab und haben unterschiedliche Folgen.

    kannten Abfall. Jede dieser Phasen steht unter besonderer Beeinflussung durch endo

    gene chromosomale und durch exogene Faktoren; jede Phase zeichnet sich auch f r uns

    Mediziner durch biologische Besonderheiten aus, die un serespezielle Aufmerksamkeit

    hinsichtlich der Pravention von Krankheiten beanspruchen. Trifft uns eine Schiidigung

    auf der Hohe unserer Entwicklung, dann verandert sich das bisherige FlieBgleichge

    wicht unserer Orthogenese unter dem EinfluB eines Agens. Wir erleiden entweder nur

    kurzfristige EinbuBen,

    oder

    wir erleiden groBere Schiiden, die bis zum ortlichen

    oder

    allgemeinen Gewebstod fUhren konnen, wie im Teilbild durch Abfall und Abbruch der

    Kurve dargestellt ist. Nach mehr

    oder

    weniger langer Zei t kommt es entweder zur voll

    standigen Erholung, oder es bleibt ein Restschaden zuriick, ein Leiden.

    Es ist nicht gieichgiiitig,

    ob

    dieser ProzeB unsere Lebenskurve im steilen oder im weni

    ger steilen Anstieg trifft, oder dann, wenn Aufbau und bbau nicht mehr im Gleich

    gewicht stehen, wenn die Regeneration gestort ist, wenn unsere Reaktionen verlang

    samt

    oder

    geschwacht sind. Die Lange

    der

    Zeit bedingt dariiber hinaus, daB ein friihzei

    tig erlittener latenter Schaden Ausgang

    f r

    Nachfolgeschaden sein kann.

    2

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      ntstehungsgeschichte von Geschwiilsten

    Aus

    der

    Sicht des Onkologen spielt gerade die Dauer einer Exposition

    oder

    die Zeit

    zwischen Exposition eines Kanzerogens und der Manifestation einer Geschwulst eine

    groBe Rolle. Wir wissen, daB Geschwulstkrankheiten schon vor der Geburt angelegt

    werden konnen. Wir wissen auch, daB die Lange

    der

    Exposition gegeniiber Noxen ver-

    schiedener rt gerade im

    lter

    zu einer Anreicherung von Geschwulstkrankheiten an

    verschiedenen Organen fuhrt 13). ber gleich an dieser Stelle sei gesagt: Es gibt zwar

    eine Anreicherung von Krebskrankheiten im Alter, nicht aber Alterskrebse per se. Das

    lter ist auch keine Prakanzerose, wohl aber ein Resonanzboden, auf dem sich neo-

    plastische Prozesse akzentuieren.

    Sterblichkeit somatischer Zellen

    Krebs ist ein WachstumsexzeB von Zellen, die sich durch die Eigenschaft eines unge-

    bremsten Wachstumes von Zellen ihrer Nachbarschaft unterscheiden, deren Wachstum

    und Teilungsaktivitat von Faktoren der naheren und weiteren Umgebung gefordert und

    gebremst werden. Die Sterblichkeit somatischer Zellen spielt in der Onkologie eine

    gro e Rolle. Lange 1ahrzehnte glaubte man,

    daB

    in der Gewebekultur weitergeziichtete

    Zellen unter besonders giinstigen Bedingungen ungehindert weiter proliferieren, am

    Leben bleiben konnen. Seit wenigen

    lahren

    wissen wir,

    daB

    dies nicht

    der

    Fall ist. Hay-

    flick 10) beobachtete Bindegewebszellen in ihrem Wachstumsverhalten und stellte da-

    bei fest,

    daB

    diese unter optimalen Bedingungen gehaltenen Zellen ihr Wachstum nach

    einer definierten Zahl von Zellteilungen einstellten und danach abstarben. Diese Zahl

    mag von Gewebe zu Gewebe, von Individuum zu Individuum geringfugig variieren, sie

    zeigt uns aber die Endlichkeit un serersomatischen und zellularen Existenz 3).

    lenseits eines gewissen Zeitraumes geht nichts mehr.

    Genau

    an dieser Stelle erleben wir

    den

    fundamental en Unterschied zur Tumorzelle, fiir die dieser Mechanismus der be-

    grenzten, endlichen Teilungsfiihigkeit nicht gilt oder auBer Kraft gesetzt wurde. Wir be-

    zeichnen diese Zellen als transformierte Zellen. Diese allein besitzen potentielle Un-

    sterblichkeit. Die Transformation ist iiber unbelebte Kanzerogene wie auch iiber die

    Einschleusung von Virusgenom in die Zelle herbeizufiihren.

    Damit

    kommen wir zu einer Beurteilung der Noxen, die sich speziell durch lange

    Lebenszeit bei alteren Menschen massieren und summieren konnen. Wenn ich heute

    und hier iiber kanzerogene Noxen spreche, dann meine ich die spezielle Situation in

    der

    Bundesrepublik Deutschland. Leben wir auf einer Miillkippe? Wenn man unsere Grii-

    nen hort, mochte man es meinen. Ich gebe

    nur

    zu bedenken, ohne die Situation ver-

    harmlosen zu wollen, daB die durchschnittliche Lebenserwartung fur Frauen und Man-

    ner

    derzeit zwischen 7 fur Manner und 76 lahren fur Frauen liegt; das Leben in unse-

    rem Biotop scheint danach recht komfortabel zu sein, wenn man un sereLebenserwar-

    tung mit jener unserer Nachbarn und

    jener

    in anderen Kontinenten vergleicht. Dies

    schlieBt nicht aus, daB vielleicht infolge unserer Siinden die Nachfolgegenerationen eine

    kiirzere Lebenserwartung haben werden. Offensichtlich hat in unserer Zeit die Konta-

    mination durch Seuchen einer Kontamination durch Schadstoffe Platz gemacht.

    3

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    Geschwulstkrankheiten als Todeskrankheiten im Alter

    Quelle fUr die Bundesrepublik Deutschland: Jahresberichte

    der

    Statitischen Bundes

    anstalt, Wiesbaden)

    Krebs im Alter bedeutet nicht einfach eine kontinuierliche Anreicherung von Schad

    stoffen, der eine entsprechende Zunahme von Geschwulstkrankheiten zugeordnet ist.

    Nur zwei Gruppen von Krankheiten sind verantwortlich fur rund drei Viertel aller

    Todesfalle Abb.

    2

    . Betrachtet man die Altersverteilung der Todesfalle durch Herz

    Kreislaufkrankheiten und durch Geschwulstkrankheiten, die derzeit etwa

    22

    Prozent

    aller Todeskrankheiten umfassen, dann wird deutlich,

    daB

    fUr Frauen und Manner und

    a

    100

    Manner

    a.

    a.

    ::J

    OJ 8

    Kreislauf

    EI Krebs

    .l

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    fiir die jeweiligen Altersgruppen offenbar verschiedene Gesetze gelten, daB wir dariiber

    hinaus in beiden Geschlechtern im hohen Alter einen relativen Riickgang der Krebs

    krankheiten als Todesursachen beobachten. Was sind wohl die Griinde? Es bieten sich

    drei Alternativen an:

    lternative I besagt, daB ein an Krebs erkrankter Patient friiher stirbt, kein hoheres

    Lebensalter erreicht, so daB im hohen

    Alter

    relativ mehr Herz-Kreislauftodesfalle re

    sultieren. Dies ist sicher richtig fur eine Reihe von Krebskrankheiten, etwa fur den Lun

    genkrebs, von dem mir keine gutartige Variante bekannt ist.

    lternative

    besagt,

    daB

    sich mit vorriickendem Alter des Patienten

    der

    Krebs anders

    verhalt als bei jiingeren Personen, indem auch

    er

    sein Wachstum verandert und lang

    samer wachst und damit zwar vorhanden bleibt, nicht

    aber

    als Todeskrankheit in

    Er-

    scheinung tritt. Es gibt Beobachtungen, die auch diese Alternative bestatigen, aller

    dings

    nur

    fur einige wenige Krebslokalisationen.

    lternative

    umfaBt jene Krebsformen, die von Anfang an langsam wachsen, und da

    mit in hoheren Lebensaltern kumulieren, die

    aber

    nicht

    oder nur

    selten als Todeskrank

    heit in Betracht kommen und als Zufallsbefunde bei

    der

    Obduktion entdeckt werden.

    Wir kennen diese Formen in Prostata, Schilddriise und bedingt auch in der Mamma; es

    gibt langsam wachsende Myelome, die keine Lebensdauerverkiirzung bewirken.

    Krebserkrankungen werden erzeugt von unbelebten und von belebten Krebsnoxen, die

    wir mit Higginson

    et

    al. (11) als life style factors zusammenfassen: Es sind dies Mani

    pulation der hormonalen Regulation, unsere EBgewohnheiten, Berufskrankheiten und

    die Inkorporation einer kaum abschatzbaren Anzahl von Giftstoffen,

    unter

    ihnen vor

    rangig die iiber das Zigarettenrauchen inhalierten Schadstoffe. Wie aber wollen wir den

    Stellenwert aller Noxen im Einzelfall beurteilen, wenn damit eine jahrzehntelange In

    korporationsphase verbunden ist? Es bieten sich uns eigentlich

    nur

    unvollkommene

    Hilfsmittel an, die mit den Methoden

    der

    Epidemiologen zu bearbeiten sind, so etwa die

    Aufstellung eines Krebsatlas fur die Bundesrepublik Deutschland (2), der uns erlaubt,

    Krebshaufigkeiten mit besonderen Industriestandorten oder mit EBgewohnheiten etwa

    mit dem Bierkonsum in Bayern in Beziehung zu setzen.

    Fassen wir die Besonderheiten der Onkologie bei alteren Menschen zusammen, so wird

    die Zuordnung von Schadstoffen erschwert durch die komplexe biographische Ana

    mnese, durch die hohe Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegeniiber Schadstoffen

    jedwe1cher Art durch lange und nach Jahrzehnten messende Zeitintervalle zwischen

    Exposition und Geschwulstmanifestation. Neben die auBeren Beeinflussungen tritt

    aber auch eine zunehmend abgewandelte Reaktionslage und abgewandelte Reaktions

    fiihigkeit, und damit nahern wir uns den vom alternden Organismus selbst ausgehenden

    Bedingungen.

    Stufen der

    Kanzerogenese,

    xposition und Geschwulstmanifestation

    (16)

    Es ist experimentell erwiesen und in makaberen Beobachtungsserien am Menschen er

    hartet, daB das Zeitintervall zwischen Exposition und Geschwulstmanifestation ein

    wichtiges Faktum ist, das uns iibrigens auch bei

    der

    Beurteilung von Rentenanspriichen

    hilft. Wenn eine initiierte Zelle proliferiert, dann e d e u ~ e t dies Teilung. Die Anzahl

    der

    Teilungsschritte und die jeweiligen Zeiten zwischen den Schritten bestimmen das

    Wachs tum von Tumoren.

    m

    Alter beobachten wir ein insgesamt geringeres allgemei-

    5

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    13/174

    nes Proliferationspotential, das wir im Alltag bei

    der

    langsameren Abheilung von Wun

    den ebenfalls beobachten. Auch Geschwiilste konnen langsamerwachsen als zuvor. Ein

    anderer, sehr wichtiger Faktor ist eine abgewandelte Fahigkeit verschleppter Tumorzel

    len, die Blutbahn zu verlassen und am neuen Ort Tochterknoten zu bilden. Die Obduk

    tionsstatistiken wei sen aus, daB bei alten Menschen weniger Metastasen in einer ge

    ringeren Zahl von Organen beobachtet wurden 1, 12).

    a aber die Metastasierung Hauptfaktor der Ausbildung zur Todeskrankheit Krebs ist,

    verstehen wir, wenn in der Konkurrenz der Todeskrankheiten im hoheren Alter Krebs

    gegeniiber den Herz-Kreislauftodesfallen zuriicktritt.

    er Faktor Zeit beeinfluBt so mit die LebensauBerungen im Organismus.

    Er

    fuhrt zu

    gleich zu einer allmahlichen Anreicherung von Schadstoffen oder von geweblichen Ver

    anderungen im Zusammenhang mit friiherer Schadstoffaufnahme. Daraus folgert, daB

    Krebserkrankungen nach meBbarer Latenzphase entstehen, die ihrerseits aber vom

    Zeitpunkt der Initiation auf unserer Lebenskurve abhangig sind. Pranatale Kanzerisie

    rung fuhrt schon innerhalb der ersten beiden Lebensjahrzehnte zur Tumorentstehung,

    wahrscheinlich bedingt durch die Tatsache,

    daB

    die bis zur Geschwulstmanifestation er

    forderlichen Zellteilungen in einer kiirzeren Lebensspanne erreicht werden. Fiir einzel

    ne Geschwulstursachen kennen wir auch die Latenzzeiten. Sie betragen fur das Auftre

    ten von Leukamie 5-15 Jahre und fur das Auftreten von Karzinomen 15-25 Jahre. Wir

    diirfen davon ausgehen, daB durch multiple Faktoren besonders in jiingeren Lebens

    altern eine Verkiirzung dieser Zeitspannen moglich ist; wir selbst haben im Experiment

    nachweis en konnen, daB durch Kombination eines Kanzerogens in niedriger, fiir sich

    selbst nicht ausreichender Dosierung mit einem selbst nichtkanzerogenen, aber promo

    tionsfordernden Faktor die Zeitspanne bis zur Geschwulstmanifestation kiirzer war,

    wenn wir junge Tiere in den Versuch nahmen. Aus der menschlichen Pathologie gelten

    als trauriger Beweis die

    aten

    von vielen tausend Patienten zwischen Exposition und

    Geschwulstmanifestation nach Gabe des bis 1943 als Rontgenkontrastmittel verab

    reichten Thoriumdioxydes, das unter dem Namen Thorotrast in den Handel gelangte

    14) Abb. 3). Identische Ergebnisse sind uns aus den Untersuchungen

    der

    Atombom

    benopfer von Hiroshima und Nagasaki bekannt.

    Abbildung 4 enthalt eine Zusammenfassung der aten

    zur Proliferationskinetik. Ich

    habe ein vor 1 J ahren von e Vita jr.

    et

    al. 17) publiziertes Bild modifiziert.

    Es

    zeigt,

    daB zwischen dem Zeitpunkt der Kanzerisierung und

    der

    Manifestation von Tumoren

    etwa 2 bis 3 Zellteilungsschritte liegen, bis aus einer einzelnen Krebszelle eine Ge

    schwulst von etwa 5 mm im Durchmesser geworden ist, die dann gerade entdeckt wer

    den kann.

    2

    bis 30 Teilungsschritte bedeuten auf unserer Lebenskurve aber unter

    schiedliche Zeiten.

    er

    Experimentalfall einer einzigen Krebsnoxe zu einem einzigen, bekannten Zeit

    punkt ist aber in

    der

    Humanpathologie nur in Ausnahmefallen gegeben. So sind wir ge

    notigt, mehr

    oder

    weniger plausibel zuriickzurechnen 4). Bei zweigipfeligen Haufig

    keitsverteilungen von Tumoren miissen wir auf unterschiedliche Zeitraume der Initia

    tion zuriickschlieBen, etwa fur Mammakarzinome bei Frauen vor der Menopause auf

    die Phase der friihen Geschlechtsreife,

    und

    bei postmenopausalen Mammakarzinomen

    auf das Bliitestadium

    der

    Geschlechtsreife. abei kann uns bei der Zunahme der

    Mammakarzinome in der

    jiingsten Vergangenheit als Sonderfaktor nur die allgemeine

    Nutzung von VerhiitungsmaBnahmen einfallen, mit denen sowohl der natiirliche Zy

    klus wie auch eine biologische Unterbrechung durch Schwangerschaft und Stillen ausge-

    6

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    14/174

    6

    5

    4

    3

    2

    Leber Tumoren

    o 5 1 15 20 25 3 35 40 Jahre

    Zeit nach Thorotrast injektlon

    Abb 3. Zeitspannen nach Tho

    rotrast-Injektion und Haufigkeit

    des Auftretens von myeloprolife

    rativen Erkrankungen und von

    Lebertumoren. Ergebnisse der

    deutschen Thorotraststudie (14).

    schaltet wird. Zweigipfelige Haufigkeitsverteilungen kennen wir auch bei den Tumor

    krankheiten der Lympho- und Myelopoese und des SkelettiBindegewebsapparates.

    Vielfach miissen wir Friihexpositionen bis in die Schwangerschaftsperiode zuriickver

    folgen, und dabei fallt uns speziell der Nikotinabusus der Schwangeren ein. Auch die

    Hodentumoren haben zwei Haufigkeitsgipfel mit mutmaBlich unterschiedlicher Zeit

    spanne der Schadigung.

    Uber den Ort der Schadigung gibt es heute kaum Meinungsverschiedenheiten: Es ist

    dies das enom der teilungsfahigen Zelle. Diese ist verantwortlich fiir die physiologi

    sche Schadigung wie auch fiir die Regeneration in ihrem Gefolge. Neben die offensicht

    lich im Genom verankerten Erbschaden treten die exogenen unbelebten Noxen. Der

    zeit beobachten wir eine erneute Hinwendung zu der Hypothese, da zahlreiche, auch

    menschliche Tumoren durch Viren verursacht oder mitverursacht werden. Strahlen

    schaden und unterschiedliche Kombinationen, so etwa die Kombination starker Rau

    cher/starker Trinker, k6nnen eine rein statistisch errechnete mittlere Wahrscheinlich

    keit auf ein Vielfaches steigern.

    Es ist eine schlimme menschliche Eigenschaft, unseren Mitmenschen irgendein Fehl

    verhalten bis ans Lebensende nachzutragen. Leider ist dieses nachtragende Verhalten,

    diese Unfahigkeit zum Verzeihen biologisch. Ebenso wie wir, haben auch die Zellen un

    seres K6rpers ein Gedachtnis . Auch sie vergessen ein ihnen einmal angetanes Un

    recht nicht. Auf die Krebsverursachung iibertragen bedeutet dies, da

    eine einmal initi

    ierte Zelle diese Eigenschaft Zeit ihres Lebens beibehiilt; sie ist und bleibt eine Krebs-

    7

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    15/174

    Tumorzellen

    1

    2

    1Kg=10cm0

    ~ ~ ~ ~ e

    Billion

    1Milliarde 19=1cm0

    ~ ~ ~ ~ ~

    e

    100Mio O 5g=5mm0

    1

    1Mio e

    A Grenze der

    _e \ I Tastbarkeit

    1

    20

    1

    1

    Grenzeder

    \ I

    Röntgendarste lung

    30

    40 50 Zellteilungen

    Abb 4 Anzahl der Teilungsschritte von Krebszellen, Gesamtzellzahl und Größe bzw. Durch

    messer von Tumoren. Die eingetragenen Grenzen für Tastbarkeit und RöntgendarsteIlung zeigen

    an, daß Tumoren erst spät im Verlauf ihrer Entwicklung nachweisbar werden: Auch sogenannte

    Frühkrebse haben bereits eine langjährige Entstehungsgeschichte hinter sich (Nach de Vita jr et

    al.,

    17).

    zelle. Aber damit ist die Problematik nicht abgeschlossen: Muß jede Krebszelle wach

    sen und in die Geschwulstmanifestation münden? Muß eine Krebszelle schnell wach

    sen, kann sie vielleicht auch langsam wachsen

    und

    gibt es vielleicht Faktoren, die schnel

    leres oder langsameres Wachstum beeinflussen?

    Damit stehen wir wieder vor der alten Problematik: Wohl entsteht jeder Krebs aus wie

    auch immer vorgeschädigten Zellen, wohl manifestiert sich ein Krebs nach Passage von

    Zwischenphasen mit Brückensymptomen. Im Alter ist die Manifestation zwar durch die

    lange verfügbare Zwischenzeit begünstigt, aber zugleich bedingen altersabhängige Ver

    haltensweisen auch Verzögerungen in der Zahl aufeinanderfolgender Teilungen. Die

    Manifestation einer Krebskrankheit im Alter ist die Folge, daß der lange lebende

    Mensch "sein" Karzinom erlebt, aber zugleich ist zumindest für einige Organkrebse die

    Gefahr reduziert, daß

    er

    an diesem Karzinom auch verstirbt, etwa für Prostata- und

    Schilddrüsenkarzinom,

    und

    ausgereifte Plasmozytome, die im angloamerikanischen

    Schrifttum als "smouldering myelomas" bezeichnet werden. Unbedingt gilt dies auch

    für das Mammakarzinom der Frau, das uns immer wieder charakteristische Beispiele

    für langsames Wachstum bietet. In gleicher Weise ist das Rektumkarzinom alter Men

    schen ein Beispiel, daß selbst vergleichsweise große Tumoren durchaus nicht jene Ge

    fahr bedeuten müssen, wie wir diese aus der Größe eines Tumors sonst erschließen.

    Die Problematik der Tumorbegünstigung bei alten Menschen hat noch eine zusätzliche

    Komponente. Früher galt die Regel, daß gutartige Geschwülste immer gutartig bleiben,

    8

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    16/174

    und daß bösartige Geschwülste schon von Anfang an bösartig seien, daß es zwischen

    gut und böse keine Übergänge gebe. Natürlich waren schon damals Ausnahmen

    bekannt, welche die Regel zu bestätigen schienen. 30 Jahre später

    hat

    sich das Bild weit

    gehend gewandelt.

    Heute

    ist zumindest für einige Organkrebse die Sequenz gutartig/be

    dingt gutartig/bösartig eindeutig erwiesen, so für die adenomatösen Dickdarmtumoren,

    für die Schilddrüsenneoplasien, wo wir das follikuläre Adenom und das follikuläre Kar

    zinom als follikuläre Neoplasie in eine eigene Gruppe einordnen. Bei den Harnblasen

    papillomen wissen wir nicht sicher, ob es wirklich zur Verkrebsung von Papillomen

    kommt, oder ob neben den Papillomen Karzinome neu entstehen.

    Natürlich ergeben sich aus diesem Wissen auch Konsequenzen. Wenn Tumorzellen in

    einzelnen Organen schlafen und nur auf ihre Aktivierung warten, dann stellt sich die

    Frage, ob nicht eine Manipulation etwa durch Abtastung oder durch Gewebsentnahme

    ausreicht, um aus einem Haustierkrebs einen Raubtierkrebs entstehen zu lassen,

    wie dies Herr Hacketal formulierte. Leider kann hierauf nur mit der Statistik geantwor

    tet werden, da für den Einzelfall eine Aussage nicht möglich ist. Nach unseren Kennt

    nissen ist ein latentes Prostatakarzinom auf diese Weise nicht aktivierbar.

    ber

    es gibt

    einen Tumor, den man erwiesenermaßen nicht berühen darf, weil

    er

    auf diese Weise ak

    tivierbar ist: das maligene Melanom. Dieser Tumor muß bei derEntfernung weit im Ge

    sunden umschnitten werden.

    Es gibt aber Wege, die Wachstumstendenzen eines Tumors zu bestimmen. Wir können

    an den Zellkernen eines Tumors über die Bestimmung der DNS-Menge erkennen, ob

    dieser Tumor einen diploiden Chromosomensatz in seinen Zellen aufweist, oder ob aty

    pische DNS-Mengen in jeder oder in vielen Zellen beobachtet werden. Nach unserer

    Erfahrung ist die Lebenserwartung von Patienten mit diploiden Tumoren relativ gün

    stig. Sie haben eine bessere Lebenserwartung als Patienten mit aneuploiden Tumoren

    (5). Diese Beobachtungen leiten

    über

    zu der Frage, welche Konsequenzen sich aus der

    Diagnose Krebs im Alter ergeben.

    Gesundheitspolitische spekte maligner Tumoren bei alten Patienten (7, 8,

    9

    Zu

    den altersrelevanten Faktoren gehört einmal die Psychologie des alternden Men

    schen, der weiß, daß die ihm noch beschiedene Lebensspanne begrenzt ist. Uns allen

    sind die Vorbehalte bekannt, die gerade der alte Mensch gegenüber Früherkennung,

    Vorsorge und Therapie äußert. Sie wurzeln vielfach in der Angst, in eine Maschinerie

    hineingezogen zu werden, die mit Operation, Krankenhaus, Schmerzen, Verstümme

    lung, kurz mit einer entscheidenden Änderung der Lebensqualität verbunden ist. Ist

    diese Scheu denn so unberechtigt? Fast 100 Jahre hat man brustkrebskranken Frauen

    die verstümmelnde Operation nach Halsted zugemutet. Erst seit zwei Jahren wissen

    wir, daß sich das Ergebnis dieser Operation im Vergleich mit einer weniger verstüm

    melnden Operation hinsichtlich der Lebenserwartung nicht unterscheidet. Wir haben

    nicht geholfen, wenn wir einem alten Manne zur Prostataentfernung geraten haben und

    sich daraus über Harninkontinenz die gesellschaftliche Isolierung entwickelt. Es gibt

    Tumoren, die man überhaupt nicht behandeln, wohl aber überwachen muß. Wenn der

    Arzt für den alten Patienten nicht mehr genügend Zei t aufbringt, darf er sich nicht wun

    dern, wenn dieser den Heilpraktiker aufsucht,

    der

    den ohnehin belanglosen Tumor mit

    9

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    17/174

    teuren Tropfen behandelt und hinterher sogar noch behaupten wird,

    er

    habe den Krebs

    zum Stillstand gebracht.

    Wir haben bei alten Menschen stiirker als bei jungeren Personen zu berucksichtigen,

    daB es neb en der absoluten eine relative Indikation gibt, die auch die GroBe des Ein

    griffs einschlieBt.

    Daneben

    gibt es

    aber

    auch eine problematische Indikation.

    Hier

    sind

    jene

    Tumoren einzuordnen, die nur uberwacht werden mussen.

    Der

    Ausdruck exspek

    tative Therapie ist hintergrundiger, als dies nach auBen den Anschein hat.

    Indikatoren einer Therapie bei alten Menschen sind danach die Psyche des alten Men

    schen, die Abschiitzung

    der

    Relation zwischen erforderlichem Eingriff und danach ver

    bliebener Lebensqualitiit, die sorgfiiltige Prufung im Hinblick aufvermeidbare

    oder

    un

    vermeidbare Folgeschiiden einer Behandlung im Alter.

    Am

    bedenklichsten ist wohl die

    gesellschaftliche Isolation. Endlich und nicht zuletzt mussen wir ein AugenmaB entwik

    keln, wenn wir komplexe Bedingungen gegeneinander abzuwiigen haben. Dies bedeu

    tet, daB wir konditionalistisch und auf verschiedenen

    Ebenen

    zu prufen haben. Wir

    mussen uns wieder daran erinnern,

    daB

    die iirztliche Tiitigkeit eine Kunst und nicht nur

    Handwerk ist. Dies wird in einer faktengliiubigen Medizin allzu oft vergessen.

    Wir muss en wissen,

    daB

    Krebs im

    Alter

    nicht generalisiert werden darf: Krebs ist nicht

    gleich Krebs.

    Der

    alte Mensch stellt uns in

    der

    Medizin ohnehin vor besondere Proble

    me. Krebskrankheiten im

    Alter

    sind gesondert und sehr differenziert zu werten, sowohl

    von

    der

    Krankheit

    her

    wie auch von deren Triiger. Nicht die Krankheit, sondern

    der

    alte

    Patient

    muB

    bei unserer Beurteilung in den Mittelpunkt gestellt werden.

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    Anschrift des Verfassers:

    Prof.

    Dr.

    Klaus Goerttler

    Institut rur Experimentelle Pathologie

    Deutsches Krebsforschungszentrum

    1m Neuenheimer Feld

    280

    D-6900 Heidelberg 1

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    19/174

    Epidemiologische Aspekte der Krebserkrankung

    im hohen Lebensalter*

    F.F. Holmes

    Dept. of Medicine, University of Kansas

    Die Krebserkrankungen kommen gehauft im hoheren Lebensalter vor. Sie sind selten

    bei Jugendlichen und nicht sehr haufig in der mittleren Lebensphase. Der Anteil der

    tiber 65 j ahrigen an der Gesamtbevolkerung betragt in den US etwa ein Achtel. In die

    ser Altersgruppe wird jedoch die Halfte aller Krebserkrankungen in Bezug auf die Ge

    samtbevolkerung diagnostiziert. Krebs ist die zweithaufigste Todesursache in den US

    nach Herz-Kreislauferkrankungen.

    Die Krebserkrankung im Alter ist haufig in Organsystemen lokalisiert, bei denen in Be

    zug auf Uberlebensrate und Therapieerfolge in den letzten Jahrzehnten keine groBen

    Fortschritte erzielt wurden. Diese Feststellung trifft auch fUr die meisten anderen Lan

    der der westlichen Welt zu. Die Zunahme der Krebserkrankungen mit zunehmendem

    Alter kann daran abgelesen werden, daB ein Mensch im Alter von 1 Jahren ein Risiko

    von 1: 10.000 besitzt, im nachsten Lebensjahr ein Karzinom zu entwickeln. Bei einem

    35 j ahrigen betragt dieses Risiko 1: 1.000 und bei einem 65 j ahrigen 1: 100.

    Mit Hilfe von Daten der WHO ist es moglich, die aktuelle altersspezifische Inzidenz von

    Krebserkrankungen fUr altere Menschen in reprasentativen Bevolkerungsgruppen auf

    drei Kontinenten zu vergleichen 5, Tabellen 1-4). Die Zahlen aus Europa, Nordameri

    ka und China zeigen, daB die Krebsinzidenz bei Mannern nach dem 65. Lebensjahr er

    heblich groBer ist als bei Frauen, und daB sich dieser Anstieg - China ausgenommen - in

    beiden Geschlechtern mindestens bis zum 85. Lebensjahr fortsetzt. In der Tat hat in

    Amerika und in Westeuropa der 80j ahrige Mann ein Risiko von 3: 100, daB im nachsten

    Lebensjahr bei ihm ein Krebs diagnostiziert wird.

    In der westlichen Welt kommen Karzinome der Lunge, der Prostata sowie kolorektale

    Karzinome am haufigsten vor. Auch in der ostlichen Welt ist das Lungenkarzinom am

    haufigsten, weitere haufig vorkommende Tumoren sind das Magenkarzinom und in

    China noch in verstarktem MaBe das Leberkarzinom.

    Bei Frauen steigt die Inzidenz von Krebserkrankungen zwischen dem 65. und dem 85.

    Lebensjahr an, jedoch nicht so stark wie bei Mannern. Mammakarzinome, gynakologi

    sche und kolorektale Karzinome kommen bei Frauen am haufigsten vor.

    Mindestens zwei Grtinde sind ausschlaggebend fUr den Anstieg der Krebsinzidenz mit

    zunehmendem Lebensalter in den meisten Teilen der Welt. Der eine ist die mit zuneh

    mender Lebensdauer einhergehende langere Einwirkzeit von karzinogenen Substan

    zen, der zweite, die mit zunehmendem Lebensalter abnehmende Immunabwehr.

    Uber den nattirlichen Verlauf von Karzinomen im Alter ist noch wenig bekannt.

    Es

    ist

    verwunderlich, daB im Hinblick auf den Umfang dieses Problems

    nur

    sehr wenig For

    schungsarbeit auf diesem Gebiet geleistet wurde.

    Es

    fehlen sogar einfache beschreiben

    de Studien.

    Ubersetzung: Dr. med. H. Werner, Frankfurt.

    13

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    20/174

    Tabelle 1

    Krebsinzidenz bei Mimnern pro 100.000 und pro

    Jahr

    65-69

    70-74

    75-79 80-84

    85+

    Iowa (USA)

    1513

    2123

    2684

    3032 3225

    Hamburg

    1452

    2007 2631 2964 2835

    Saarland 1754 2302 2883

    2901

    2844

    GDR 1281 1680 1883 1723 1291

    Shanghai (PRC) 1272 1596 1642 1357 1110

    Tabelle 2 Die haufigsten Krebsarten bei tiber 65jiihrigen Mimnern

    1. 2. 3.

    4. 5.

    Iowa (USA) Lunge Prostata Kolorektum Blase Pancreas

    (11 >65)

    Hamburg Lunge

    Kolorektum Prostata Magen Blase

    (14 >65)

    Saarland Lunge Kolorektum Prostata Magen Blase

    11

    >65)

    GRD Lunge Magen Kolorektum Prostata Blase

    (13 > 65)

    Shanghai Magen Lunge Leber Osophagus Kolorektum

    ( 5 >65)

    Tabelle

    3. Krebsinzidenz bei Frauen pro 100.000 und pro

    Jahr

    65-69

    70-74

    75-79

    80-84

    85 +

    Iowa (USA)

    1025 1166

    1431

    1569

    1774

    Hamburg 830 1077

    1321

    1543 1848

    Saarland 943

    1141 1456

    1678

    1780

    GDR

    892

    1095

    1272 1307 1221

    Shanghai (PRC)

    682 759

    734 550 436

    Tabelle 4

    Die haufigsten Krebsarten bei tiber 65jahrigen Frauen

    1.

    2. 3.

    4.

    5.

    Iowa (USA) Mamma Kolorektum

    Ovar

    Lunge Zervix

    (15 > 65)

    Hamburg

    Mamma

    Kolorektum Zervix Ovar

    Magen

    (22

    >65)

    Saarland Mamma

    Kolorektum Zervix

    Uterus Magen

    (16 > 65)

    GRD

    Mamma

    Zervix

    Kolorektum Magen Uterus

    (19 >65)

    Shanghei Magen

    Zervix

    Mamma Lunge Kolorektum

    ( 7 >65)

    Alte Patienten werden gew6hnlich von Chemotherapiestudien

    oder

    anderen Krebsthe

    rapiestudien ausgeschlossen.

    Ein interessantes Beispiel dafiir ist die akute Leukiimie. Wiihrend diese Erkrankung

    friiher bei

    Kindem

    fast immer letal endete, ist sie he ute bei etwa 50

    der

    erkrankten

    14

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    21/174

    Kinder heilbar. Bei alten Patienten dagegen betragt die Uberlebenszeit nur einige weni

    ge Monate mehr als vor 3 Jahren und eine Heilung - wenn es sie iiberhaupt gibt - ist

    sehr selten. Fiir viele alte Patienten, die an akuter Leukamie leiden, ist die Behandlung

    sehr viel schwerer zu ertragen als die Erkrankung selbst, und das Ergebnis ist im Grunde

    genom men mit und ohne Therapie das gleiche.

    In vieler Hinsicht weisen Krebserkrankungen bei alten Leuten unterschiedliche Aspek

    te im Vergleich zu Patienten in

    der

    ersten und zweiten Lebensphase auf. So werden

    Krebserkrankungen bei alten Patienten im allgemeinen in einem we iter fortgeschritte

    nen Stadium diagnostiziert als bei jiingeren (3). In den USA wurden kiirzlich Zahlen

    ver6ffentlicht, die zeigen,

    daB

    kolorektale Krebserkrankungen mit zunehmendem Al

    ter

    mehr im rechten Kolon als im Rektum lokalisiert sind. Dies gilt besonders

    fUr

    Frauen

    (1). Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Vorsorgeuntersuchung und die Friihdia

    gnose dieses haufigsten gastrointestinalen Tumors bei beiden Geschlechtern in den

    USA.

    Der

    natiirliche Verlauf aller Tumorarten und die Wirksamkeit einer Therapie laBt sich

    am besten abschatzen, wenn man die Uberlebensrate groBer Patientengruppen von der

    Diagnose bis zum Tod iiber einen Zeitraum von Jahrzehnten unter Beriicksichtigung

    des Krankheitsstadiums, des Alters und

    der

    Uberlebenszeit

    der

    AlIgemeinbevOlkerung

    analysiert.

    1983 wurden die Ergebnisse einer solchen Untersuchung von fast 38.000 alten Patienten

    publiziert. Die Daten aus dieser Untersuchung werden in der vorliegenden Arbeit zu

    sammengefaBt (2).

    Da

    diese Zahlen in den Jahren von 1950 bis 1979 gesammelt wurden,

    werden die Tumorstadien mit lokal, regional und metastasierend bei Diagnosestellung

    angegeben anstelle des heute verwendeten TNM-Systems in der Tumorklassifizierung.

    Der

    Begriff jung/aIte Patienten bezieht sich auf die Gruppe der 65-74jahrigen zum

    Zeitpunkt der Diagnosestellung, die Bezeichnung aIt

    fUr

    die Patienten, die 75-84

    Jahre alt waren und der Begriff alt/aIt auf diejenigen, die 85-94 Jahre aIt waren.

    rostata

    Ein lokal begrenztes Karziom

    der

    Prostata zeigt eine niedrige Mortalitat, wenn die

    Uberlebenszeit dieser Patienten mit einer vergleichbaren Altersgruppe

    der

    junglalten

    Patienten verglichen wird. In

    der

    Gruppe der altlaIten ist die Uberlebenszeit der Patien

    ten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom zum Zeitpunkt der Diagnose exakt ver

    gleichbar mit der einer nicht erkrankten altersentsprechenden Bev6lkerungsgruppe.

    Diese giinstige Uberlebenszeit ist wahrend der vergangenen

    3 4

    J ahrzehnte gleichge

    blieben, so daB es wenig sinnvoll erscheint, die Uberlebenszeit in diesen Tumorstadien

    bei dieser Patientengruppe weiter zu verbessern. Grundsatzlich ist es sehr unwahr

    scheinlich, daB es jemals gelingt, die Uberlebenszeit irgendeiner Gruppe oder Unter

    gruppe von Karzinompatienten so zu verbessern, daB sie langer leben als der vergleich

    bare Teil der Bev6lkerung, der nicht an diesem Krebs erkrankt ist.

    Die Uberlebenszeit bei Patienten mit regional ausgebreitetem Prostatakarzinom hat

    sich in den letzten

    3

    Jahren dramatisch verbessert und ist in der Gruppe der alt/alten

    Patienten im wesentlichen dieselbe, wie im aItersentsprechenden Anteil der gesunden

    mannlichen Bev6lkerung. Die erhebliche Verringerung der Ostrogendosierung in den

    15

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    22/174

    spaten 60er 1ahren

    hat

    hauptsachlich zu dieser bemerkenswerten Veranderung beige-

    tragen.

    Beim Prostatakarzinom, das bei Diagnosestellung schon Fernmetastasen gesetzt hatte,

    hat

    sich die Uberlebenszeit in den letzten

    lahrzehnten

    nicht wesentlich verbessert, so

    daB

    man annehmen muB daB Chemotherapie in diesem Krankheitsstadium nicht wirk-

    sam ist.

    Mammakarzinom

    In

    der

    Gruppe

    der

    alten und altlalten Patientinnen verursacht das bei Diagnosestellung

    lokal begrenzte Karzinom

    der

    Mamma keine hohere Mortalitat, wenn man die Uberle-

    benszeit dieser Patientinnen mit

    der

    entsprechenden Altersgruppe

    der

    weiblichen Be-

    volkerung vergleicht.

    In der Gruppe

    der

    jung/alten wird die Uberlebenzeit durch das lokal begrenzte Mam-

    makarzinom nur sehr wenig beeinfluBt. Sogar bei regional ausgebreiteter Erkrankung

    steigt die 5jahresmortalitatsrate in

    der

    Gruppe

    der

    jung/alten urn 20 , in

    der

    Gruppe

    der

    alten und altlalten nur urn 10 an.

    Es zeigte sich in den letzten 1ahren insgesamt eine Steigerung

    der

    Uberlebenszeit, diese

    erreicht jedoch keine statistische Signifikanz.

    Die Prognose beim Mammakarzinom mit Fernmetastasen zum Zeitpunkt der Diagno-

    sestellung ist in j edem Lebensalter schlecht, aber es konnte in den letzten 301 ahren eine

    deutliche und statistisch signifikante Verbesserung

    der

    Uberlebenszeit erzielt werden.

    Dies ist moglicherweise das Ergebnis einer wirksameren hormonellen und Chern

    other

    a-

    pie. Eine Heilung der Erkrankung in dies em Stadium ist nicht moglich.

    ungenkarzinom

    In den USA zumindest nimmt die Inzidenz von Lungenkarzinomen in

    der Gruppe der

    alten und alt/alten Patienten im Vergleich zu·den jung/alten abo Die Griinde dafiir sind

    nicht ganz klar.

    Eine andere merkwiirdige Erscheinung des Lungenkarzinoms liegt darin, daB es das

    einzige haufig vorkommende Karzinom ist, bei dem es eine umgekehrte Beziehung zwi-

    schen steigendem Alter und Stadium

    der

    Erkrankung zum Zeitpunkt

    der

    Diagnosestel-

    lung gibt.

    Die Uberlebenszeit bei dieser Erkrankung ist im wesentlichen dieselbe wie bei liinge-

    ren, namlich gleichermaBen kurz. In

    der

    Patientengruppe mit lokal begrenzter Erkran-

    kung, die operativ behandelt werden konnen, werden jedoch fast ein Drittel geheilt, so-

    gar in

    der

    Gruppe

    der

    altlalten.

    Die Prognose bei regional ausgebreiteter Erkrankung oder bei Fernmetastasen ist bei

    Diagnosestellung sehr schlecht und hat sich auch in den letzten 30 1ahren nicht verbes-

    sert.

    Beim kleinzelligen Bronchialkarzinom ist die Chemotherapie wirksam und die Bestrah-

    lung ist kaum

    mehr

    als eine Palliativtherapie.

    6

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    23/174

      astrointestinale Tumoren

    In den

    USA

    nimmt die Inzidenz des Magenkarzinoms weiter ab und die Inzidenz des

    Pankreaskarzinoms steigt an auch in der Gruppe der alten Patienten.

    Die

    Inzidenz des

    kolorektalen Karzinoms hat sich in den letzten 30-40 J ahren nicht wesentlich geiindert

    aber wie bereits

    oben

    angegeben zeigt sich mit zunehmendem Lebensalter ein Wech

    sel

    der

    Lokalisation von distalen Teilen des Dickdarms zu den proximalen Anteilen.

    Das lokal begrenzte Magenkarzinom ist zumindest in den USA selten

    und

    die Prognose

    ist in jedem Lebensalter gut wenn die chirurgische Resektion moglich ist.

    Fiir aIle iibrigen Stadien des Magenkarzinoms ist die Uberlebensrate sehr schlecht wo

    bei praktisch aIle Patienten 5 Jahre nach der Diagnose verstorben sind.

    Radiotherapie

    und

    Chemotherapie besitzen

    nur

    geringen

    oder

    gar keinen therapeuti

    schen Wert.

    Das kolorektale Karzinom ist

    eine

    chirurgische Erkrankung und die Lebenserwartung

    bei lokal begrenztem kolorektalem Karzinom ist sehr gut und erreicht sogar die

    der

    al

    tersentsprechenden Bevolkerung in

    der Gruppe der

    alt/alten Patienten.

    Nur

    wenige

    Studien konnten nachweisen daB eine adjuvante Chemotherapie undloder Strahlen

    therapie die Prognose in diesem Stadium der Erkrankung verbessern konnte. Selbst bei

    regional ausgebreitetem kolorektalen Karzinom ist die 5jahresiiberlebenszeit auch in

    der

    Gruppe der

    sehr alten Patienten gut sie lieB sich jedoch durch therapeutische MaB

    nahmen nicht weiter verbessern.

    Bei metastasierender Erkrankung ist die Prognose sehr schlecht und kann durch Che

    motherapie nicht beeinfluBt werden.

    Das Pankreaskarzinom ist bei Diagnosestellung praktisch immer unheilbar ausgenom

    men sind davon die ssltenen Inselzelltumoren und die endokrinen Tumoren. Kaum ein

    Patient

    lebt liinger als 3

    Jahre

    nach Diagnosestellung.

    Es

    lieB sich aber in der Gruppe der jung/alten in

    den

    30 Jahren in denen diese Studie

    lief eine signifikante Verbesserung der 1jahresiiberlebenszeit feststellen. Wahrschein

    lich muB man dieses Ergebnis im Zusammenhang mit palliativen TherapiemaBnahmen

    bei Gallenwegsobstruktionen sehen. Nach 3 Jahren war diese signifikante Verbesse

    rung jedoch nicht mehr nachzuweisen.

    yniikologiscbe Tumoren

    Es

    ist

    bekannt

    daB die Inzidenz des invasiv wachsenden Zervixkarzinoms ebenso wie

    die des Ovarialkarzinoms bis zum Alter von

    85

    Jahren und dariiberhinaus stiindig zu

    nimmt.

    Die Inzidenz des Endometriumkarzinoms ist zur Zeit in den USA in der Gruppe der

    jungen/alten Patientinnen am hochsten und nimmt im spiiteren Lebensalter stiindig abo

    Wahrscheinlich ist dieses Hiiufigkeitsmuster eine Folge der wechselnden Einnahmege

    wohnheiten von

    bstrogenen

    in

    der

    Postmenopause bei amerikanischen Frauen.

    Moglicherweise werden die meisten Endometriums- und Zervixkarzinome schon im

    Friihstadium entdeckt und konnen geheilt werden. Tatsiichlich sind die Heilungsraten

    im Friihstadium so gut daB eine weitere Verbesserung kaum noch erreicht werden

    kann.

    7

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    24/174

    Selbst bei regionaler Ausbreitung dieser Tumoren betragt die 5jahresiiberlebensrate

    noch

    50 .

    Die Prognose bei metastasierender Erkrankung ist auBerordentlich schlecht und die

    Chemotherapie von sehr geringem Nutzen.

    Das

    Ovarialkarzinom dagegen wird in allen Lebensaltern nur selten im Friihstadium

    entdeckt und kann

    daher

    auch kaum geheilt werden. Bei streng lokal begrenztem

    Tumor ist die Uberlebenszeit jedoch ausgezeichnet und erreicht die

    der

    nicht erkrank-

    ten altersentsprechenden weiblichen Bev6lkerungsgruppe.

    Das Ovarialkarzinom mit regionaler Ausbreitung fiihrt in

    der

    Regel zum Tod

    der

    Pa-

    tientin.

    Die in den letzten 3

    lahrzehnten

    festzustellende signifikante Verbesserung

    der

    Uber-

    lebenszeit ist vermutlich das Ergebnis einer verbesserten Palliativbehandlung durch Be-

    strahlung und Chemotherapie bei vielen dieser Patientinnen.

    osartige hamatologische Erkrankungen

    Die Inzidenz b6sartiger hiimatologischer Erkrankungen nimmt bis in die h6chsten

    Altersgruppen zu. Insgesamt betrachtet sind diese Erkrankungen im h6heren Lebens-

    alter recht haufig.

    Es sind zwei Faktoren die die Prognose in dieser

    Gruppe

    von ganz unterschiedlichen

    systemischen Tumorerkrankungen entscheidend beeinflussen:

    1

    Der

    Malignitatsgrad

    der

    jeweiligen Erkrankung und

    2. das Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie.

    Wie bereits erwahnt hat sich weder die Prognose

    der

    akuten myeloischen noch

    der

    aku-

    ten

    lymphatischen Leukamie bei alten Patienten in den letzten 3 1ahrzehnten wesentlich

    verbessert.

    Das

    bedeutet daB die seltenen Remissionen und die in einigen Fallen beob-

    achteten relativ langen Uberlebenszeiten erreicht werden auf Kosten einer verkiirzten

    Uberlebensdauer und schwerer Nebenwirkungen bei denen die aggressiv behandelt

    werden. 3 lahre nach Diagnosestellung lebt keiner

    der Erkrankten

    mehr.

    Dagegen ist die Prognose

    der

    chronisch lymphatischen Leukamie ausgezeichnet und

    zeigt in

    der Gruppe der

    altlalten nur eine geringfiigige

    erh6hte

    Mortalitat. Die Ursache

    dafiir ist

    der

    niedrige Malignitatsgrad

    der

    Erkrankung denn die Ansprechbarkeit

    der

    CLL

    auf Chemotherapie ist im

    Alter

    nicht besser als bei den akuten Leukamieformen.

    Die Uberlebenszeit

    der

    chronisch myeloischen Leukamie liegt erwartungsgemaB zwi-

    schen diesen beiden Extremen. Die Ansprechbarkeit

    der CML

    auf Chemotherapie ist

    ebenfalls sehr gering.

    Die

    Prognose

    der

    malignen Lymphome bei alten Patienten

    hat

    sich auBerordentlich

    und

    signifikant verbessert. Durch chemotherapeutische MaBnahmen k6nnen in einigen Fal-

    len selbst die sehr b6sartigen histiozytaren Lymphome geheilt werden.

    Eine

    der

    gr6Bten Uberraschungen dieser Studie war die Feststellung daB die Uber-

    lebensrate alter Patienten mit Plasmozytom in den letzten 301ahren hochsignifikant zu-

    genommen hat. Diese Prognoseverbesserung liegt deutlich iiber

    der

    von Patienten im

    mittleren Lebensalter. Diese Tatsache laBt sich nur mit

    der

    besseren Ansprechbarkeit

    des Plasmozytoms auf Chemotherapie in

    der

    Gruppe

    der

    alten Patienten erklaren.

    8

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    25/174

    Zusammenfassung

    Krebs ist eine haufige Erkrankung im h6heren Lebensalter. Bis he ute wird dieser Tat

    saehe in der medizinisehen Literatur wenig Aufmerksamkeit gesehenkt. Die Arzte ver

    sagen dem alten krebskranken Patienten leider immer noeh die erforderliehe Zuwen

    dung und Aufmerksamkeit.

    leh habe versueht zu zeigen, daB der natiirliehe Verlauf der Krebserkrankung in den

    versehiedenen Organsystemen bei alten Mensehen sehr stark variiert. Manehe Tumoren

    zeigen eine so geringe Malignitat, daB man sie ohne wei teres konservativ behandeln

    kann, z.B. das lokalisierte Prostatakarzinom bei iiber 7Sjahrigen Mannem.

    Andere Tumoren sind so b6sartig und prognostiseh so ungiinstig, daB zumindest beim

    derzeitigen Wissensstand nur unterstiitzende und palliative TherapiemaBnahmen in

    Frage kommen. Beispiele dafur sind das Pankreaskarzinom und die akuten Leukamien.

    1m

    Gegensatz dazu gibt es einige Tumorerkrankungen im h6heren Lebensalter, die

    aueh einer kurativen Behandlung sehr gut zuganglieh sind. In diesen Fallen, zu den en

    das Kolonkarzinom, das Lungenkarzinom im Friihstadium, das Mammakarzinom mit

    regionarer Ausbreitung, die Lymphome und das Plasmozytom geh6ren, durfen die ent

    spreehenden therapeutisehen MaBnahmen den alten Patienten nieht vorenthalten wer

    den.

    Als geriatriseh tatige Arzte sind wir gut beraten, wenn wir den naturliehen Verlauf der

    versehiedenen, bei alten Mensehen haufig vorkommenden Tumorerkankungen verste

    hen

    lemen

    so daB wir un sere alten Patienten in geeigneter Weise behandeln k6nnen.

    Dabei

    mu

    in jedem einzelnen Fall der Nutzen und das Risiko therapeutiseher MaBnah

    men sorgfaltig abgewogen werden.

    iteratur

    1

    Butcher

    D

    Hassanein K, Dudgeon M, Rhodes J, Holmes

    FF

    1985) Female gender

    is

    a major

    determinant of changing sub site distribution of colorectal cancer with age. Cancer: 714-716

    2. Holmes FF 1983) Aging and cancer. Recent Results in Cancer Research, vol. 87. Springer,

    Berlin Heidelberg New York

    3. Holmes

    FF

    Hearne EM 1981) Cancer age-to-stage relationship: implications for cancer

    screening in the elderly. Journal of the American Geriatrics Society 29: 55-57

    4

    Holmes FF, Hearne

    E

    Conant M, Garlow W 1979) Survival in the elderly with acute leukemia.

    Journal of the American Geriatrics Society 27: 241-243

    5 Waterhouse J, Muir C, Shanmugaratnam K, Powell J 1982) Cancer Incidence in Five Conti

    nents, Volume IV,

    IARC

    Scientific Publications No.

    42

    World Health Organization, Interna

    tional Agency for Research on Cancer, Lyon

    Anschrift des Verfassers:

    Prof.

    F.F.

    Holmes, MD FACP

    University of Kansas

    Dept.

    of

    Medicine

    College of Health Sciences and Hospital

    39th and Rainbow Blvd.

    Kansas City, Kansas 66103

    USA

    19

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    26/174

    Grundsatze der Krebstherapie im hohen Lebensalter

    H M Hodkinson

    University College and Middlesex Medical School, London

    In jiingerem Lebensalter wird Krebs als eine lebensbedrohende Erkrankung vor dem

    Hintergrund einer in dieser Altersgruppe noch relativ langen Lebenserwartung betrach

    tet. Kann die Erkrankung geheilt werden, ist noch mit einer langen Lebensspanne zu

    rechnen. Unter dem Gesiehtspunkt einer Kosten-Nutzenbetrachtung ist die klinische

    Behandlung gerechtfertigt, wenn sie dazu fiihrt,

    daB

    der Patient gute Aussiehten hat,

    die Erkrankung zu iiberleben und die gleiche Lebenserwartung besitzt wie eine gesunde

    Kontrollgruppe. Mit Kosten sind hier nicht die finanziellen Aufwendungen gemeint,

    sondern die Belastungen, die eine oft eingreifende und nebenwirkungsreiehe Krebsthe

    rapie dem Patienten aufbiirdet.

    Es

    herrscht allgemeine Ubereinstimmung, daB in jiingeren Lebensphasen ein aggressi

    ves therapeutisches Vorgehen bei der Krebserkrankung angezeigt ist, selbst wenn durch

    chirurgische MaBnahmen, intensive Chemotherapie oder Strahlentherapie der Patient

    sehr leiden und schwere Therapienebenwirkungen und Komplikationen ertragen muB

    Es wird naeh dem Grundsatz gehandelt,

    daB

    aggressive Erkrankungen auch ein aggres

    sives therapeutisches Vorgehen notwendig maehen.

    Die Therapie beim alten und besonders beim sehr alten Krebspatienten muB jedoeh

    ganz andere Gesichtspunkte beriieksiehtigen. Zuniiehst ist zu beaehten, daB die Lebens

    erwartung im Alter wesentlich verkiirzt ist. Zwar haben die Fortsehritte der modernen

    Medizin beaehtliche Auswirkungen auf die Lebenserwartung jiingerer Altersgruppen

    gezeigt, sie haben jedoeh nur geringen EinfluB im Alter, wenn die durehsehnittliehe Le

    benserwartung z.B. bei 80jiihrigen noeh 5-6, bei 85jiihrigen noeh 4 und bei 90jiihrigen

    noeh 3 Jahre betriigt.

    1m Einzelfall kann fUr einen alten Patienten, bei dem auBer einer anderen lebensbe

    drohlichen Erkrankung auch noch ein Karzinom entdeekt wird, die Lebenserwartung

    noeh erheblieh verkiirzt sein.

    1m Gegensatz zum jiingeren stirbt der alte Mensch viel

    hiiufiger mit einem bosartigen Tumor als an einem bosartigen Tumor.

    Die Entseheidung, eine Krebstherapie durehzufUhren, ist sieher nieht problematisch bei

    einem Patienten zwischen dem 60 und 70. Lebensjahr, der in gutem Allgemeinzustand

    ist und noeh Erwartungen an das verbleibende Leben hat. Hier sind alle vertretbaren

    therapeutischen Anstrengungen gerechtfertigt. Ganz anders stellt sich die Situation bei

    den sehr alten Mensehen tiber 80 Jahren dar, den typisch geriatrischen, sehr hiiufig mul

    timorbiden Patienten. Vor dem Hintergrund einer meist sehr kurzen Lebenserwartung

    ist eine aggressive und nebenwirkungsreiehe Krebstherapie nicht gerechtfertigt. Bei

    dieser Patientengruppe muS die Lebensqualitiit der verbleibenden Jahre unbedingt

    Vorrang haben vor der bIoS en Lebensverliingerung. Dies gilt vor allem, wenn medizini

    sche MaSnahmen wie aggressive Chemotherapie oder groSe Operationen nur Qual und

    Leiden fUr die noeh zu erwartende kurze Lebensspanne bedeuten. Ebenso muS man

    Ubersetzung: Dr med. H. Werner, Frankfurt.

    21

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    27/174

    daran denken daB therapiebedingte Dauerbehinderungen wie z.B. der Anus praeter

    den alten Menschen in seinen sozialen Funktionen stark beeintrachtigen und isolieren

    konnen.

    Vor

    dem Hintergrund dieser Uberlegungen gewinnen symptomatische palliative MaB-

    nahmen eine groBere Bedeutung als das kurative medizinische Vorgehen. Es ergibt sich

    dariiberhinaus die Forderung die Wiinsche und Vorstellungen des Patienten starker zu

    beriicksichtigen und ihn nicht zu einer Behandlung zu drangen. Was namlich wirklich

    zahlt ist die lebenswerte Gestaltung

    der

    dem alten Patienten verbleibenden Monate

    und Jahre die

    er

    nach Moglichkeit in

    der

    eigenen Umgebung verbringen sollte und

    nicht die bloBe Uberlebenszeit in statistischen Zahlen.

    AIle Formen

    der

    Tumorbehandlung sind fUr den alten Menschen ohne Zweifel sehr be-

    lastend und riskoreich.

    Das

    operative Risiko einschlieBlich postoperativer Komplika-

    tionen steigt im Alter deutlich an. Unerwiinschte Wirkungen der Chemotherapie sind

    starker ausgepragt die Verweildauer im Krankenhaus wesentlich verlangert. Die Erho-

    lungsphase nach den genannten Therapien verlauft oft sehr langsam und schleppend.

    Die negativen Auswirkungen dieser Krebstherapien iibersteigen bei alten Menschen in

    der Regel urn ein Vielfaches den therapeutischen Nutzen und vermindern dariiberhin-

    aus deutlich die Lebensqualitat .

    Diese Uberlegungen gelten in gleichem MaBe

    fUr

    palliative Behandlungsformen wenn

    dadurch das Leiden des Patienten nicht erleichtert sondern

    eher

    verschlechtert wird.

    Das

    therapeutische Bemiihen

    mu

    auf wirksame Erleichterung und Besserung qualen-

    der Symptome gerichtet sein und darf auf keinen Fall neue den Patienten belastende

    Leiden hervorrufen.

    SchuldgefUhle des Arztes oder der Verwandten gegeniiber dem Patienten soIl ten nie-

    mals das Motiv fUr eine Krebstherapie sein. Der Drang aIle therapeutischen Moglich-

    keiten auszuschopfen

    nur

    urn das eigene Gewissen zu erleichtern darf auf keinen Fall

    zur Einleitung entsprechender MaBnahmen zu Lasten des Patienten fUhren.

    Die Einstellung alter Menschen zur Krankheit und zum

    Tod

    ist sehr unterschiedlich. m

    Gegensatz zu jiingeren Menschen streb

    en

    sie meist nicht ein Leben urn jeden Preis an.

    Nach einem langen

    und

    erfiillten Leben schwacht die Aussicht auf ein Dasein voller Be-

    hinderungen und Leiden den Lebenswillen der alten Menschen. Man mu auch damit

    rechnen

    daB

    alte Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen es ablehnen sich iiber-

    haupt in medizinische Behandlung zu begeben aus Furcht der Arzt konnte keine

    Riicksicht auf ihre Wiinsche und Erwartungen nehmen und gegen ihren Willen eine

    Therapie einleiten.

    Diese Einstellungen und Motive alter Tumorpatienten miissen bei allem arztlichen

    Handeln beachtet akzeptiert und v.erstanden werden. Dies ist die wichtigste Vorausset-

    zung fUr die schwierige arztliche Aufgabe mit dem Tumorleiden bei Patienten in hohem

    Lebensalter umzugehen.

    Anschrift des Verfassers:

    Prof. Dr. H M Hodkinson

    University College and Middlesex Medical School

    Department of Geriatric Medicine

    St. Pancras Hospital

    St. Pancras Way

    London NW

    lOPE

    United Kingdom

    22

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    28/174

    Kontinenzerhaltende Operationen beim Dickdarm

    und

    Mastdarmkarzinom im hoheren Lebensalter

    H. Hansen

    Chirurgische Universitatsklinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. F. Stelzner),

    Bonn

    Radikale Entfernung der Geschwulst und Wiederherstellung des Darmweges sind die

    beiden Hauptziele, die wir bei allen Malignomen des Kolons und Rektums anstreben.

    Immer haufiger werden wir in den letzten J ahren mit der Aufgabe einer kontinenzerhal

    tenden Resektion bei alteren Patienten mit einem kolorektalen Krebs konfrontiert.

    DieserTrendwird auch in den nachsten

    J

    ahren voraussichtlich weiter anhalten (Tabelle

    1, Abb. 1). N ach statistischen Berechnungen steigt der prozentuale Anteil alterer Men

    schen in der Bevolkerung westlicher Lander standig an. n diesem Lebensabschnitt ent

    steht mehr als die Halfte aller Dickdarm- und Mastdarmkrebse (Abb. 2).

    90 aller Malignome des Kolons und Rektums sind Adenokarzinome. Davon wachsen

    80 ulzeros, schliisselfOrmig, mit einem wallartigen Rand. Diese Tumore haben einen

    mittleren Malignitatsgrad. Sie stellen das Hauptkontingent kolorektaler Karzinome

    und diktieren somit insgesamt die Prognose dieser Krankheit. Etwa 20 der Adeno

    karzinome bei iiber 70jahrigen haben ein polyposes Wachstum und einen geringen

    Malignitatsgrad. Von prognostischer Bedeutung ist der viel seltenere Befall regionarer

    Tabelle 1.

    BevblkerungsstatistiklUSA (nach

    Boyd et al. 1980)

    Jahr Gesamt

    >65J

    1900

    76094000 3099000 4,1

    1950 152271000

    12297000

    8,1

    1970

    204878000 20087000 9,8

    2000 282837000

    31822000 11,3

    Tabelle 2. Lokalisation 547 kolorektaler Karzi

    nome. Chirurgische Universitatsklinik, Bonn,

    1.4.1977-30.4.1983

    n

    Zbkum 24

    4,6

    Ascendes /

    reo

    Flexur

    36

    6,6

    Transversum

    15

    2,7

    Descendes / Ii. Flexur 22

    4,0

    Sigma 1 9 19,9

    Rektum

    341

    62,0

    23

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

    29/174

    120 n

    110

    lUU

    90

    IIU

    IU

    6U

    5U

    50

    20

    10

    o

    1978

    -

    79

    ?

    ?

    >60 Jahre

    ? _ ~ ~

    >

    70 Jahre

    ? , _ ~

    >

    80

    Jahre

    - 80 - 81 -

    82

    -

    83

    -

    84

    - 85

    Abb l Anzahl der jahrlichen kolorektalen Karzinomresektionen . Chirurgische Univ.-Klinik ,

    Bonn)

    120

    110

    100

    90

    80

    70

    60

    50

    40

    30

    20

    10

    0

    a

    n

    0

    n=

    355

    466

    1 =

    43 2

    56 7

    10 - 19

    20

    -

    29 30

    -

    39 40

    - 49

    50

    -

    59

    60 - 69

    70

    -

    79

    80 -

    89

    Jahre

    Abb 2. Alters- und Geschlechtsverteilung von 821 Patienten mit einem kolorektalen Karzinom .

    Chirurg. Univ.-Klinik Bonn,

    1 1

    78-12. 8.85)

    24

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

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    Lymphknoten im h6heren Lebensalter. Wiihrend in

    der

    Altersgruppe

    der

    20-39jiihri

    gen bei 72 Nahmetastasen diagnostiziert werden, fanden sich befallene Lymphknoten

    bei den 60-79jiihrigen hingegen nur in

    46 .

    Frauen erkranken auch im h6heren Le

    bensalter seltener an einem kolorektalen Krebsleiden.

    Das

    kolorektale Karzinom erscheint bevorzugt in den Darmabschnitten, wo naturli

    cherweise die Darmpassage verlangsamt ist (Tabelle 2). Dementsprechend findet man

    den Krebs wei taus am hiiufigsten im Mastdarm, gefolgt yom Sigma und den Kolon

    flexuren. Diese prozentuale Verteilung hat sich in den vergangenen lahrzehnten nicht

    veriindert und wird in allen Altersgruppen angetroffen. Die an unserem Krankengut er

    mittelten Zahlen stimmen mit denen der Literatur gut uberein.

    Die Karzinome im Dickdarm und Mastdarm breiten sich zirkuliir, stenosierend, aus und

    behindern die Darmpassage (Abb. 3, Tabelle 3). Dies bedingt die in

    der

    Tabelle aufge

    fuhrten subjektiven Symptome, wie Anderung

    der

    Darmentleerung, Obstipation oder

    Abb.

    3.

    Zirkular wachsender Krebs im Colon ascendens (Pfeile), bei einem 76jahrigen Patienten

    Tabelle 3. Symptome kolorektaler Karzinome

    (nach Muir, 1956)

    Anderung der Darmentleerung

    Blutung aus dem Darm

    Diarrhoe

    Obstipation

    Gewichtsverlust

    8

    66

    54

    3

    28

    25

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

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    Diarrhoe. Es heiBt immer, daB altere Patienten diese Krankheitszeichen seltener oder

    spater bemerken. Wir konnen diese nie bewiesene Behauptung bei unseren Patienten

    nicht bestatigen.

    Fortgeschrittene oder inoperable Kolon- bzw. Rektumkarzinome sehen wir heute viel

    weniger als friiher, und wenn, dann eher bei jiingeren Patienten.

    Fiir den friihen Nachweis der kolorektalen Krebse hat sich

    der

    Hamokkulttest sehr be

    wahrt. Er deckt bereits symptomlose Dickdarmkarzinome auf, die eine deutlich bessere

    Prognose haben, als Darmtumoren mit den aufgefiihrten Beschwerden.

    Wird dagegen ein Krebs erst durch einen Ileuszustand oder eine Darmperforation dia

    gnostiziert, sind die Chancen eines kurativen Eingriffs gering. Bei einem alteren Patien

    ten kann in soleh einem seltenen Fall dann bereits die alleinige Anlage einer Kolostomie

    zum Tode fiihren.

    Die Adenokarzinome im Mastdarm und Kolon wachsen relativ langsam. Sie sind kaum

    strahlenempfindlich. uf die bislang bekannten Chemotherapeutika sprechen sie nicht

    an.

    Eine kurative Behandlung dieser Krebse erreichen wir

    z

    Zt. deshalb allein operativ.

    Beim alteren Patienten stehen dem Chirurgen zwei Verfahren dazu zur Verfiigung:

    1. Die ortliche Abtragung der Geschwulst,

    2 die Radikaloperation.

    Die lokale Exzision des Karzinoms ist nur bestimmten, ausgewahlten Fallen vorbehal

    ten. Nach unseren Erfahrungen kann vor aHem bei alteren Patienten, die einen exophy

    tisch wachsenden, kleinen Tumor in der unteren Mastdarmampulle haben, dieser Ein

    griff von transanal oder iiber eine Proktotomie mit gutem Erfolg durchgefiihrt werden.

    Fiir die groBe Mehrheit

    der

    betroffenen Patienten kommt jedoch nur die sogenannte

    Radikaloperation in Frage (Tabelle 4, Abb. 4). Radikal bedeutet Resektion des tumor

    tragenden Darmabschnittes mitsamt seiner MetastasenstraBen, also dem regionaren

    Lymphknotengebiet, und die den Darm umhiillenden Faszien. Diese Hiillfaszien sind

    spinnwebendiinne, gefaBlose Grenzlamellen, die den kolorektalen Krebs und seine

    MetastasenstraBen tumordicht verpacken. Die intakte, komplette Exzision dieser

    Strukturen garantiert den hohen Erfolg der radikalen Resektion der Mastdarm- und

    Dickdarmkarzinome, selbst in Ausbreitungsstadien, die bei anderen Organkrebsen zu

    einem Riickfall fiihrten.

    Einer der entscheidenden Faktoren fiir die Prognose des Eingriffs ist die Lange der rese

    zierbaren MetastasenstraBe, die wir unabhiingig yom Alter des Patienten, soweit opera

    tionstechnisch vertretbar, zu entfernen versuchen.

    m

    rechten Kolon sind die Metastasenwege kurz. Fiinfjahresheilungen liegen deshalb

    hier urn 20 niedriger als bei den iibrigen Dickdarmkarzinomen.

    Am Mastdarm ist diese Strecke am langsten. 1m Gegensatz zum Kolon ist sie hier auch

    nur singular angelegt. In den vergangenen 8 lahren wurden in unserer Klinik von

    821

    kolorektalen Karzinomen 775, entsprechend 94,3 , durch einen radikalehirurgischen

    Eingriff behandelt (Tabelle 5). Davon entfallen auf die Altersgruppe der iiber 70jahri

    gen 27,6 . Bei den Resektionen liegt der Anteil dieser Altersgruppe bei 28,5 .

    Resektionen im Bereich des Dickdarms erlauben fast immer die Wiederherstellung der

    Darmkontinuitat. m rechten Kolon und rechtsseitigen Transversum werden aus

    Griinden der Radikalitat Arteria und Vena ileocolica immer mitentfernt. Eine rechtsei

    tige Dickdarmresektion wird deshalb von uns grundsatzlich als Ileotransversostomie ab

    geschlossen.

    26

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    Abb 4. Schema der radikalen Resektion des Mastdarms. Hohe Unterbindung der Metastasen-

    straBe am Abgang an der Aorta; der dunkle Pfeil deutet auf die prasakrale Faszie, der helle Pfeil

    markiert die hintere Grenzlamelle. Zwischen beiden Pfeilen befindet sich das Spatium retrorectale.

    Der

    hell schraffierte Darmabschnitt wird bei einer Rektumexstirpation entfernt

    Tabelle 4. Radikaloperation beim Darmkrebs

    1. Entfernung des Tumors

    2 Wegnahme der regionaren Lymphknoten mit den MetatasenstraBen

    3

    Exzision der Organhullfaszien beim Mastdarm: Grenzlamellen)

    Malignome des linken Kolons bieten operationstechnisch keine Schwierigkeiten. Das

    Sigma mit erhaltener Mesenterica inferior und das rechtsseitige Kolon konnen nach ent-

    sprechender Mobilisation ohne Probleme vereinigt werden.

    Sigmakarzinome konnen im Friihstadium, vor aHem bei alteren Patienten, durch eine

    segmentare Resektion behandelt werden. Sicherer und von uns bevorzugt ist die hohe

    27

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

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    Unterbindung der MetastasenstraBe unterhalb des Abgangs der Coliea sinistra, wo

    dureh die

    obere

    Rektalarterie und das

    Rektum

    mobile mitentfernt werden mussen.

    Fur

    das Rektumkarzinom stehen uns zwei Operationsverfahren zur Verfugung Abb.

    Sa, b):

    1. Kontinenzresektion mit Erhaltung des naturliehen Darmweges und

    2. die Rektumamputation mit Verlust des Darmausgangs und der Anlage eines endgul

    tigen Bauehafters.

    Tabelle 5. Radikaloperationen bei 82 Patien

    ten mit kolorektalem Karzinom, Chirurgische

    Universitatsklinik, Bonn 1.4.77-12.8.85)

    Rektumkontinenzresektion 49

    Rektumamputation 36

    Kolonresektion

    48

    >70J

    .

    24

    35

    55

    Abb

    Sa. Schema der Rektumkontinenzresektion

    28

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

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    Abb 5b Schema

    der

    Rektumamputation

    Wahrend friiher jede Radikaloperation des Mastdarmkarzinoms die Opferung des

    Kontinenzorgans bedeutete, ist in den letzten lahrzehnten der Anteil der Rektumresek-

    tion standig gestiegen.

    or allem fUr altere Patienten glaubte man bislang, daB der amputative Eingriff sicherer

    ware Tabelle 6): Das Gegenteil ist der Fall. Entgegen anders lautenden Mitteilungen in

    der Li teratur und eigenen Erwartungen aufgrund friiherer statistischer Berechnungen

    muBten wir feststellen,

    daB

    die Amputation bei alteren Patienten eine deutlich hohere

    Operationsletalitat zur Folge hat. Vermutlich sind groBeres Operationstrauma und aus-

    gedehnte sakrale Wundflache die wesentlichen Faktoren. Deshalb ist auch im fortge-

    schrittenen Lebensalter, wenn irgendmoglich, zuerst der kontinenzerhaltende Eingriff

    anzustreben.

    9

  • 8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter

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    Befiirchtungen einer unzureichenden Radikalitat sind unbegriindet (Tabelle 7). Zahl

    reiche Untersuchungen haben nachgewiesen: das Rektumkarzinom wachst und meta

    stasiert fast ausschlieBlich nur nach kranial. Der Befall iliakaler Lymphknoten tritt ex

    trem selten auf.

    Daher

    konnen wir auch tiefsitzende, digital palpable Krebse der Mast

    darmampulle durch eine Rektumresektion radikal operieren. Wir fordern eine distale

    Resektionsgrenze, die wenigstens 2 cm yom unteren Tumorrand entfernt ist. Die Be

    rechtigung zur knappen, beckenbodennahen Resektion sehen wir darin begriindet, daB

    Rezidive bei diesen Resektionen nicht haufiger sind. Ausbreitungsgrad und GroBe des

    Tumors sind viel entscheidendere Faktoren fiir einen lokalen Riickfall.

    abelle 6. Letalitat der Radikaloperationen beim Rektumkarzi

    nom. Chirurgische Universitatsklinik, Bonn (1. 7.78-12.8.85)

    Amputation

    Resektion

    (n 122)

    (n 458)

    70J.

    9,1

    3,5

    abelle 7. Rektumkarzinome, knappe Resektion, 334 Patienten

    (1963-1975). St. Marks Hospital, London (nach Pollet, Nicholls

    1983»

    Praparate ausgespannt untersucht:

    unterer

    Resektionsrand

    GruppeI

    GruppeII

    GruppeIII

    unter2cm

    unter2 5cm

    tiber 5cm

    5-J ahresheilung

    69,1

    68,4

    69,6

    Rezidive

    7,3

    6,2

    7,8

    Nach totaler Entfernung des Rektums und nach Anlage einer koloanalen Anastomose

    sind vor allem bei alteren Patienten funktionelle Storungen, wie AbschluBschwache und

    behinderte Darmentleerung, n;cht selten. Dennoch waren sie nie so ausgepragt, daB ein

    Stoma angelegt werden muBte. Auch bess ern sich die anfanglichen Kontinenzbe

    schwerden bei den meisten Patienten innerhalb von 6-12 Monaten.

    Voraussetzungen fiir eine komplikationslose Heilung der Anastomose am Dickdarm

    und Mastdarm sind:

    1. eine wasserdichte Adaptation,

    2. eine spannungslose Nahtlinie und

    3. eine ungestorte Blutversorgung.

    Besonders im hoheren Lebensalter kann die Durchblutung der Darmwand durch eine

    Naht eher gefahrdet werden. Unter Chirurgen gibt es iiber Anastomosentechniken am

    Dickdarm und Mastdarm und das zu verwendende Nahtmaterial sehr unterschiedliche

    Auffassungen. Wir niihen bislang Kolonanastomosen gewohnlich End-zu-End, zwei

    reihig, mit konventionellem Nahtmaterial. Aufgrund neuester tierexperimenteller

    Untersuchungen wissen wir, daB die intramurale Durchblutung durch Klammernaht

    anastomosen weniger beeintrachtigt wird, als durch eine handgenahte Anastomose.

    30

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    Gegeniiber der maschinellen Naht mit den kleinen reizlosen Stahlklammern konnen

    punktuelle Ischamiezonen bei manuellen Einzelnahten immer wieder vorkommen, be

    sonders wenn vie Gewebe mit der Naht gefaBt wurde. Die Klammernahte sind deshalb

    bei weniger gut durchblutetem Gewebe und bei Storung der Makrozirkulation, wie z. B.

    Arteriosklerose, sicherer. Dies sind Bedingungen, wie wir sie im hoheren Lebensalter

    bei Anastomosen am linksseitigen Kolon und Rektum immer wieder antreffen. Anasto

    mosen in diesem Darmabschnitt sind eher durch einen Nahtbruch gefahrdet.

    1m

    Zweifel

    entlasten wir daher den genahten bzw. geklammerten Darm durch eine selbstheilende

    Zokalfislel nach Stelzner oder auch mit einer Kolostomie.

    Aile Koloneingriffe werden entsprechend dem nebenstehenden Schema vorbereitet

    (Tabelle 8). Am letzten praoperativen Tag erhalten die Patienten Neomycin und Metro

    nidazol. Diese Vorbereitung senkte signifikant die postopertive Infektion und wird

    auch von alteren Patienten ohne Komplikationen gut toleriert.

    Eine weitere im hoheren Lebensalter wichtige praoperative MaBnahme ist die ja nach

    Lungenfunktion unterschiedlich lange und intensive physiotherapeutische Vorberei

    tung des Patienten. Treppens