[Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Krebs im lter
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B. Kark, H. Werner Hrsg.)
Krebs itn Alter
ur
Onkologie und Immunologie
im hoheren Lebensalter
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Steinkopff Verlag Darmstadt
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8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Dr. B. Kark
Dr. H Werner
Stadtisches Krankenhaus Hochst
Klinik rur Innere Medizin
GotenstraBe 6
6230 Frankfurt
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Krebs m Alter: zur Onkologie u. Immunologie im hoheren
Lebensalter / B. Kark; H. Werner Hrsg.). - Darmstadt:
Steinkopff,1988
ISBN-13: 978-3-7985-0744-9 e-ISBN-13: 978-3-642-85368-5
DOl:
10 1
007/978-3-642-85368-5
NE: Kark, Bendix [Hrsg.]
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiltzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die
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1965
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Copyright © 1988 by Dr. Dietrich SteinkopffVeriag GmbH Co. KG, Darmstadt
Verlagsredaktion: Juliane K. Weller - Herstellung: Heinz J. Schafer
Softcover reprint
of
the hardcover 1st edition 1988
Gesamtherstellung: betz-druck gmbh, 6100 Darmstadt
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orwort
Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung der Menschen in den In
dustrielandern fast verdoppelt. Neben besseren sozialen Bedingungen ist dies vor allem
auf den erfolgreichen Kampf der Medizin gegen Infektionskrankheiten und andere aku
te Erkrankungen zuriickzufuhren. Ais Ursachen fur Morbiditat und Mortalitat alter
Menschen stehen heute chronische und degenerative Veranderungen im Vordergrund.
In
der
Todesursachenstatistik stehen b6sartige Tumoren nach den Herz-Kreislauf
Erkrankungen an zweiter Stelle. Mehr als 50
der
malignen Tumoren werden in
der
Gruppe der iiber 65 j ahrigen gefunden, die
nur
ca. 3 der Gesamtbev6lkerung bilden.
Damit sind b6sartige Tumoren vor allem eine Erkrankung des h6heren Lebensalters.
Trotz dieser Tatsache ist die Meinung weit verbreitet, daB bei Auftreten von Tumor
erkrankungen im h6heren Lebensalter die Therapieverfahren
der
modernen Onkologie
nicht mehr angewendet werden k6nnen bzw. diirfen. er Krebs bei alten Menschen
wird als schicksalshafte Erkrankung hingenommen, die ein schon lange wahrendes Le
ben beendet. Dies kommt nicht zuletzt in vielen Therapiestudien zum Ausdruck, die die
Wirksamkeit kurativer oder den Tumor kontrollierender MaBnahmen bei iiber 65jahri
gen Patienten gar nicht mehr untersuchen. Dadurch sind auch die Erfahrungen in der
Tumortherapie alter Menschen begrenzt.
In Zukunft werden Geriater und auch Arzte anderer medizinischer Dlsziplinen, bedingt
durch den steigenden Anteil alter Menschen an
der
Gesamtbev6lkerung, immer starker
mit den Problemen der Tumorerkrankung bei alten und sehr alten Menschen konfron
tiert werden. Ernste Begleiterscheinungen wie starke Schmerzen, groBer Leidens
druck, Immobilitat und Verlust der sozialen Kompetenz verursachen bei alten Men
schen groBe Angste vor Krebserkrankungen und zwingen den behandelnden Arzt, sich
mit dem Tumorleiden auseinanderzusetzen.
Bei Krebs mu
die Zielsetzung
jeder
chirurgischen, internistischen und radiologischen
Therapie zunachst die Beseitigung des Tumorleidens sein. In vielen Fallen kann dieses
Ziel leider nicht erreicht werden, so
daB
sekundare MaBnahmen wie palliative Thera
pieformen und Erleichterung
der
Folgesymptome in den Vordergrund treten. Die Ent
scheidung fiir eine Therapie wird bestimmt durch die Wachstumseigenschaften des
Tumors, seine Empfindlichkeit gegen Chemotherapeut ika und Strahlentherapie
oder
die M6glichkeit der kurativen
oder
zumindest kontrollierenden Behandlung durch chir
urgische Intervention. Bei allen Therapieformen mu jedoch beriicksichtigt werden, ob
der
physische, psychische und soziale Status des alten Menschen den Einsatz dieser Be
handlungsformen zulaBt. Die Belastungen einerTumortherapie k6nnen von alten Men
schen in mancher Hinsicht schlechter toleriert werden als von jiingeren.
Zudem
sind
die Wiinsche und Erwartungen an das Leben bei alten Menschen ganz anders gelagert
als im jiingeren Lebensalter. Es gilt daher, alle diagnostischen und therapeutischen
MaBnahmen in enger Abstimmung mit dem Patienten durchzufuhren. Seine Vorstel
lungen und Wiinsche sollten dabei vor arztlichen Erwagungen beriicksichtigt werden.
Die Nutzen-Schaden-Relationmu im Hinblick auf die Lebensqualitat sowie die soziale
und familiare Situation des alten Menschen besonders sorgfaltig abgewogen und
der
v
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Therapieplan entsprechend individuell gestaltet werden. Wenn diese geriatrischen
Uberlegungen in onkologisches Wissen und Denken einflieBen, ist auch im hoheren
Lebensalter eine Behandlung bosartiger Erkrankungen moglich und erfolgreich.
Die Friihdiagnose maligner Tumoren ist bei alten Menschen vielfach sehr schwierig.
Vorsorgeuntersuchungen und -programme werden oft nicht wahrgenommen, Warn
symptome werden gelegentlich ignoriert oder falschlicherweise mit dem hohen Lebens
alter in Zusammenhang gebracht. Vielfach verliiuft das Tumorleiden auch so schlei
chend und ist die Symptomatik so atypisch, daB dadurch die rechtzeitige Erkennung und
Behandlung erschwert wird.
Die tumorbezogenen diagnostischen MaBnahmen werden bei alten Menschen im we
sentlichen genauso durchgefiihrt wie im jiingeren Lebensalter. Absolute Indikation zur
Therapie ist gegeben, wenn dadurch das Tumorleiden geheilt werden kann. Ein Bei
spiel dafiir ist der begrenzte Kolontumor, der durch chirurgische MaBnahmen entfernt
werden kann. Eine relative Behandlungsindikation liegt vor, wenn die vorgesehene
Therapie geeignet ist, die Uberlebensdauer des Patienten bei guter Lebensqualitiit zu
erhalten oder gar zu verliingern, die Begleitsymptomatik des Tumorleidens z.B.
Schmerz) zu erleichtern oder das Tumorwachstum unter Kontrolle zu halten. Ais Bei
spiel solI hier das Prostatakarzinom angefiihrt werden. Kontraindikation fiir eine Tu
mortherapie ist die terminale Erkrankung.
ber
auch bei schlechtem Allgemeinzu
stand, seniler Demenz, schwerer Polypathie, mangelnder Kooperation des alten Men
schen oder fehlenden Uberwachungsmoglichkeiten mu von TherapiemaBnahmen Ab
stand genommen werden.
m vorliegenden Berichtsband wird der derzeitige Wissensstand iiber das Tumorleiden
im hoheren Lebensalter von Experten der verschiedenen medizinischen Fachrichtun
gen zusammengetragen. Nach den Darstellungen der gerontologischen Tumorpatholo
gie und -immunologie ist den Therapiemoglichkeiten des Tumorleidens aus internisti
scher und radiologischer Sicht sowie aus der Sicht der verschiedenen chirurgischen
Fachdisziplinen breiter Raum gewidmet. Die Herausgeber mochten dem geriatrisch tii-
tigen Arzt damit Informationen und Hilfestellungen bei der Fiihrung seiner Tumorpa
tienten hOheren Alters anbieten. Gleichzeitig solI dieser Band die Grundlage fiir frucht
bare Diskussionen iiber die Tumortherapie im hoheren Lebensalter bilden und zur Ent
wicklung und Erforschung neuer Therapiemethoden anregen.
Frankfurt, Februar 1988
VI
B. Kark
H. Werner
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
v
Biologie
nnd
Wachstumseigenschaften maligner
Tnmoren
bei a1ten Patienten
Goerttler, K. 1
Epidemiologische Aspekte
der
Krebserkranknng im
hohen
Lebensalter
Holmes,
F.F.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Grnndsatze
der
Krebstherapie im hohen Lebensalter
C
Hodkinson,
H.M.
. .
Kontinenzerhaltende Operationen beim Dickdarm-
nnd
Mastdarmkarzinom
im hoheren Lebensalter
21
\ Hansen,
H.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Die
operative Behandlnng des Magenkrebses bei iiber 60jahrigen Patienten
Franke
F. 33
Palliativma8nahmen bei fortgeschrittenen Tnmoren des Gastrointestinaltrakts
im
hoheren
Lebensalter
,/ Rosch, W. 39
Grenzen
der
chirurgischen Behandlnng des Bronchialkarzinoms
bei a1ten Patienten
i
Stelter W. .
Adjnvante Therapiemoglichkeiten beim fortgeschrittenen Prostata-
nnd
Blasenkarzinom im
Alter
45
vHaselberger, I. G. Ludwig 51
Therapie des Mammakarzinoms im hoheren Lebensalter
Czygan, P.-I . . .
63
K1inik
nnd
Therapie von Hamoblastosen nnd malignen Lymphomen im
Alter
Becker,
H. 67
K1inik
nnd
Therapie
der Hanttumoren
im
Alter
} Hundeiker, M. .
75
Grundlagen
der
Strahlentherapie maligner
Tnmoren
bei a1ten Patienten
.
Halama,
I.
W. Falk
93
VII
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Tumornachsorge aktives Aufgabenfeld
Douwes F.R. . .
Immunologische Aspekte des Alterns
Makinodan T. N. Kinohara
Das Altern des Immunsystems und seine Bedeutung ur die Krebsentstehung
1 1
111
Morell A. 127
Chronobiologische Aspekte der Imunglobuline im Alter
Nicola de P. G. Casale .
Impfungen und Impfprobleme bei alten Menschen
Doerr H.W. O. Thraenhart .
Aktueller Stand der Therapie mit Interferonen
Timmermann K. . . . . . . . . . . . . . . .
VIII
137
143
149
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iologie
un
Wachstumseigenschaften maligner Tumoren
bei alten Patienten
K
Goerttler
Institut fur Experimentelle Pathologie, Universitat und Deutsches Krebsfor
schungszentrum Heidelberg
Einleitung
Bei
der
Beurteilung pathoanatomischer Praparate stehen wir oft vor dem Problem,
Vorgeschichte und kunftige Entwicklung einer Krankheit erschlieBen zu mussen, auch
wenn uns biographische
Daten
nicht
oder
unzureichend zuganglich gemacht werden.
Je
langer wir leben, umso komplexer ist auch unsere Lebensgeschichte. Hinsichtlich
der
Beurteilung
der
EinfluBnahme atiologischer
Faktoren
sind die Schwierigkeiten ihrer
Analyse aus dem Gewebsschnitt noch gr6Ber, denn die meisten Reaktionen sind nicht
erreger-
oder
noxenspezifisch. Vollends unm6glich ist die Rekonstruktion einer Schad
stoffanamnese.
Erscheinungsbild und Wachstumseigenschaften maligner Tumoren werden durch das
Lebensalter der betroffenen Personen beeinfluBt. Dabei spielen Sterblichkeit und Re
generationsverhalten somatischer Zellen eine wichtige Rolle.
In der
Humanpathologie
stehen wir dem schwierigen Problem, daB der EinfluB eines einzigen Faktors in der
Krebsverursachung die Ausnahme, komplexe
Faktoren
die Regel sind.
Die
dabei ab
laufenden Prozesse der Geschwulstentstehung werden auch durch den Altersfaktor be
einfluBt.
Zur
Biologie des alten Patienten geh6rt auch dessen psychologische Situation. Neben
das Wissen urn die Begrenztheit
der
noch verfiigbaren Lebensspanne tritt die Angst,
daB die letzte Lebensphase durch schwere k6rperliche Belastung in Folge
der
Tberapie
einer Geschwulstkrankheit gest6rt wird. Die mangelnde Bereitschaft alter Menschen
zur Inanspruchnahme
der
Krebsfruherkennungsuntersuchungen
hat
hier ihre Wurzel.
Uber
die Besonderheiten therapeutischer MaBnahmen bei alten Patienten ist daher
ebenfalls kurz zu berichten.
Pathologie der Lebenspbasen 6, 9, 15)
Unser Leben
gliedert sich in verschiedene Phasen unterschiedlicher Lange und Bedeu
tung. Wir k6nnen dessen einzelne vor-
und
nachgeburtliche Phasen zu Wachstum
und
Differenzierung in Beziehung setzen und erhalten ein Kurvenbild mit Steilanstieg, be
sonders im vorgeburtlichen und fruhkindlichen Teil unserer Existenz Abb. 1). Die
Kurve schwenkt ein in ein mehr oder weniger ausgeglichenes FlieBgleichgewicht, in
dem sich Aufbau und
bbau
die Waage halten. Danach kommt es zu dem uns allen be-
•
Meinem Freund und Weggefiihrten Professor Volker Becker, Erlangen, zur Vollendung des
65. LebensJahres gewidmet.
1
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EntwicklungshOhe
t
~
--_
t
Tage Wochen Monate
I I
Jahre Jahrzehnte
lo t
Abb. 1. Lebensphasen, Entwicklungshohe und mogliche Folgen wah rend verschiedener Lebens
phasen ablaufender Krankheitsablaufe. Letztere sind in der Lebenskurve durch eingezeichnete
Rechtecke markiert. In jenen wird der yom Zustand der Orthobiose entsprechend ungestortem
Lebensablauf) abweichende ProzeB bei funktioneller Storung als Allobiose gekennzeichnet, die
meist wieder in die Orthobiose mimdet restitutio ad integrum). Formale Schaden werden als
Pathobiose vermerkt, die bei fehlender Ausheilung in eine Pathie einmiinden permanenter Rest
schaden). Stark von der Orthobiose abweichende Linien symbolisieren den ortlichen oder allge
meinen Gewebstod Nekrobiose-Nekrose). Je nach der betroffenen Lebensphase weich en die
Krankheitsbilder mehr
oder
weniger stark voneinander ab und haben unterschiedliche Folgen.
kannten Abfall. Jede dieser Phasen steht unter besonderer Beeinflussung durch endo
gene chromosomale und durch exogene Faktoren; jede Phase zeichnet sich auch f r uns
Mediziner durch biologische Besonderheiten aus, die un serespezielle Aufmerksamkeit
hinsichtlich der Pravention von Krankheiten beanspruchen. Trifft uns eine Schiidigung
auf der Hohe unserer Entwicklung, dann verandert sich das bisherige FlieBgleichge
wicht unserer Orthogenese unter dem EinfluB eines Agens. Wir erleiden entweder nur
kurzfristige EinbuBen,
oder
wir erleiden groBere Schiiden, die bis zum ortlichen
oder
allgemeinen Gewebstod fUhren konnen, wie im Teilbild durch Abfall und Abbruch der
Kurve dargestellt ist. Nach mehr
oder
weniger langer Zei t kommt es entweder zur voll
standigen Erholung, oder es bleibt ein Restschaden zuriick, ein Leiden.
Es ist nicht gieichgiiitig,
ob
dieser ProzeB unsere Lebenskurve im steilen oder im weni
ger steilen Anstieg trifft, oder dann, wenn Aufbau und bbau nicht mehr im Gleich
gewicht stehen, wenn die Regeneration gestort ist, wenn unsere Reaktionen verlang
samt
oder
geschwacht sind. Die Lange
der
Zeit bedingt dariiber hinaus, daB ein friihzei
tig erlittener latenter Schaden Ausgang
f r
Nachfolgeschaden sein kann.
2
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ntstehungsgeschichte von Geschwiilsten
Aus
der
Sicht des Onkologen spielt gerade die Dauer einer Exposition
oder
die Zeit
zwischen Exposition eines Kanzerogens und der Manifestation einer Geschwulst eine
groBe Rolle. Wir wissen, daB Geschwulstkrankheiten schon vor der Geburt angelegt
werden konnen. Wir wissen auch, daB die Lange
der
Exposition gegeniiber Noxen ver-
schiedener rt gerade im
lter
zu einer Anreicherung von Geschwulstkrankheiten an
verschiedenen Organen fuhrt 13). ber gleich an dieser Stelle sei gesagt: Es gibt zwar
eine Anreicherung von Krebskrankheiten im Alter, nicht aber Alterskrebse per se. Das
lter ist auch keine Prakanzerose, wohl aber ein Resonanzboden, auf dem sich neo-
plastische Prozesse akzentuieren.
Sterblichkeit somatischer Zellen
Krebs ist ein WachstumsexzeB von Zellen, die sich durch die Eigenschaft eines unge-
bremsten Wachstumes von Zellen ihrer Nachbarschaft unterscheiden, deren Wachstum
und Teilungsaktivitat von Faktoren der naheren und weiteren Umgebung gefordert und
gebremst werden. Die Sterblichkeit somatischer Zellen spielt in der Onkologie eine
gro e Rolle. Lange 1ahrzehnte glaubte man,
daB
in der Gewebekultur weitergeziichtete
Zellen unter besonders giinstigen Bedingungen ungehindert weiter proliferieren, am
Leben bleiben konnen. Seit wenigen
lahren
wissen wir,
daB
dies nicht
der
Fall ist. Hay-
flick 10) beobachtete Bindegewebszellen in ihrem Wachstumsverhalten und stellte da-
bei fest,
daB
diese unter optimalen Bedingungen gehaltenen Zellen ihr Wachstum nach
einer definierten Zahl von Zellteilungen einstellten und danach abstarben. Diese Zahl
mag von Gewebe zu Gewebe, von Individuum zu Individuum geringfugig variieren, sie
zeigt uns aber die Endlichkeit un serersomatischen und zellularen Existenz 3).
lenseits eines gewissen Zeitraumes geht nichts mehr.
Genau
an dieser Stelle erleben wir
den
fundamental en Unterschied zur Tumorzelle, fiir die dieser Mechanismus der be-
grenzten, endlichen Teilungsfiihigkeit nicht gilt oder auBer Kraft gesetzt wurde. Wir be-
zeichnen diese Zellen als transformierte Zellen. Diese allein besitzen potentielle Un-
sterblichkeit. Die Transformation ist iiber unbelebte Kanzerogene wie auch iiber die
Einschleusung von Virusgenom in die Zelle herbeizufiihren.
Damit
kommen wir zu einer Beurteilung der Noxen, die sich speziell durch lange
Lebenszeit bei alteren Menschen massieren und summieren konnen. Wenn ich heute
und hier iiber kanzerogene Noxen spreche, dann meine ich die spezielle Situation in
der
Bundesrepublik Deutschland. Leben wir auf einer Miillkippe? Wenn man unsere Grii-
nen hort, mochte man es meinen. Ich gebe
nur
zu bedenken, ohne die Situation ver-
harmlosen zu wollen, daB die durchschnittliche Lebenserwartung fur Frauen und Man-
ner
derzeit zwischen 7 fur Manner und 76 lahren fur Frauen liegt; das Leben in unse-
rem Biotop scheint danach recht komfortabel zu sein, wenn man un sereLebenserwar-
tung mit jener unserer Nachbarn und
jener
in anderen Kontinenten vergleicht. Dies
schlieBt nicht aus, daB vielleicht infolge unserer Siinden die Nachfolgegenerationen eine
kiirzere Lebenserwartung haben werden. Offensichtlich hat in unserer Zeit die Konta-
mination durch Seuchen einer Kontamination durch Schadstoffe Platz gemacht.
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Geschwulstkrankheiten als Todeskrankheiten im Alter
Quelle fUr die Bundesrepublik Deutschland: Jahresberichte
der
Statitischen Bundes
anstalt, Wiesbaden)
Krebs im Alter bedeutet nicht einfach eine kontinuierliche Anreicherung von Schad
stoffen, der eine entsprechende Zunahme von Geschwulstkrankheiten zugeordnet ist.
Nur zwei Gruppen von Krankheiten sind verantwortlich fur rund drei Viertel aller
Todesfalle Abb.
2
. Betrachtet man die Altersverteilung der Todesfalle durch Herz
Kreislaufkrankheiten und durch Geschwulstkrankheiten, die derzeit etwa
22
Prozent
aller Todeskrankheiten umfassen, dann wird deutlich,
daB
fUr Frauen und Manner und
a
100
Manner
a.
a.
::J
OJ 8
Kreislauf
EI Krebs
.l
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fiir die jeweiligen Altersgruppen offenbar verschiedene Gesetze gelten, daB wir dariiber
hinaus in beiden Geschlechtern im hohen Alter einen relativen Riickgang der Krebs
krankheiten als Todesursachen beobachten. Was sind wohl die Griinde? Es bieten sich
drei Alternativen an:
lternative I besagt, daB ein an Krebs erkrankter Patient friiher stirbt, kein hoheres
Lebensalter erreicht, so daB im hohen
Alter
relativ mehr Herz-Kreislauftodesfalle re
sultieren. Dies ist sicher richtig fur eine Reihe von Krebskrankheiten, etwa fur den Lun
genkrebs, von dem mir keine gutartige Variante bekannt ist.
lternative
besagt,
daB
sich mit vorriickendem Alter des Patienten
der
Krebs anders
verhalt als bei jiingeren Personen, indem auch
er
sein Wachstum verandert und lang
samer wachst und damit zwar vorhanden bleibt, nicht
aber
als Todeskrankheit in
Er-
scheinung tritt. Es gibt Beobachtungen, die auch diese Alternative bestatigen, aller
dings
nur
fur einige wenige Krebslokalisationen.
lternative
umfaBt jene Krebsformen, die von Anfang an langsam wachsen, und da
mit in hoheren Lebensaltern kumulieren, die
aber
nicht
oder nur
selten als Todeskrank
heit in Betracht kommen und als Zufallsbefunde bei
der
Obduktion entdeckt werden.
Wir kennen diese Formen in Prostata, Schilddriise und bedingt auch in der Mamma; es
gibt langsam wachsende Myelome, die keine Lebensdauerverkiirzung bewirken.
Krebserkrankungen werden erzeugt von unbelebten und von belebten Krebsnoxen, die
wir mit Higginson
et
al. (11) als life style factors zusammenfassen: Es sind dies Mani
pulation der hormonalen Regulation, unsere EBgewohnheiten, Berufskrankheiten und
die Inkorporation einer kaum abschatzbaren Anzahl von Giftstoffen,
unter
ihnen vor
rangig die iiber das Zigarettenrauchen inhalierten Schadstoffe. Wie aber wollen wir den
Stellenwert aller Noxen im Einzelfall beurteilen, wenn damit eine jahrzehntelange In
korporationsphase verbunden ist? Es bieten sich uns eigentlich
nur
unvollkommene
Hilfsmittel an, die mit den Methoden
der
Epidemiologen zu bearbeiten sind, so etwa die
Aufstellung eines Krebsatlas fur die Bundesrepublik Deutschland (2), der uns erlaubt,
Krebshaufigkeiten mit besonderen Industriestandorten oder mit EBgewohnheiten etwa
mit dem Bierkonsum in Bayern in Beziehung zu setzen.
Fassen wir die Besonderheiten der Onkologie bei alteren Menschen zusammen, so wird
die Zuordnung von Schadstoffen erschwert durch die komplexe biographische Ana
mnese, durch die hohe Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegeniiber Schadstoffen
jedwe1cher Art durch lange und nach Jahrzehnten messende Zeitintervalle zwischen
Exposition und Geschwulstmanifestation. Neben die auBeren Beeinflussungen tritt
aber auch eine zunehmend abgewandelte Reaktionslage und abgewandelte Reaktions
fiihigkeit, und damit nahern wir uns den vom alternden Organismus selbst ausgehenden
Bedingungen.
Stufen der
Kanzerogenese,
xposition und Geschwulstmanifestation
(16)
Es ist experimentell erwiesen und in makaberen Beobachtungsserien am Menschen er
hartet, daB das Zeitintervall zwischen Exposition und Geschwulstmanifestation ein
wichtiges Faktum ist, das uns iibrigens auch bei
der
Beurteilung von Rentenanspriichen
hilft. Wenn eine initiierte Zelle proliferiert, dann e d e u ~ e t dies Teilung. Die Anzahl
der
Teilungsschritte und die jeweiligen Zeiten zwischen den Schritten bestimmen das
Wachs tum von Tumoren.
m
Alter beobachten wir ein insgesamt geringeres allgemei-
5
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nes Proliferationspotential, das wir im Alltag bei
der
langsameren Abheilung von Wun
den ebenfalls beobachten. Auch Geschwiilste konnen langsamerwachsen als zuvor. Ein
anderer, sehr wichtiger Faktor ist eine abgewandelte Fahigkeit verschleppter Tumorzel
len, die Blutbahn zu verlassen und am neuen Ort Tochterknoten zu bilden. Die Obduk
tionsstatistiken wei sen aus, daB bei alten Menschen weniger Metastasen in einer ge
ringeren Zahl von Organen beobachtet wurden 1, 12).
a aber die Metastasierung Hauptfaktor der Ausbildung zur Todeskrankheit Krebs ist,
verstehen wir, wenn in der Konkurrenz der Todeskrankheiten im hoheren Alter Krebs
gegeniiber den Herz-Kreislauftodesfallen zuriicktritt.
er Faktor Zeit beeinfluBt so mit die LebensauBerungen im Organismus.
Er
fuhrt zu
gleich zu einer allmahlichen Anreicherung von Schadstoffen oder von geweblichen Ver
anderungen im Zusammenhang mit friiherer Schadstoffaufnahme. Daraus folgert, daB
Krebserkrankungen nach meBbarer Latenzphase entstehen, die ihrerseits aber vom
Zeitpunkt der Initiation auf unserer Lebenskurve abhangig sind. Pranatale Kanzerisie
rung fuhrt schon innerhalb der ersten beiden Lebensjahrzehnte zur Tumorentstehung,
wahrscheinlich bedingt durch die Tatsache,
daB
die bis zur Geschwulstmanifestation er
forderlichen Zellteilungen in einer kiirzeren Lebensspanne erreicht werden. Fiir einzel
ne Geschwulstursachen kennen wir auch die Latenzzeiten. Sie betragen fur das Auftre
ten von Leukamie 5-15 Jahre und fur das Auftreten von Karzinomen 15-25 Jahre. Wir
diirfen davon ausgehen, daB durch multiple Faktoren besonders in jiingeren Lebens
altern eine Verkiirzung dieser Zeitspannen moglich ist; wir selbst haben im Experiment
nachweis en konnen, daB durch Kombination eines Kanzerogens in niedriger, fiir sich
selbst nicht ausreichender Dosierung mit einem selbst nichtkanzerogenen, aber promo
tionsfordernden Faktor die Zeitspanne bis zur Geschwulstmanifestation kiirzer war,
wenn wir junge Tiere in den Versuch nahmen. Aus der menschlichen Pathologie gelten
als trauriger Beweis die
aten
von vielen tausend Patienten zwischen Exposition und
Geschwulstmanifestation nach Gabe des bis 1943 als Rontgenkontrastmittel verab
reichten Thoriumdioxydes, das unter dem Namen Thorotrast in den Handel gelangte
14) Abb. 3). Identische Ergebnisse sind uns aus den Untersuchungen
der
Atombom
benopfer von Hiroshima und Nagasaki bekannt.
Abbildung 4 enthalt eine Zusammenfassung der aten
zur Proliferationskinetik. Ich
habe ein vor 1 J ahren von e Vita jr.
et
al. 17) publiziertes Bild modifiziert.
Es
zeigt,
daB zwischen dem Zeitpunkt der Kanzerisierung und
der
Manifestation von Tumoren
etwa 2 bis 3 Zellteilungsschritte liegen, bis aus einer einzelnen Krebszelle eine Ge
schwulst von etwa 5 mm im Durchmesser geworden ist, die dann gerade entdeckt wer
den kann.
2
bis 30 Teilungsschritte bedeuten auf unserer Lebenskurve aber unter
schiedliche Zeiten.
er
Experimentalfall einer einzigen Krebsnoxe zu einem einzigen, bekannten Zeit
punkt ist aber in
der
Humanpathologie nur in Ausnahmefallen gegeben. So sind wir ge
notigt, mehr
oder
weniger plausibel zuriickzurechnen 4). Bei zweigipfeligen Haufig
keitsverteilungen von Tumoren miissen wir auf unterschiedliche Zeitraume der Initia
tion zuriickschlieBen, etwa fur Mammakarzinome bei Frauen vor der Menopause auf
die Phase der friihen Geschlechtsreife,
und
bei postmenopausalen Mammakarzinomen
auf das Bliitestadium
der
Geschlechtsreife. abei kann uns bei der Zunahme der
Mammakarzinome in der
jiingsten Vergangenheit als Sonderfaktor nur die allgemeine
Nutzung von VerhiitungsmaBnahmen einfallen, mit denen sowohl der natiirliche Zy
klus wie auch eine biologische Unterbrechung durch Schwangerschaft und Stillen ausge-
6
-
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6
5
4
3
2
Leber Tumoren
o 5 1 15 20 25 3 35 40 Jahre
Zeit nach Thorotrast injektlon
Abb 3. Zeitspannen nach Tho
rotrast-Injektion und Haufigkeit
des Auftretens von myeloprolife
rativen Erkrankungen und von
Lebertumoren. Ergebnisse der
deutschen Thorotraststudie (14).
schaltet wird. Zweigipfelige Haufigkeitsverteilungen kennen wir auch bei den Tumor
krankheiten der Lympho- und Myelopoese und des SkelettiBindegewebsapparates.
Vielfach miissen wir Friihexpositionen bis in die Schwangerschaftsperiode zuriickver
folgen, und dabei fallt uns speziell der Nikotinabusus der Schwangeren ein. Auch die
Hodentumoren haben zwei Haufigkeitsgipfel mit mutmaBlich unterschiedlicher Zeit
spanne der Schadigung.
Uber den Ort der Schadigung gibt es heute kaum Meinungsverschiedenheiten: Es ist
dies das enom der teilungsfahigen Zelle. Diese ist verantwortlich fiir die physiologi
sche Schadigung wie auch fiir die Regeneration in ihrem Gefolge. Neben die offensicht
lich im Genom verankerten Erbschaden treten die exogenen unbelebten Noxen. Der
zeit beobachten wir eine erneute Hinwendung zu der Hypothese, da zahlreiche, auch
menschliche Tumoren durch Viren verursacht oder mitverursacht werden. Strahlen
schaden und unterschiedliche Kombinationen, so etwa die Kombination starker Rau
cher/starker Trinker, k6nnen eine rein statistisch errechnete mittlere Wahrscheinlich
keit auf ein Vielfaches steigern.
Es ist eine schlimme menschliche Eigenschaft, unseren Mitmenschen irgendein Fehl
verhalten bis ans Lebensende nachzutragen. Leider ist dieses nachtragende Verhalten,
diese Unfahigkeit zum Verzeihen biologisch. Ebenso wie wir, haben auch die Zellen un
seres K6rpers ein Gedachtnis . Auch sie vergessen ein ihnen einmal angetanes Un
recht nicht. Auf die Krebsverursachung iibertragen bedeutet dies, da
eine einmal initi
ierte Zelle diese Eigenschaft Zeit ihres Lebens beibehiilt; sie ist und bleibt eine Krebs-
7
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Tumorzellen
1
2
1Kg=10cm0
~ ~ ~ ~ e
Billion
1Milliarde 19=1cm0
~ ~ ~ ~ ~
e
100Mio O 5g=5mm0
1
1Mio e
A Grenze der
_e \ I Tastbarkeit
1
20
1
1
Grenzeder
\ I
Röntgendarste lung
30
40 50 Zellteilungen
Abb 4 Anzahl der Teilungsschritte von Krebszellen, Gesamtzellzahl und Größe bzw. Durch
messer von Tumoren. Die eingetragenen Grenzen für Tastbarkeit und RöntgendarsteIlung zeigen
an, daß Tumoren erst spät im Verlauf ihrer Entwicklung nachweisbar werden: Auch sogenannte
Frühkrebse haben bereits eine langjährige Entstehungsgeschichte hinter sich (Nach de Vita jr et
al.,
17).
zelle. Aber damit ist die Problematik nicht abgeschlossen: Muß jede Krebszelle wach
sen und in die Geschwulstmanifestation münden? Muß eine Krebszelle schnell wach
sen, kann sie vielleicht auch langsam wachsen
und
gibt es vielleicht Faktoren, die schnel
leres oder langsameres Wachstum beeinflussen?
Damit stehen wir wieder vor der alten Problematik: Wohl entsteht jeder Krebs aus wie
auch immer vorgeschädigten Zellen, wohl manifestiert sich ein Krebs nach Passage von
Zwischenphasen mit Brückensymptomen. Im Alter ist die Manifestation zwar durch die
lange verfügbare Zwischenzeit begünstigt, aber zugleich bedingen altersabhängige Ver
haltensweisen auch Verzögerungen in der Zahl aufeinanderfolgender Teilungen. Die
Manifestation einer Krebskrankheit im Alter ist die Folge, daß der lange lebende
Mensch "sein" Karzinom erlebt, aber zugleich ist zumindest für einige Organkrebse die
Gefahr reduziert, daß
er
an diesem Karzinom auch verstirbt, etwa für Prostata- und
Schilddrüsenkarzinom,
und
ausgereifte Plasmozytome, die im angloamerikanischen
Schrifttum als "smouldering myelomas" bezeichnet werden. Unbedingt gilt dies auch
für das Mammakarzinom der Frau, das uns immer wieder charakteristische Beispiele
für langsames Wachstum bietet. In gleicher Weise ist das Rektumkarzinom alter Men
schen ein Beispiel, daß selbst vergleichsweise große Tumoren durchaus nicht jene Ge
fahr bedeuten müssen, wie wir diese aus der Größe eines Tumors sonst erschließen.
Die Problematik der Tumorbegünstigung bei alten Menschen hat noch eine zusätzliche
Komponente. Früher galt die Regel, daß gutartige Geschwülste immer gutartig bleiben,
8
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und daß bösartige Geschwülste schon von Anfang an bösartig seien, daß es zwischen
gut und böse keine Übergänge gebe. Natürlich waren schon damals Ausnahmen
bekannt, welche die Regel zu bestätigen schienen. 30 Jahre später
hat
sich das Bild weit
gehend gewandelt.
Heute
ist zumindest für einige Organkrebse die Sequenz gutartig/be
dingt gutartig/bösartig eindeutig erwiesen, so für die adenomatösen Dickdarmtumoren,
für die Schilddrüsenneoplasien, wo wir das follikuläre Adenom und das follikuläre Kar
zinom als follikuläre Neoplasie in eine eigene Gruppe einordnen. Bei den Harnblasen
papillomen wissen wir nicht sicher, ob es wirklich zur Verkrebsung von Papillomen
kommt, oder ob neben den Papillomen Karzinome neu entstehen.
Natürlich ergeben sich aus diesem Wissen auch Konsequenzen. Wenn Tumorzellen in
einzelnen Organen schlafen und nur auf ihre Aktivierung warten, dann stellt sich die
Frage, ob nicht eine Manipulation etwa durch Abtastung oder durch Gewebsentnahme
ausreicht, um aus einem Haustierkrebs einen Raubtierkrebs entstehen zu lassen,
wie dies Herr Hacketal formulierte. Leider kann hierauf nur mit der Statistik geantwor
tet werden, da für den Einzelfall eine Aussage nicht möglich ist. Nach unseren Kennt
nissen ist ein latentes Prostatakarzinom auf diese Weise nicht aktivierbar.
ber
es gibt
einen Tumor, den man erwiesenermaßen nicht berühen darf, weil
er
auf diese Weise ak
tivierbar ist: das maligene Melanom. Dieser Tumor muß bei derEntfernung weit im Ge
sunden umschnitten werden.
Es gibt aber Wege, die Wachstumstendenzen eines Tumors zu bestimmen. Wir können
an den Zellkernen eines Tumors über die Bestimmung der DNS-Menge erkennen, ob
dieser Tumor einen diploiden Chromosomensatz in seinen Zellen aufweist, oder ob aty
pische DNS-Mengen in jeder oder in vielen Zellen beobachtet werden. Nach unserer
Erfahrung ist die Lebenserwartung von Patienten mit diploiden Tumoren relativ gün
stig. Sie haben eine bessere Lebenserwartung als Patienten mit aneuploiden Tumoren
(5). Diese Beobachtungen leiten
über
zu der Frage, welche Konsequenzen sich aus der
Diagnose Krebs im Alter ergeben.
Gesundheitspolitische spekte maligner Tumoren bei alten Patienten (7, 8,
9
Zu
den altersrelevanten Faktoren gehört einmal die Psychologie des alternden Men
schen, der weiß, daß die ihm noch beschiedene Lebensspanne begrenzt ist. Uns allen
sind die Vorbehalte bekannt, die gerade der alte Mensch gegenüber Früherkennung,
Vorsorge und Therapie äußert. Sie wurzeln vielfach in der Angst, in eine Maschinerie
hineingezogen zu werden, die mit Operation, Krankenhaus, Schmerzen, Verstümme
lung, kurz mit einer entscheidenden Änderung der Lebensqualität verbunden ist. Ist
diese Scheu denn so unberechtigt? Fast 100 Jahre hat man brustkrebskranken Frauen
die verstümmelnde Operation nach Halsted zugemutet. Erst seit zwei Jahren wissen
wir, daß sich das Ergebnis dieser Operation im Vergleich mit einer weniger verstüm
melnden Operation hinsichtlich der Lebenserwartung nicht unterscheidet. Wir haben
nicht geholfen, wenn wir einem alten Manne zur Prostataentfernung geraten haben und
sich daraus über Harninkontinenz die gesellschaftliche Isolierung entwickelt. Es gibt
Tumoren, die man überhaupt nicht behandeln, wohl aber überwachen muß. Wenn der
Arzt für den alten Patienten nicht mehr genügend Zei t aufbringt, darf er sich nicht wun
dern, wenn dieser den Heilpraktiker aufsucht,
der
den ohnehin belanglosen Tumor mit
9
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teuren Tropfen behandelt und hinterher sogar noch behaupten wird,
er
habe den Krebs
zum Stillstand gebracht.
Wir haben bei alten Menschen stiirker als bei jungeren Personen zu berucksichtigen,
daB es neb en der absoluten eine relative Indikation gibt, die auch die GroBe des Ein
griffs einschlieBt.
Daneben
gibt es
aber
auch eine problematische Indikation.
Hier
sind
jene
Tumoren einzuordnen, die nur uberwacht werden mussen.
Der
Ausdruck exspek
tative Therapie ist hintergrundiger, als dies nach auBen den Anschein hat.
Indikatoren einer Therapie bei alten Menschen sind danach die Psyche des alten Men
schen, die Abschiitzung
der
Relation zwischen erforderlichem Eingriff und danach ver
bliebener Lebensqualitiit, die sorgfiiltige Prufung im Hinblick aufvermeidbare
oder
un
vermeidbare Folgeschiiden einer Behandlung im Alter.
Am
bedenklichsten ist wohl die
gesellschaftliche Isolation. Endlich und nicht zuletzt mussen wir ein AugenmaB entwik
keln, wenn wir komplexe Bedingungen gegeneinander abzuwiigen haben. Dies bedeu
tet, daB wir konditionalistisch und auf verschiedenen
Ebenen
zu prufen haben. Wir
mussen uns wieder daran erinnern,
daB
die iirztliche Tiitigkeit eine Kunst und nicht nur
Handwerk ist. Dies wird in einer faktengliiubigen Medizin allzu oft vergessen.
Wir muss en wissen,
daB
Krebs im
Alter
nicht generalisiert werden darf: Krebs ist nicht
gleich Krebs.
Der
alte Mensch stellt uns in
der
Medizin ohnehin vor besondere Proble
me. Krebskrankheiten im
Alter
sind gesondert und sehr differenziert zu werten, sowohl
von
der
Krankheit
her
wie auch von deren Triiger. Nicht die Krankheit, sondern
der
alte
Patient
muB
bei unserer Beurteilung in den Mittelpunkt gestellt werden.
iterator
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Klaus Goerttler
Institut rur Experimentelle Pathologie
Deutsches Krebsforschungszentrum
1m Neuenheimer Feld
280
D-6900 Heidelberg 1
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Epidemiologische Aspekte der Krebserkrankung
im hohen Lebensalter*
F.F. Holmes
Dept. of Medicine, University of Kansas
Die Krebserkrankungen kommen gehauft im hoheren Lebensalter vor. Sie sind selten
bei Jugendlichen und nicht sehr haufig in der mittleren Lebensphase. Der Anteil der
tiber 65 j ahrigen an der Gesamtbevolkerung betragt in den US etwa ein Achtel. In die
ser Altersgruppe wird jedoch die Halfte aller Krebserkrankungen in Bezug auf die Ge
samtbevolkerung diagnostiziert. Krebs ist die zweithaufigste Todesursache in den US
nach Herz-Kreislauferkrankungen.
Die Krebserkrankung im Alter ist haufig in Organsystemen lokalisiert, bei denen in Be
zug auf Uberlebensrate und Therapieerfolge in den letzten Jahrzehnten keine groBen
Fortschritte erzielt wurden. Diese Feststellung trifft auch fUr die meisten anderen Lan
der der westlichen Welt zu. Die Zunahme der Krebserkrankungen mit zunehmendem
Alter kann daran abgelesen werden, daB ein Mensch im Alter von 1 Jahren ein Risiko
von 1: 10.000 besitzt, im nachsten Lebensjahr ein Karzinom zu entwickeln. Bei einem
35 j ahrigen betragt dieses Risiko 1: 1.000 und bei einem 65 j ahrigen 1: 100.
Mit Hilfe von Daten der WHO ist es moglich, die aktuelle altersspezifische Inzidenz von
Krebserkrankungen fUr altere Menschen in reprasentativen Bevolkerungsgruppen auf
drei Kontinenten zu vergleichen 5, Tabellen 1-4). Die Zahlen aus Europa, Nordameri
ka und China zeigen, daB die Krebsinzidenz bei Mannern nach dem 65. Lebensjahr er
heblich groBer ist als bei Frauen, und daB sich dieser Anstieg - China ausgenommen - in
beiden Geschlechtern mindestens bis zum 85. Lebensjahr fortsetzt. In der Tat hat in
Amerika und in Westeuropa der 80j ahrige Mann ein Risiko von 3: 100, daB im nachsten
Lebensjahr bei ihm ein Krebs diagnostiziert wird.
In der westlichen Welt kommen Karzinome der Lunge, der Prostata sowie kolorektale
Karzinome am haufigsten vor. Auch in der ostlichen Welt ist das Lungenkarzinom am
haufigsten, weitere haufig vorkommende Tumoren sind das Magenkarzinom und in
China noch in verstarktem MaBe das Leberkarzinom.
Bei Frauen steigt die Inzidenz von Krebserkrankungen zwischen dem 65. und dem 85.
Lebensjahr an, jedoch nicht so stark wie bei Mannern. Mammakarzinome, gynakologi
sche und kolorektale Karzinome kommen bei Frauen am haufigsten vor.
Mindestens zwei Grtinde sind ausschlaggebend fUr den Anstieg der Krebsinzidenz mit
zunehmendem Lebensalter in den meisten Teilen der Welt. Der eine ist die mit zuneh
mender Lebensdauer einhergehende langere Einwirkzeit von karzinogenen Substan
zen, der zweite, die mit zunehmendem Lebensalter abnehmende Immunabwehr.
Uber den nattirlichen Verlauf von Karzinomen im Alter ist noch wenig bekannt.
Es
ist
verwunderlich, daB im Hinblick auf den Umfang dieses Problems
nur
sehr wenig For
schungsarbeit auf diesem Gebiet geleistet wurde.
Es
fehlen sogar einfache beschreiben
de Studien.
Ubersetzung: Dr. med. H. Werner, Frankfurt.
13
-
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Tabelle 1
Krebsinzidenz bei Mimnern pro 100.000 und pro
Jahr
65-69
70-74
75-79 80-84
85+
Iowa (USA)
1513
2123
2684
3032 3225
Hamburg
1452
2007 2631 2964 2835
Saarland 1754 2302 2883
2901
2844
GDR 1281 1680 1883 1723 1291
Shanghai (PRC) 1272 1596 1642 1357 1110
Tabelle 2 Die haufigsten Krebsarten bei tiber 65jiihrigen Mimnern
1. 2. 3.
4. 5.
Iowa (USA) Lunge Prostata Kolorektum Blase Pancreas
(11 >65)
Hamburg Lunge
Kolorektum Prostata Magen Blase
(14 >65)
Saarland Lunge Kolorektum Prostata Magen Blase
11
>65)
GRD Lunge Magen Kolorektum Prostata Blase
(13 > 65)
Shanghai Magen Lunge Leber Osophagus Kolorektum
( 5 >65)
Tabelle
3. Krebsinzidenz bei Frauen pro 100.000 und pro
Jahr
65-69
70-74
75-79
80-84
85 +
Iowa (USA)
1025 1166
1431
1569
1774
Hamburg 830 1077
1321
1543 1848
Saarland 943
1141 1456
1678
1780
GDR
892
1095
1272 1307 1221
Shanghai (PRC)
682 759
734 550 436
Tabelle 4
Die haufigsten Krebsarten bei tiber 65jahrigen Frauen
1.
2. 3.
4.
5.
Iowa (USA) Mamma Kolorektum
Ovar
Lunge Zervix
(15 > 65)
Hamburg
Mamma
Kolorektum Zervix Ovar
Magen
(22
>65)
Saarland Mamma
Kolorektum Zervix
Uterus Magen
(16 > 65)
GRD
Mamma
Zervix
Kolorektum Magen Uterus
(19 >65)
Shanghei Magen
Zervix
Mamma Lunge Kolorektum
( 7 >65)
Alte Patienten werden gew6hnlich von Chemotherapiestudien
oder
anderen Krebsthe
rapiestudien ausgeschlossen.
Ein interessantes Beispiel dafiir ist die akute Leukiimie. Wiihrend diese Erkrankung
friiher bei
Kindem
fast immer letal endete, ist sie he ute bei etwa 50
der
erkrankten
14
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Kinder heilbar. Bei alten Patienten dagegen betragt die Uberlebenszeit nur einige weni
ge Monate mehr als vor 3 Jahren und eine Heilung - wenn es sie iiberhaupt gibt - ist
sehr selten. Fiir viele alte Patienten, die an akuter Leukamie leiden, ist die Behandlung
sehr viel schwerer zu ertragen als die Erkrankung selbst, und das Ergebnis ist im Grunde
genom men mit und ohne Therapie das gleiche.
In vieler Hinsicht weisen Krebserkrankungen bei alten Leuten unterschiedliche Aspek
te im Vergleich zu Patienten in
der
ersten und zweiten Lebensphase auf. So werden
Krebserkrankungen bei alten Patienten im allgemeinen in einem we iter fortgeschritte
nen Stadium diagnostiziert als bei jiingeren (3). In den USA wurden kiirzlich Zahlen
ver6ffentlicht, die zeigen,
daB
kolorektale Krebserkrankungen mit zunehmendem Al
ter
mehr im rechten Kolon als im Rektum lokalisiert sind. Dies gilt besonders
fUr
Frauen
(1). Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Vorsorgeuntersuchung und die Friihdia
gnose dieses haufigsten gastrointestinalen Tumors bei beiden Geschlechtern in den
USA.
Der
natiirliche Verlauf aller Tumorarten und die Wirksamkeit einer Therapie laBt sich
am besten abschatzen, wenn man die Uberlebensrate groBer Patientengruppen von der
Diagnose bis zum Tod iiber einen Zeitraum von Jahrzehnten unter Beriicksichtigung
des Krankheitsstadiums, des Alters und
der
Uberlebenszeit
der
AlIgemeinbevOlkerung
analysiert.
1983 wurden die Ergebnisse einer solchen Untersuchung von fast 38.000 alten Patienten
publiziert. Die Daten aus dieser Untersuchung werden in der vorliegenden Arbeit zu
sammengefaBt (2).
Da
diese Zahlen in den Jahren von 1950 bis 1979 gesammelt wurden,
werden die Tumorstadien mit lokal, regional und metastasierend bei Diagnosestellung
angegeben anstelle des heute verwendeten TNM-Systems in der Tumorklassifizierung.
Der
Begriff jung/aIte Patienten bezieht sich auf die Gruppe der 65-74jahrigen zum
Zeitpunkt der Diagnosestellung, die Bezeichnung aIt
fUr
die Patienten, die 75-84
Jahre alt waren und der Begriff alt/aIt auf diejenigen, die 85-94 Jahre aIt waren.
rostata
Ein lokal begrenztes Karziom
der
Prostata zeigt eine niedrige Mortalitat, wenn die
Uberlebenszeit dieser Patienten mit einer vergleichbaren Altersgruppe
der
junglalten
Patienten verglichen wird. In
der
Gruppe der altlaIten ist die Uberlebenszeit der Patien
ten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom zum Zeitpunkt der Diagnose exakt ver
gleichbar mit der einer nicht erkrankten altersentsprechenden Bev6lkerungsgruppe.
Diese giinstige Uberlebenszeit ist wahrend der vergangenen
3 4
J ahrzehnte gleichge
blieben, so daB es wenig sinnvoll erscheint, die Uberlebenszeit in diesen Tumorstadien
bei dieser Patientengruppe weiter zu verbessern. Grundsatzlich ist es sehr unwahr
scheinlich, daB es jemals gelingt, die Uberlebenszeit irgendeiner Gruppe oder Unter
gruppe von Karzinompatienten so zu verbessern, daB sie langer leben als der vergleich
bare Teil der Bev6lkerung, der nicht an diesem Krebs erkrankt ist.
Die Uberlebenszeit bei Patienten mit regional ausgebreitetem Prostatakarzinom hat
sich in den letzten
3
Jahren dramatisch verbessert und ist in der Gruppe der alt/alten
Patienten im wesentlichen dieselbe, wie im aItersentsprechenden Anteil der gesunden
mannlichen Bev6lkerung. Die erhebliche Verringerung der Ostrogendosierung in den
15
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spaten 60er 1ahren
hat
hauptsachlich zu dieser bemerkenswerten Veranderung beige-
tragen.
Beim Prostatakarzinom, das bei Diagnosestellung schon Fernmetastasen gesetzt hatte,
hat
sich die Uberlebenszeit in den letzten
lahrzehnten
nicht wesentlich verbessert, so
daB
man annehmen muB daB Chemotherapie in diesem Krankheitsstadium nicht wirk-
sam ist.
Mammakarzinom
In
der
Gruppe
der
alten und altlalten Patientinnen verursacht das bei Diagnosestellung
lokal begrenzte Karzinom
der
Mamma keine hohere Mortalitat, wenn man die Uberle-
benszeit dieser Patientinnen mit
der
entsprechenden Altersgruppe
der
weiblichen Be-
volkerung vergleicht.
In der Gruppe
der
jung/alten wird die Uberlebenzeit durch das lokal begrenzte Mam-
makarzinom nur sehr wenig beeinfluBt. Sogar bei regional ausgebreiteter Erkrankung
steigt die 5jahresmortalitatsrate in
der
Gruppe
der
jung/alten urn 20 , in
der
Gruppe
der
alten und altlalten nur urn 10 an.
Es zeigte sich in den letzten 1ahren insgesamt eine Steigerung
der
Uberlebenszeit, diese
erreicht jedoch keine statistische Signifikanz.
Die Prognose beim Mammakarzinom mit Fernmetastasen zum Zeitpunkt der Diagno-
sestellung ist in j edem Lebensalter schlecht, aber es konnte in den letzten 301 ahren eine
deutliche und statistisch signifikante Verbesserung
der
Uberlebenszeit erzielt werden.
Dies ist moglicherweise das Ergebnis einer wirksameren hormonellen und Chern
other
a-
pie. Eine Heilung der Erkrankung in dies em Stadium ist nicht moglich.
ungenkarzinom
In den USA zumindest nimmt die Inzidenz von Lungenkarzinomen in
der Gruppe der
alten und alt/alten Patienten im Vergleich zu·den jung/alten abo Die Griinde dafiir sind
nicht ganz klar.
Eine andere merkwiirdige Erscheinung des Lungenkarzinoms liegt darin, daB es das
einzige haufig vorkommende Karzinom ist, bei dem es eine umgekehrte Beziehung zwi-
schen steigendem Alter und Stadium
der
Erkrankung zum Zeitpunkt
der
Diagnosestel-
lung gibt.
Die Uberlebenszeit bei dieser Erkrankung ist im wesentlichen dieselbe wie bei liinge-
ren, namlich gleichermaBen kurz. In
der
Patientengruppe mit lokal begrenzter Erkran-
kung, die operativ behandelt werden konnen, werden jedoch fast ein Drittel geheilt, so-
gar in
der
Gruppe
der
altlalten.
Die Prognose bei regional ausgebreiteter Erkrankung oder bei Fernmetastasen ist bei
Diagnosestellung sehr schlecht und hat sich auch in den letzten 30 1ahren nicht verbes-
sert.
Beim kleinzelligen Bronchialkarzinom ist die Chemotherapie wirksam und die Bestrah-
lung ist kaum
mehr
als eine Palliativtherapie.
6
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astrointestinale Tumoren
In den
USA
nimmt die Inzidenz des Magenkarzinoms weiter ab und die Inzidenz des
Pankreaskarzinoms steigt an auch in der Gruppe der alten Patienten.
Die
Inzidenz des
kolorektalen Karzinoms hat sich in den letzten 30-40 J ahren nicht wesentlich geiindert
aber wie bereits
oben
angegeben zeigt sich mit zunehmendem Lebensalter ein Wech
sel
der
Lokalisation von distalen Teilen des Dickdarms zu den proximalen Anteilen.
Das lokal begrenzte Magenkarzinom ist zumindest in den USA selten
und
die Prognose
ist in jedem Lebensalter gut wenn die chirurgische Resektion moglich ist.
Fiir aIle iibrigen Stadien des Magenkarzinoms ist die Uberlebensrate sehr schlecht wo
bei praktisch aIle Patienten 5 Jahre nach der Diagnose verstorben sind.
Radiotherapie
und
Chemotherapie besitzen
nur
geringen
oder
gar keinen therapeuti
schen Wert.
Das kolorektale Karzinom ist
eine
chirurgische Erkrankung und die Lebenserwartung
bei lokal begrenztem kolorektalem Karzinom ist sehr gut und erreicht sogar die
der
al
tersentsprechenden Bevolkerung in
der Gruppe der
alt/alten Patienten.
Nur
wenige
Studien konnten nachweisen daB eine adjuvante Chemotherapie undloder Strahlen
therapie die Prognose in diesem Stadium der Erkrankung verbessern konnte. Selbst bei
regional ausgebreitetem kolorektalen Karzinom ist die 5jahresiiberlebenszeit auch in
der
Gruppe der
sehr alten Patienten gut sie lieB sich jedoch durch therapeutische MaB
nahmen nicht weiter verbessern.
Bei metastasierender Erkrankung ist die Prognose sehr schlecht und kann durch Che
motherapie nicht beeinfluBt werden.
Das Pankreaskarzinom ist bei Diagnosestellung praktisch immer unheilbar ausgenom
men sind davon die ssltenen Inselzelltumoren und die endokrinen Tumoren. Kaum ein
Patient
lebt liinger als 3
Jahre
nach Diagnosestellung.
Es
lieB sich aber in der Gruppe der jung/alten in
den
30 Jahren in denen diese Studie
lief eine signifikante Verbesserung der 1jahresiiberlebenszeit feststellen. Wahrschein
lich muB man dieses Ergebnis im Zusammenhang mit palliativen TherapiemaBnahmen
bei Gallenwegsobstruktionen sehen. Nach 3 Jahren war diese signifikante Verbesse
rung jedoch nicht mehr nachzuweisen.
yniikologiscbe Tumoren
Es
ist
bekannt
daB die Inzidenz des invasiv wachsenden Zervixkarzinoms ebenso wie
die des Ovarialkarzinoms bis zum Alter von
85
Jahren und dariiberhinaus stiindig zu
nimmt.
Die Inzidenz des Endometriumkarzinoms ist zur Zeit in den USA in der Gruppe der
jungen/alten Patientinnen am hochsten und nimmt im spiiteren Lebensalter stiindig abo
Wahrscheinlich ist dieses Hiiufigkeitsmuster eine Folge der wechselnden Einnahmege
wohnheiten von
bstrogenen
in
der
Postmenopause bei amerikanischen Frauen.
Moglicherweise werden die meisten Endometriums- und Zervixkarzinome schon im
Friihstadium entdeckt und konnen geheilt werden. Tatsiichlich sind die Heilungsraten
im Friihstadium so gut daB eine weitere Verbesserung kaum noch erreicht werden
kann.
7
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Selbst bei regionaler Ausbreitung dieser Tumoren betragt die 5jahresiiberlebensrate
noch
50 .
Die Prognose bei metastasierender Erkrankung ist auBerordentlich schlecht und die
Chemotherapie von sehr geringem Nutzen.
Das
Ovarialkarzinom dagegen wird in allen Lebensaltern nur selten im Friihstadium
entdeckt und kann
daher
auch kaum geheilt werden. Bei streng lokal begrenztem
Tumor ist die Uberlebenszeit jedoch ausgezeichnet und erreicht die
der
nicht erkrank-
ten altersentsprechenden weiblichen Bev6lkerungsgruppe.
Das Ovarialkarzinom mit regionaler Ausbreitung fiihrt in
der
Regel zum Tod
der
Pa-
tientin.
Die in den letzten 3
lahrzehnten
festzustellende signifikante Verbesserung
der
Uber-
lebenszeit ist vermutlich das Ergebnis einer verbesserten Palliativbehandlung durch Be-
strahlung und Chemotherapie bei vielen dieser Patientinnen.
osartige hamatologische Erkrankungen
Die Inzidenz b6sartiger hiimatologischer Erkrankungen nimmt bis in die h6chsten
Altersgruppen zu. Insgesamt betrachtet sind diese Erkrankungen im h6heren Lebens-
alter recht haufig.
Es sind zwei Faktoren die die Prognose in dieser
Gruppe
von ganz unterschiedlichen
systemischen Tumorerkrankungen entscheidend beeinflussen:
1
Der
Malignitatsgrad
der
jeweiligen Erkrankung und
2. das Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie.
Wie bereits erwahnt hat sich weder die Prognose
der
akuten myeloischen noch
der
aku-
ten
lymphatischen Leukamie bei alten Patienten in den letzten 3 1ahrzehnten wesentlich
verbessert.
Das
bedeutet daB die seltenen Remissionen und die in einigen Fallen beob-
achteten relativ langen Uberlebenszeiten erreicht werden auf Kosten einer verkiirzten
Uberlebensdauer und schwerer Nebenwirkungen bei denen die aggressiv behandelt
werden. 3 lahre nach Diagnosestellung lebt keiner
der Erkrankten
mehr.
Dagegen ist die Prognose
der
chronisch lymphatischen Leukamie ausgezeichnet und
zeigt in
der Gruppe der
altlalten nur eine geringfiigige
erh6hte
Mortalitat. Die Ursache
dafiir ist
der
niedrige Malignitatsgrad
der
Erkrankung denn die Ansprechbarkeit
der
CLL
auf Chemotherapie ist im
Alter
nicht besser als bei den akuten Leukamieformen.
Die Uberlebenszeit
der
chronisch myeloischen Leukamie liegt erwartungsgemaB zwi-
schen diesen beiden Extremen. Die Ansprechbarkeit
der CML
auf Chemotherapie ist
ebenfalls sehr gering.
Die
Prognose
der
malignen Lymphome bei alten Patienten
hat
sich auBerordentlich
und
signifikant verbessert. Durch chemotherapeutische MaBnahmen k6nnen in einigen Fal-
len selbst die sehr b6sartigen histiozytaren Lymphome geheilt werden.
Eine
der
gr6Bten Uberraschungen dieser Studie war die Feststellung daB die Uber-
lebensrate alter Patienten mit Plasmozytom in den letzten 301ahren hochsignifikant zu-
genommen hat. Diese Prognoseverbesserung liegt deutlich iiber
der
von Patienten im
mittleren Lebensalter. Diese Tatsache laBt sich nur mit
der
besseren Ansprechbarkeit
des Plasmozytoms auf Chemotherapie in
der
Gruppe
der
alten Patienten erklaren.
8
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
25/174
Zusammenfassung
Krebs ist eine haufige Erkrankung im h6heren Lebensalter. Bis he ute wird dieser Tat
saehe in der medizinisehen Literatur wenig Aufmerksamkeit gesehenkt. Die Arzte ver
sagen dem alten krebskranken Patienten leider immer noeh die erforderliehe Zuwen
dung und Aufmerksamkeit.
leh habe versueht zu zeigen, daB der natiirliehe Verlauf der Krebserkrankung in den
versehiedenen Organsystemen bei alten Mensehen sehr stark variiert. Manehe Tumoren
zeigen eine so geringe Malignitat, daB man sie ohne wei teres konservativ behandeln
kann, z.B. das lokalisierte Prostatakarzinom bei iiber 7Sjahrigen Mannem.
Andere Tumoren sind so b6sartig und prognostiseh so ungiinstig, daB zumindest beim
derzeitigen Wissensstand nur unterstiitzende und palliative TherapiemaBnahmen in
Frage kommen. Beispiele dafur sind das Pankreaskarzinom und die akuten Leukamien.
1m
Gegensatz dazu gibt es einige Tumorerkrankungen im h6heren Lebensalter, die
aueh einer kurativen Behandlung sehr gut zuganglieh sind. In diesen Fallen, zu den en
das Kolonkarzinom, das Lungenkarzinom im Friihstadium, das Mammakarzinom mit
regionarer Ausbreitung, die Lymphome und das Plasmozytom geh6ren, durfen die ent
spreehenden therapeutisehen MaBnahmen den alten Patienten nieht vorenthalten wer
den.
Als geriatriseh tatige Arzte sind wir gut beraten, wenn wir den naturliehen Verlauf der
versehiedenen, bei alten Mensehen haufig vorkommenden Tumorerkankungen verste
hen
lemen
so daB wir un sere alten Patienten in geeigneter Weise behandeln k6nnen.
Dabei
mu
in jedem einzelnen Fall der Nutzen und das Risiko therapeutiseher MaBnah
men sorgfaltig abgewogen werden.
iteratur
1
Butcher
D
Hassanein K, Dudgeon M, Rhodes J, Holmes
FF
1985) Female gender
is
a major
determinant of changing sub site distribution of colorectal cancer with age. Cancer: 714-716
2. Holmes FF 1983) Aging and cancer. Recent Results in Cancer Research, vol. 87. Springer,
Berlin Heidelberg New York
3. Holmes
FF
Hearne EM 1981) Cancer age-to-stage relationship: implications for cancer
screening in the elderly. Journal of the American Geriatrics Society 29: 55-57
4
Holmes FF, Hearne
E
Conant M, Garlow W 1979) Survival in the elderly with acute leukemia.
Journal of the American Geriatrics Society 27: 241-243
5 Waterhouse J, Muir C, Shanmugaratnam K, Powell J 1982) Cancer Incidence in Five Conti
nents, Volume IV,
IARC
Scientific Publications No.
42
World Health Organization, Interna
tional Agency for Research on Cancer, Lyon
Anschrift des Verfassers:
Prof.
F.F.
Holmes, MD FACP
University of Kansas
Dept.
of
Medicine
College of Health Sciences and Hospital
39th and Rainbow Blvd.
Kansas City, Kansas 66103
USA
19
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
26/174
Grundsatze der Krebstherapie im hohen Lebensalter
H M Hodkinson
University College and Middlesex Medical School, London
In jiingerem Lebensalter wird Krebs als eine lebensbedrohende Erkrankung vor dem
Hintergrund einer in dieser Altersgruppe noch relativ langen Lebenserwartung betrach
tet. Kann die Erkrankung geheilt werden, ist noch mit einer langen Lebensspanne zu
rechnen. Unter dem Gesiehtspunkt einer Kosten-Nutzenbetrachtung ist die klinische
Behandlung gerechtfertigt, wenn sie dazu fiihrt,
daB
der Patient gute Aussiehten hat,
die Erkrankung zu iiberleben und die gleiche Lebenserwartung besitzt wie eine gesunde
Kontrollgruppe. Mit Kosten sind hier nicht die finanziellen Aufwendungen gemeint,
sondern die Belastungen, die eine oft eingreifende und nebenwirkungsreiehe Krebsthe
rapie dem Patienten aufbiirdet.
Es
herrscht allgemeine Ubereinstimmung, daB in jiingeren Lebensphasen ein aggressi
ves therapeutisches Vorgehen bei der Krebserkrankung angezeigt ist, selbst wenn durch
chirurgische MaBnahmen, intensive Chemotherapie oder Strahlentherapie der Patient
sehr leiden und schwere Therapienebenwirkungen und Komplikationen ertragen muB
Es wird naeh dem Grundsatz gehandelt,
daB
aggressive Erkrankungen auch ein aggres
sives therapeutisches Vorgehen notwendig maehen.
Die Therapie beim alten und besonders beim sehr alten Krebspatienten muB jedoeh
ganz andere Gesichtspunkte beriieksiehtigen. Zuniiehst ist zu beaehten, daB die Lebens
erwartung im Alter wesentlich verkiirzt ist. Zwar haben die Fortsehritte der modernen
Medizin beaehtliche Auswirkungen auf die Lebenserwartung jiingerer Altersgruppen
gezeigt, sie haben jedoeh nur geringen EinfluB im Alter, wenn die durehsehnittliehe Le
benserwartung z.B. bei 80jiihrigen noeh 5-6, bei 85jiihrigen noeh 4 und bei 90jiihrigen
noeh 3 Jahre betriigt.
1m Einzelfall kann fUr einen alten Patienten, bei dem auBer einer anderen lebensbe
drohlichen Erkrankung auch noch ein Karzinom entdeekt wird, die Lebenserwartung
noeh erheblieh verkiirzt sein.
1m Gegensatz zum jiingeren stirbt der alte Mensch viel
hiiufiger mit einem bosartigen Tumor als an einem bosartigen Tumor.
Die Entseheidung, eine Krebstherapie durehzufUhren, ist sieher nieht problematisch bei
einem Patienten zwischen dem 60 und 70. Lebensjahr, der in gutem Allgemeinzustand
ist und noeh Erwartungen an das verbleibende Leben hat. Hier sind alle vertretbaren
therapeutischen Anstrengungen gerechtfertigt. Ganz anders stellt sich die Situation bei
den sehr alten Mensehen tiber 80 Jahren dar, den typisch geriatrischen, sehr hiiufig mul
timorbiden Patienten. Vor dem Hintergrund einer meist sehr kurzen Lebenserwartung
ist eine aggressive und nebenwirkungsreiehe Krebstherapie nicht gerechtfertigt. Bei
dieser Patientengruppe muS die Lebensqualitiit der verbleibenden Jahre unbedingt
Vorrang haben vor der bIoS en Lebensverliingerung. Dies gilt vor allem, wenn medizini
sche MaSnahmen wie aggressive Chemotherapie oder groSe Operationen nur Qual und
Leiden fUr die noeh zu erwartende kurze Lebensspanne bedeuten. Ebenso muS man
Ubersetzung: Dr med. H. Werner, Frankfurt.
21
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
27/174
daran denken daB therapiebedingte Dauerbehinderungen wie z.B. der Anus praeter
den alten Menschen in seinen sozialen Funktionen stark beeintrachtigen und isolieren
konnen.
Vor
dem Hintergrund dieser Uberlegungen gewinnen symptomatische palliative MaB-
nahmen eine groBere Bedeutung als das kurative medizinische Vorgehen. Es ergibt sich
dariiberhinaus die Forderung die Wiinsche und Vorstellungen des Patienten starker zu
beriicksichtigen und ihn nicht zu einer Behandlung zu drangen. Was namlich wirklich
zahlt ist die lebenswerte Gestaltung
der
dem alten Patienten verbleibenden Monate
und Jahre die
er
nach Moglichkeit in
der
eigenen Umgebung verbringen sollte und
nicht die bloBe Uberlebenszeit in statistischen Zahlen.
AIle Formen
der
Tumorbehandlung sind fUr den alten Menschen ohne Zweifel sehr be-
lastend und riskoreich.
Das
operative Risiko einschlieBlich postoperativer Komplika-
tionen steigt im Alter deutlich an. Unerwiinschte Wirkungen der Chemotherapie sind
starker ausgepragt die Verweildauer im Krankenhaus wesentlich verlangert. Die Erho-
lungsphase nach den genannten Therapien verlauft oft sehr langsam und schleppend.
Die negativen Auswirkungen dieser Krebstherapien iibersteigen bei alten Menschen in
der Regel urn ein Vielfaches den therapeutischen Nutzen und vermindern dariiberhin-
aus deutlich die Lebensqualitat .
Diese Uberlegungen gelten in gleichem MaBe
fUr
palliative Behandlungsformen wenn
dadurch das Leiden des Patienten nicht erleichtert sondern
eher
verschlechtert wird.
Das
therapeutische Bemiihen
mu
auf wirksame Erleichterung und Besserung qualen-
der Symptome gerichtet sein und darf auf keinen Fall neue den Patienten belastende
Leiden hervorrufen.
SchuldgefUhle des Arztes oder der Verwandten gegeniiber dem Patienten soIl ten nie-
mals das Motiv fUr eine Krebstherapie sein. Der Drang aIle therapeutischen Moglich-
keiten auszuschopfen
nur
urn das eigene Gewissen zu erleichtern darf auf keinen Fall
zur Einleitung entsprechender MaBnahmen zu Lasten des Patienten fUhren.
Die Einstellung alter Menschen zur Krankheit und zum
Tod
ist sehr unterschiedlich. m
Gegensatz zu jiingeren Menschen streb
en
sie meist nicht ein Leben urn jeden Preis an.
Nach einem langen
und
erfiillten Leben schwacht die Aussicht auf ein Dasein voller Be-
hinderungen und Leiden den Lebenswillen der alten Menschen. Man mu auch damit
rechnen
daB
alte Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen es ablehnen sich iiber-
haupt in medizinische Behandlung zu begeben aus Furcht der Arzt konnte keine
Riicksicht auf ihre Wiinsche und Erwartungen nehmen und gegen ihren Willen eine
Therapie einleiten.
Diese Einstellungen und Motive alter Tumorpatienten miissen bei allem arztlichen
Handeln beachtet akzeptiert und v.erstanden werden. Dies ist die wichtigste Vorausset-
zung fUr die schwierige arztliche Aufgabe mit dem Tumorleiden bei Patienten in hohem
Lebensalter umzugehen.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. H M Hodkinson
University College and Middlesex Medical School
Department of Geriatric Medicine
St. Pancras Hospital
St. Pancras Way
London NW
lOPE
United Kingdom
22
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
28/174
Kontinenzerhaltende Operationen beim Dickdarm
und
Mastdarmkarzinom im hoheren Lebensalter
H. Hansen
Chirurgische Universitatsklinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. F. Stelzner),
Bonn
Radikale Entfernung der Geschwulst und Wiederherstellung des Darmweges sind die
beiden Hauptziele, die wir bei allen Malignomen des Kolons und Rektums anstreben.
Immer haufiger werden wir in den letzten J ahren mit der Aufgabe einer kontinenzerhal
tenden Resektion bei alteren Patienten mit einem kolorektalen Krebs konfrontiert.
DieserTrendwird auch in den nachsten
J
ahren voraussichtlich weiter anhalten (Tabelle
1, Abb. 1). N ach statistischen Berechnungen steigt der prozentuale Anteil alterer Men
schen in der Bevolkerung westlicher Lander standig an. n diesem Lebensabschnitt ent
steht mehr als die Halfte aller Dickdarm- und Mastdarmkrebse (Abb. 2).
90 aller Malignome des Kolons und Rektums sind Adenokarzinome. Davon wachsen
80 ulzeros, schliisselfOrmig, mit einem wallartigen Rand. Diese Tumore haben einen
mittleren Malignitatsgrad. Sie stellen das Hauptkontingent kolorektaler Karzinome
und diktieren somit insgesamt die Prognose dieser Krankheit. Etwa 20 der Adeno
karzinome bei iiber 70jahrigen haben ein polyposes Wachstum und einen geringen
Malignitatsgrad. Von prognostischer Bedeutung ist der viel seltenere Befall regionarer
Tabelle 1.
BevblkerungsstatistiklUSA (nach
Boyd et al. 1980)
Jahr Gesamt
>65J
1900
76094000 3099000 4,1
1950 152271000
12297000
8,1
1970
204878000 20087000 9,8
2000 282837000
31822000 11,3
Tabelle 2. Lokalisation 547 kolorektaler Karzi
nome. Chirurgische Universitatsklinik, Bonn,
1.4.1977-30.4.1983
n
Zbkum 24
4,6
Ascendes /
reo
Flexur
36
6,6
Transversum
15
2,7
Descendes / Ii. Flexur 22
4,0
Sigma 1 9 19,9
Rektum
341
62,0
23
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
29/174
120 n
110
lUU
90
IIU
IU
6U
5U
50
20
10
o
1978
-
79
?
?
>60 Jahre
? _ ~ ~
>
70 Jahre
? , _ ~
>
80
Jahre
- 80 - 81 -
82
-
83
-
84
- 85
Abb l Anzahl der jahrlichen kolorektalen Karzinomresektionen . Chirurgische Univ.-Klinik ,
Bonn)
120
110
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
a
n
0
n=
355
466
1 =
43 2
56 7
10 - 19
20
-
29 30
-
39 40
- 49
50
-
59
60 - 69
70
-
79
80 -
89
Jahre
Abb 2. Alters- und Geschlechtsverteilung von 821 Patienten mit einem kolorektalen Karzinom .
Chirurg. Univ.-Klinik Bonn,
1 1
78-12. 8.85)
24
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
30/174
Lymphknoten im h6heren Lebensalter. Wiihrend in
der
Altersgruppe
der
20-39jiihri
gen bei 72 Nahmetastasen diagnostiziert werden, fanden sich befallene Lymphknoten
bei den 60-79jiihrigen hingegen nur in
46 .
Frauen erkranken auch im h6heren Le
bensalter seltener an einem kolorektalen Krebsleiden.
Das
kolorektale Karzinom erscheint bevorzugt in den Darmabschnitten, wo naturli
cherweise die Darmpassage verlangsamt ist (Tabelle 2). Dementsprechend findet man
den Krebs wei taus am hiiufigsten im Mastdarm, gefolgt yom Sigma und den Kolon
flexuren. Diese prozentuale Verteilung hat sich in den vergangenen lahrzehnten nicht
veriindert und wird in allen Altersgruppen angetroffen. Die an unserem Krankengut er
mittelten Zahlen stimmen mit denen der Literatur gut uberein.
Die Karzinome im Dickdarm und Mastdarm breiten sich zirkuliir, stenosierend, aus und
behindern die Darmpassage (Abb. 3, Tabelle 3). Dies bedingt die in
der
Tabelle aufge
fuhrten subjektiven Symptome, wie Anderung
der
Darmentleerung, Obstipation oder
Abb.
3.
Zirkular wachsender Krebs im Colon ascendens (Pfeile), bei einem 76jahrigen Patienten
Tabelle 3. Symptome kolorektaler Karzinome
(nach Muir, 1956)
Anderung der Darmentleerung
Blutung aus dem Darm
Diarrhoe
Obstipation
Gewichtsverlust
8
66
54
3
28
25
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Diarrhoe. Es heiBt immer, daB altere Patienten diese Krankheitszeichen seltener oder
spater bemerken. Wir konnen diese nie bewiesene Behauptung bei unseren Patienten
nicht bestatigen.
Fortgeschrittene oder inoperable Kolon- bzw. Rektumkarzinome sehen wir heute viel
weniger als friiher, und wenn, dann eher bei jiingeren Patienten.
Fiir den friihen Nachweis der kolorektalen Krebse hat sich
der
Hamokkulttest sehr be
wahrt. Er deckt bereits symptomlose Dickdarmkarzinome auf, die eine deutlich bessere
Prognose haben, als Darmtumoren mit den aufgefiihrten Beschwerden.
Wird dagegen ein Krebs erst durch einen Ileuszustand oder eine Darmperforation dia
gnostiziert, sind die Chancen eines kurativen Eingriffs gering. Bei einem alteren Patien
ten kann in soleh einem seltenen Fall dann bereits die alleinige Anlage einer Kolostomie
zum Tode fiihren.
Die Adenokarzinome im Mastdarm und Kolon wachsen relativ langsam. Sie sind kaum
strahlenempfindlich. uf die bislang bekannten Chemotherapeutika sprechen sie nicht
an.
Eine kurative Behandlung dieser Krebse erreichen wir
z
Zt. deshalb allein operativ.
Beim alteren Patienten stehen dem Chirurgen zwei Verfahren dazu zur Verfiigung:
1. Die ortliche Abtragung der Geschwulst,
2 die Radikaloperation.
Die lokale Exzision des Karzinoms ist nur bestimmten, ausgewahlten Fallen vorbehal
ten. Nach unseren Erfahrungen kann vor aHem bei alteren Patienten, die einen exophy
tisch wachsenden, kleinen Tumor in der unteren Mastdarmampulle haben, dieser Ein
griff von transanal oder iiber eine Proktotomie mit gutem Erfolg durchgefiihrt werden.
Fiir die groBe Mehrheit
der
betroffenen Patienten kommt jedoch nur die sogenannte
Radikaloperation in Frage (Tabelle 4, Abb. 4). Radikal bedeutet Resektion des tumor
tragenden Darmabschnittes mitsamt seiner MetastasenstraBen, also dem regionaren
Lymphknotengebiet, und die den Darm umhiillenden Faszien. Diese Hiillfaszien sind
spinnwebendiinne, gefaBlose Grenzlamellen, die den kolorektalen Krebs und seine
MetastasenstraBen tumordicht verpacken. Die intakte, komplette Exzision dieser
Strukturen garantiert den hohen Erfolg der radikalen Resektion der Mastdarm- und
Dickdarmkarzinome, selbst in Ausbreitungsstadien, die bei anderen Organkrebsen zu
einem Riickfall fiihrten.
Einer der entscheidenden Faktoren fiir die Prognose des Eingriffs ist die Lange der rese
zierbaren MetastasenstraBe, die wir unabhiingig yom Alter des Patienten, soweit opera
tionstechnisch vertretbar, zu entfernen versuchen.
m
rechten Kolon sind die Metastasenwege kurz. Fiinfjahresheilungen liegen deshalb
hier urn 20 niedriger als bei den iibrigen Dickdarmkarzinomen.
Am Mastdarm ist diese Strecke am langsten. 1m Gegensatz zum Kolon ist sie hier auch
nur singular angelegt. In den vergangenen 8 lahren wurden in unserer Klinik von
821
kolorektalen Karzinomen 775, entsprechend 94,3 , durch einen radikalehirurgischen
Eingriff behandelt (Tabelle 5). Davon entfallen auf die Altersgruppe der iiber 70jahri
gen 27,6 . Bei den Resektionen liegt der Anteil dieser Altersgruppe bei 28,5 .
Resektionen im Bereich des Dickdarms erlauben fast immer die Wiederherstellung der
Darmkontinuitat. m rechten Kolon und rechtsseitigen Transversum werden aus
Griinden der Radikalitat Arteria und Vena ileocolica immer mitentfernt. Eine rechtsei
tige Dickdarmresektion wird deshalb von uns grundsatzlich als Ileotransversostomie ab
geschlossen.
26
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Abb 4. Schema der radikalen Resektion des Mastdarms. Hohe Unterbindung der Metastasen-
straBe am Abgang an der Aorta; der dunkle Pfeil deutet auf die prasakrale Faszie, der helle Pfeil
markiert die hintere Grenzlamelle. Zwischen beiden Pfeilen befindet sich das Spatium retrorectale.
Der
hell schraffierte Darmabschnitt wird bei einer Rektumexstirpation entfernt
Tabelle 4. Radikaloperation beim Darmkrebs
1. Entfernung des Tumors
2 Wegnahme der regionaren Lymphknoten mit den MetatasenstraBen
3
Exzision der Organhullfaszien beim Mastdarm: Grenzlamellen)
Malignome des linken Kolons bieten operationstechnisch keine Schwierigkeiten. Das
Sigma mit erhaltener Mesenterica inferior und das rechtsseitige Kolon konnen nach ent-
sprechender Mobilisation ohne Probleme vereinigt werden.
Sigmakarzinome konnen im Friihstadium, vor aHem bei alteren Patienten, durch eine
segmentare Resektion behandelt werden. Sicherer und von uns bevorzugt ist die hohe
27
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Unterbindung der MetastasenstraBe unterhalb des Abgangs der Coliea sinistra, wo
dureh die
obere
Rektalarterie und das
Rektum
mobile mitentfernt werden mussen.
Fur
das Rektumkarzinom stehen uns zwei Operationsverfahren zur Verfugung Abb.
Sa, b):
1. Kontinenzresektion mit Erhaltung des naturliehen Darmweges und
2. die Rektumamputation mit Verlust des Darmausgangs und der Anlage eines endgul
tigen Bauehafters.
Tabelle 5. Radikaloperationen bei 82 Patien
ten mit kolorektalem Karzinom, Chirurgische
Universitatsklinik, Bonn 1.4.77-12.8.85)
Rektumkontinenzresektion 49
Rektumamputation 36
Kolonresektion
48
>70J
.
24
35
55
Abb
Sa. Schema der Rektumkontinenzresektion
28
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Abb 5b Schema
der
Rektumamputation
Wahrend friiher jede Radikaloperation des Mastdarmkarzinoms die Opferung des
Kontinenzorgans bedeutete, ist in den letzten lahrzehnten der Anteil der Rektumresek-
tion standig gestiegen.
or allem fUr altere Patienten glaubte man bislang, daB der amputative Eingriff sicherer
ware Tabelle 6): Das Gegenteil ist der Fall. Entgegen anders lautenden Mitteilungen in
der Li teratur und eigenen Erwartungen aufgrund friiherer statistischer Berechnungen
muBten wir feststellen,
daB
die Amputation bei alteren Patienten eine deutlich hohere
Operationsletalitat zur Folge hat. Vermutlich sind groBeres Operationstrauma und aus-
gedehnte sakrale Wundflache die wesentlichen Faktoren. Deshalb ist auch im fortge-
schrittenen Lebensalter, wenn irgendmoglich, zuerst der kontinenzerhaltende Eingriff
anzustreben.
9
-
8/17/2019 [Prof. Dr. Klaus Goerttler Krebs Im Alter
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Befiirchtungen einer unzureichenden Radikalitat sind unbegriindet (Tabelle 7). Zahl
reiche Untersuchungen haben nachgewiesen: das Rektumkarzinom wachst und meta
stasiert fast ausschlieBlich nur nach kranial. Der Befall iliakaler Lymphknoten tritt ex
trem selten auf.
Daher
konnen wir auch tiefsitzende, digital palpable Krebse der Mast
darmampulle durch eine Rektumresektion radikal operieren. Wir fordern eine distale
Resektionsgrenze, die wenigstens 2 cm yom unteren Tumorrand entfernt ist. Die Be
rechtigung zur knappen, beckenbodennahen Resektion sehen wir darin begriindet, daB
Rezidive bei diesen Resektionen nicht haufiger sind. Ausbreitungsgrad und GroBe des
Tumors sind viel entscheidendere Faktoren fiir einen lokalen Riickfall.
abelle 6. Letalitat der Radikaloperationen beim Rektumkarzi
nom. Chirurgische Universitatsklinik, Bonn (1. 7.78-12.8.85)
Amputation
Resektion
(n 122)
(n 458)
70J.
9,1
3,5
abelle 7. Rektumkarzinome, knappe Resektion, 334 Patienten
(1963-1975). St. Marks Hospital, London (nach Pollet, Nicholls
1983»
Praparate ausgespannt untersucht:
unterer
Resektionsrand
GruppeI
GruppeII
GruppeIII
unter2cm
unter2 5cm
tiber 5cm
5-J ahresheilung
69,1
68,4
69,6
Rezidive
7,3
6,2
7,8
Nach totaler Entfernung des Rektums und nach Anlage einer koloanalen Anastomose
sind vor allem bei alteren Patienten funktionelle Storungen, wie AbschluBschwache und
behinderte Darmentleerung, n;cht selten. Dennoch waren sie nie so ausgepragt, daB ein
Stoma angelegt werden muBte. Auch bess ern sich die anfanglichen Kontinenzbe
schwerden bei den meisten Patienten innerhalb von 6-12 Monaten.
Voraussetzungen fiir eine komplikationslose Heilung der Anastomose am Dickdarm
und Mastdarm sind:
1. eine wasserdichte Adaptation,
2. eine spannungslose Nahtlinie und
3. eine ungestorte Blutversorgung.
Besonders im hoheren Lebensalter kann die Durchblutung der Darmwand durch eine
Naht eher gefahrdet werden. Unter Chirurgen gibt es iiber Anastomosentechniken am
Dickdarm und Mastdarm und das zu verwendende Nahtmaterial sehr unterschiedliche
Auffassungen. Wir niihen bislang Kolonanastomosen gewohnlich End-zu-End, zwei
reihig, mit konventionellem Nahtmaterial. Aufgrund neuester tierexperimenteller
Untersuchungen wissen wir, daB die intramurale Durchblutung durch Klammernaht
anastomosen weniger beeintrachtigt wird, als durch eine handgenahte Anastomose.
30
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Gegeniiber der maschinellen Naht mit den kleinen reizlosen Stahlklammern konnen
punktuelle Ischamiezonen bei manuellen Einzelnahten immer wieder vorkommen, be
sonders wenn vie Gewebe mit der Naht gefaBt wurde. Die Klammernahte sind deshalb
bei weniger gut durchblutetem Gewebe und bei Storung der Makrozirkulation, wie z. B.
Arteriosklerose, sicherer. Dies sind Bedingungen, wie wir sie im hoheren Lebensalter
bei Anastomosen am linksseitigen Kolon und Rektum immer wieder antreffen. Anasto
mosen in diesem Darmabschnitt sind eher durch einen Nahtbruch gefahrdet.
1m
Zweifel
entlasten wir daher den genahten bzw. geklammerten Darm durch eine selbstheilende
Zokalfislel nach Stelzner oder auch mit einer Kolostomie.
Aile Koloneingriffe werden entsprechend dem nebenstehenden Schema vorbereitet
(Tabelle 8). Am letzten praoperativen Tag erhalten die Patienten Neomycin und Metro
nidazol. Diese Vorbereitung senkte signifikant die postopertive Infektion und wird
auch von alteren Patienten ohne Komplikationen gut toleriert.
Eine weitere im hoheren Lebensalter wichtige praoperative MaBnahme ist die ja nach
Lungenfunktion unterschiedlich lange und intensive physiotherapeutische Vorberei
tung des Patienten. Treppens