KHK, Cholezystitis oder Herpes zoster?

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78 MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2012 (154. Jg.) Was ist neu in der medikamen- tösen Therapie? Wir halten Sie auf dem Laufenden mit Berichten von Kongressen und Symposien der pharmazeutischen Industrie. © Archiv Pharmaforum Koronare Herzkrankheit Mikrovaskuläre Störungen werden häufig unterschätzt Bei KHK-Patienten, die keine Koro- narstenosen aufweisen oder nach Koronarintervention symptomatisch bleiben, kann eine Therapie mit Ranolazin lohnen, das einer Kalzium- überladung der Zelle entgegenwirkt und damit die diastolische Herzfunk- tion verbessert. _ Kardiale Ischämien entstehen aufgrund eines Missverhältnisses zwischen myokar- dialem O 2 -Bedarf und O 2 -Angebot. Ursache sind nicht immer makrovaskuläre Koro- narstenosen, erklärte Dr. Dirk Westermann, Berlin. Dies veranschaulichen zwei Zahlen: In einer Studie war bei knapp 400 000 Pati- enten mit Angina pectoris untersucht wor- den, wie oft eine obstruktive KHK vorliegt im Sinne einer 50%-Hauptstamm- oder 70%-Stenose in einem anderen Koronarge- fäß. Ergebnis: bei nur 41%. Eine andere Stu- die belegt, dass über 40% aller KHK-Pati- enten nach Bypass-OP oder PTCA weiter pektanginöse Beschwerden aufweisen. Neben der makrovaskulären ob- struktiven KHK gibt es noch mikrovasku- läre Ursachen der Angina pectoris, die pro- gnostisch bedeutsam sind und therapeu- tisch weder mit einer Revaskularisierung noch mit klassischen Antianginosa behan- delt werden können, so Westermann. Dazu zählen: endotheliale Dysfunktion Small vessel disease diastolische Dysfunktion Ionen-Dysfunktion. Gerade die Ionen-Dysfunktion auf zellu- lärer Ebene gewinnt im Kontext von koro- naren Ischämien, Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen zunehmend an Be- deutung, wie Dr. Samuel Sossalla, Göttin- gen, ausführte. Im Fokus steht der Natrium- einstrom in die Zelle in der Spätphase des Aktionspotenzials, der sog. INA-late. Später Natriumeinstrom stört diastolische Funktion Wenn unter einer Ischämie oder im Rah- men einer Herzinsuffizienz in patholo- gischer Weise zu viel Natrium in die Zelle eingeschleust wird, kommt es konsekutiv zu einer intrazellulären Kalziumüberla- dung, erklärte Sossalla. Diese ist schlecht für die Myokardfunktion: Aktin- und Myo- sinfilamente bleiben auch in der Diastole kontrahiert, was zu einer Relaxationsstö- rung, einem Anstieg der Wandspannung und zu mikrosvaskulären Durchblutungs- störungen führen kann. Das Resultat: wei- ter erhöhter O 2 -Bedarf bei verschlechterter O 2 -Versorgung – ein Circulus vitiosus. So- mit erklärt sich, wie der späte Natriumein- strom Ischämie verursacht. Ranolazin (Ranexa®) hemmt spezifisch den späten Natriumeinstrom, aber nicht den Spitzen-Natriumeinstrom. Die Subs- tanz weist einen antianginösen Wirkme- chanismus auf, der sich von allen anderen KHK-Therapeutika grundlegend unter- scheidet. Ranolazin ist in der Lage, bei Pati- enten mit limitierender KHK die Zeit bis zur Angina und Ischämie deutlich hinauszuzö- gern, ohne dabei Herzfrequenz oder Blut- druck zu beeinflussen. Die Substanz ist in- diziert bei Patienten mit KHK, die entweder keine relevanten Koronarstenosen oder aber nach Revaskularisierung weiterhin pektanginöse Beschwerden aufweisen. Dr. med. Dirk Einecke Quellen: Symposium „Kardiale Ischämien in der Praxis – Mehr als KHK?“, Düsseldorf, Oktober 2011 (Veranstalter: Berlin Chemie) Knifflige Differenzialdiagnose besonders zu Beginn KHK, Cholezystitis oder Herpes zoster? _ Die Prodromalphase des Herpes zoster ist charakterisiert durch unspezifische Symptome: Krankheitsgefühl mit Abge- schlagenheit, Müdigkeit, beginnende Schmerzen, Dysästhesien, intermittierende oder permanente brennende Missempfin- dungen, z. T. heftige Berührungsschmerzen. In dieser Phase ist die Diagnose häufig schwierig, da die unspezifischen Schmer- zen je nach Dermatombefall z. B. auch auf ein akutes Koronarsyndrom, eine Perikardi- tis, Cholezystitis, akute abdominale Erkran- kung, Koliken der Leber/Niere oder auf eine Nervenerkrankung, Schmerzen im Augen- bereich auf ein Glaukom hinweisen können. Leichter zu diagnostizieren scheint der Herpes zoster, wenn die typischen Hauter- scheinungen – gruppiert stehende Bläs- chen – sichtbar sind. Bläschen im Mund- oder Genitalbereich können jedoch z. B. auch auf Insektenstiche zurückzuführen sein oder auf Impetigo, Candidose bzw. Dermatitis herpetiformis hinweisen. Außer- dem sollte Folgendes bedacht werden:

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PHARMAFORUM

MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2012 (154. Jg.)

Was ist neu in der medikamen-tösen Therapie? Wir halten Sie auf dem Laufenden mit Berichten von Kongressen und Sym posien der pharmazeutischen Industrie.

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Pharmaforum

Koronare Herzkrankheit

Mikrovaskuläre Störungen werden häufig unterschätztBei KHK-Patienten, die keine Koro-narstenosen aufweisen oder nach Koronarintervention symptomatisch bleiben, kann eine Therapie mit Ranolazin lohnen, das einer Kalzium-überladung der Zelle entgegenwirkt und damit die diastolische Herzfunk-tion verbessert.

_ Kardiale Ischämien entstehen aufgrund eines Missverhältnisses zwischen myokar-dialem O2-Bedarf und O2-Angebot. Ursache sind nicht immer makrovaskuläre Koro-narstenosen, erklärte Dr. Dirk Westermann, Berlin. Dies veranschaulichen zwei Zahlen: In einer Studie war bei knapp 400 000 Pati-enten mit Angina pectoris untersucht wor-den, wie oft eine obstruktive KHK vorliegt im Sinne einer 50%-Hauptstamm- oder 70%-Stenose in einem anderen Koronarge-fäß. Ergebnis: bei nur 41%. Eine andere Stu-die belegt, dass über 40% aller KHK-Pati-enten nach Bypass-OP oder PTCA weiter pektanginöse Beschwerden aufweisen.

Neben der makrovaskulären ob-struktiven KHK gibt es noch mikrovasku-läre Ursachen der Angina pectoris, die pro-gnostisch bedeutsam sind und therapeu-tisch weder mit einer Revaskularisierung noch mit klassischen Antianginosa behan-delt werden können, so Westermann. Dazu zählen:

■ endotheliale Dysfunktion

■ Small vessel disease

■ diastolische Dysfunktion

■ Ionen-Dysfunktion.Gerade die Ionen-Dysfunktion auf zellu-

lärer Ebene gewinnt im Kontext von koro-naren Ischämien, Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen zunehmend an Be-

deutung, wie Dr. Samuel Sossalla, Göttin-gen, ausführte. Im Fokus steht der Natrium-einstrom in die Zelle in der Spätphase des Aktionspotenzials, der sog. INA-late.

Später Natriumeinstrom stört diastolische FunktionWenn unter einer Ischämie oder im Rah-men einer Herzinsuffizienz in patholo-gischer Weise zu viel Natrium in die Zelle eingeschleust wird, kommt es konsekutiv zu einer intrazellulären Kalziumüberla-dung, erklärte Sossalla. Diese ist schlecht für die Myokardfunktion: Aktin- und Myo-sinfilamente bleiben auch in der Diastole kontrahiert, was zu einer Relaxationsstö-rung, einem Anstieg der Wandspannung und zu mikrosvaskulären Durchblutungs-störungen führen kann. Das Resultat: wei-ter erhöhter O2-Bedarf bei verschlechterter O2-Versorgung – ein Circulus vitiosus. So-

mit erklärt sich, wie der späte Natriumein-strom Ischämie verursacht.

Ranolazin (Ranexa®) hemmt spezifisch den späten Natriumeinstrom, aber nicht den Spitzen-Natriumeinstrom. Die Subs-tanz weist einen antianginösen Wirkme-chanismus auf, der sich von allen anderen KHK-Therapeutika grundlegend unter-scheidet. Ranolazin ist in der Lage, bei Pati-enten mit limitierender KHK die Zeit bis zur Angina und Ischämie deutlich hinauszuzö-gern, ohne dabei Herzfrequenz oder Blut-druck zu beeinflussen. Die Substanz ist in-diziert bei Patienten mit KHK, die entweder keine relevanten Koronarstenosen oder aber nach Revaskularisierung weiterhin pektanginöse Beschwerden aufweisen.

■ Dr. med. Dirk EineckeQuellen: Symposium „Kardiale Ischämien in der Praxis – Mehr als KHK?“, Düsseldorf, Oktober 2011 (Veranstalter: Berlin Chemie)

Knifflige Differenzialdiagnose besonders zu Beginn

KHK, Cholezystitis oder Herpes zoster?_ Die Prodromalphase des Herpes zoster ist charakterisiert durch unspezifische Symp tome: Krankheitsgefühl mit Abge-schlagenheit, Müdigkeit, beginnende Schmerzen, Dysästhesien, intermittierende oder permanente brennende Missempfin-dungen, z. T. heftige Berührungsschmerzen. In dieser Phase ist die Diagnose häufig schwierig, da die unspezifischen Schmer-zen je nach Dermatombefall z. B. auch auf ein akutes Koronarsyndrom, eine Perikardi-tis, Cholezystitis, akute abdominale Erkran-

kung, Koliken der Leber/Niere oder auf eine Nervenerkrankung, Schmerzen im Augen-bereich auf ein Glaukom hinweisen können.

Leichter zu diagnostizieren scheint der Herpes zoster, wenn die typischen Hauter-scheinungen – gruppiert stehende Bläs-chen – sichtbar sind. Bläschen im Mund- oder Genitalbereich können jedoch z. B. auch auf Insektenstiche zurückzuführen sein oder auf Impetigo, Candidose bzw. Dermatitis herpetiformis hinweisen. Außer-dem sollte Folgendes bedacht werden:

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PHARMAFORUM

Hirnstimulation bei therapieresis­tenter Depression Der Effekt der tiefen Hirnstimulation bei schweren Depressionen wurde in einer drei-zentrischen Studie geprüft (Journal of Neurosurgery; online 18. Nov. 2011). Die 21 Studienteilnehmer lit-ten im Durchschnitt schon 20 Jahre an Depressionen, hatten mehr als 16 verschiedene Medikamente genom-men und galten bei Einschluss in die Studie als behindert oder berufsun-fähig. Durch die tiefe Hirnstimulati-on besserten sich die Depressions-symptome und die Lebensqualität deutlich. Acht Studienteilnehmer konnten wieder am regulären Tages-ablauf teilnehmen, zwei wurden als „in Remission“ eingestuft. Das Libra™ DBS System wird in der Nähe des Schlüsselbeins implantiert und gibt geringe elektrische Impulse an die in der subcallosalen Region des Gy-rus cinguli platzierten Elektroden ab. Derzeit läuft eine multizentrische Zu-lassungsstudie. St. Jude Medical

Therapie bei Bronchitis und Sinusi­tis Cineol wirkt bei Erkältungskrank-heiten nicht nur sekretolytisch und antiinflamma torisch, sondern auch antiviral und bakterizid, wie Daten aus In-vitro-Studien bele-gen. Der Naturstoff hemmt das für die Vermehrung der Erkältungsviren wichtige En-zym Neuraminidase. Der vi-rustatische Effekt ist bereits in sehr niedrigen Konzentra-tionen nachweisbar und er-höht sich mit steigender Dosierung. Darüber hinaus entfaltet Cineol in der bei Erkältungskrankheiten üblichen Dosierung (3 x tägl. 200 mg 1,8- Cineol, Soledum® Kapseln forte) auch bakterizide Wirkungen. Eine Studie belegt, dass der Naturstoff effektiv Bakterien abtötet, die Sekundärinfek-tionen auslösen können, u. a. Strepto-coccus pneumoniae, Staphylococcus aureus, Moraxella catarrhalis oder Hae mophilus influenzae. Klosterfrau

Kurz notiert■ Herpes-simplex-Virus (HSV): schmerz-hafte Vesikel, typischerweise an der Lippe (HSV-1, Herpes labialis) bzw. im Genitalbe-reich (HSV-2, Herpes genitalis), gelegent-lich an anderen Körperstellen. Herpes-zos-ter-Rezidive sind bei Immunkompetenten sehr selten. Bei multiplen Rezidiven (> 2 Episoden) ist ein virologischer Test zur Un-terscheidung zwischen HSV und VZV (Vari-cella-zoster-Virus) sinnvoll.

■ Allergien: Kontaktdermatitis, verursacht z. B. durch Kupfer oder Nickel, oder Haut-reaktionen auf topische Medikamente, z. B. Neomycin, können zu Vesikel- oder Exan-thembildung führen. Diese sind normaler-weise nicht auf ein Dermatom begrenzt.

■ Chemische Noxen: Schmerzhafte Ery-theme und die Bildung von Vesikeln in einem bandähnlichen Irritationsmuster können durch den Kontakt mit toxischen Pflanzen wie Poison Ivy oder giftiger Hafer verursacht werden.

Zur Behandlung des akuten Herpes zos-ter beim immunkompetenten Erwachse-nen kann z. B. Brivudin (Zostex®) eingesetzt werden, das bei frühzeitiger Anwendung zu einem schnellen Bläschenstopp und re-duzierten Auftreten einer postzosterischen Neuralgie führt. Ein weiterer Vorteil gegen-über anderen Virustatika ist die tägliche Einmalgabe über sieben Tage.

■ Red.Quellen: Nach Informationen von Berlin Chemie

Herpes-zoster-Bläschen am Rücken.

© B

erlin

Che

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Tausendgüldenkraut, Liebstöckelwurzel, Rosmarinblätter

Welche Wirkung entfalten diese Pflanzen bei Harnwegsinfekten?_ Ein Phytotherapeutikum aus Tausend-güldenkraut, Liebstöckelwurzel und Ros-marinblättern (Canephron® N) zur Behand-lung von leichten sowie rezidivierenden Harnwegsinfekten und Reizblase hat ein breites pharmakologisches Wirkspektrum. Neben der antibakteriellen, spasmoly-tischen und diuretischen zeigte sich in Stu-dien auch eine antientzündliche Wirkung.

Zwei wissenschaftliche Untersuchun-gen belegten in vivo die Wirkung von Ros-marinextrakt und in vitro die Wirkung der Rosmarinsäure bei entzündlichen Prozes-sen. Aus den Ergebnissen einer Unter-suchung an menschlichen Zellkulturen schlossen Scheckel et al. (2008), dass Ros-marinsäure die Expression der Cyclooxyge-nase 2 (COX-2) signifikant verringert. Der Effekt war dosisabhängig. In einer weiteren Studie von de Farias et al. (2004) wurde in vivo an Ratten der Einfluss eines hydroal-koholischen Rosmarin-Rohextraktes auf den Entzündungsprozess untersucht. For-scher induzierten dabei mit Carrageenin

eine Schwellung in der Tierpfote (Ratten-pfotenödemtest). Carrageenin fördert die Bildung von Prostaglandin E2 über die Ak-tivierung der COX-2 und somit den Entzün-dungsprozess. Vor der lokalen Injektion in die Pfote wurde der Verumgruppe Rosma-rinextrakt verabreicht. Die Ergebnisse zeigten, dass Rosmarin dosisabhängig die entzündliche Schwellung reduzierte.

In dem Phytotherapeutikum wirken nicht nur die Rosmarinblätter antiphlogis-tisch. Auch für Tausendgüldenkraut wurde im Rattenpfotenödemtest eine entsprechen-de Wirkung gezeigt (Berkan et al., 1989).

Durch die nachgewiesene antientzünd-liche Wirkung ist das Kombinationpräparat zur Behandlung von Harnwegsinfekten ge-eignet: Infektbedingtes Brennen und Schmer zen beim Wasserlassen werden ef-fektiv bekämpft. Das Therapeutikum ist gut verträglich, und Jugendliche ab zwölf Jahren können damit behandelt werden.

■ Red.Quellen: Nach Informationen von Bionorica SE

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