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dtv Bibliothek der Erstausgaben Johann Wolfgang von Goethe Die Wahlverwandtschaften

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dtvBibliothek der Erstausgaben

Johann Wolfgang von GoetheDie Wahlverwandtschaften

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Johann Wolfgang von Goethe

Die Wahlverwandtschaften

Roman

Tübingen 1809

Herausgegeben vonJoseph Kiermeier-Debre

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Der Nachdruck des Textes folgt originalgetreuder Erstausgabe von 1809.

Die Originalpaginicrung wird im fortlaufenden Text vermerkt.I )er Anhang gibt Auskunft zu Autor und Werk.

OriginalausgabeJanuar 1999

2. Auflage November 1 999Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

C^ i998 Deutscher Taschenbuch Verlag, MünchenUmschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Uinschlagbild: „Farbenkreis" von GoetheGesetzt aus der Bembo Berthold

Satz: Fritz Franz Vogel, CH-WädenswilDruck und Bindung: C.H. Beck'sche Buchdruckerei, Nördlingen

Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany • ISBN 3-423-02651-0

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ERSTES KAPITEL.

Eduard — so nennen wir einen reichen Baron im bestenMannesalter — Eduard hatte in seiner Baumschule dieschönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht, um

10 frisch erhaltene Pfropfreiser auf junge Stämme zu bringen.Sein Geschäft war eben vollendet; er legte die Geräth-schaften in das Futteral zusammen und betrachtete seineArbeit mit Vergnügen, als der Gärtner hinzutrat und sichan dem theilnchmenden Fleiße des Herrn ergetzte.

15 Hast du meine Frau nicht gesehen? fragte Eduard,indem er sich weiter zu gehen anschickte.

141 Drüben in den neuen Anlagen, versetzte der Gärt-ner. Die Mooshütte wird heute fertig, die sie an derFelswand, dem Schlosse gegenüber gebaut hat. Alles ist

20 recht schön geworden und muß Ew. Gnaden gefallen.Man hat einen vortrefflichen Anblick: unten das Dorf, einwenig rechter Hand die Kirche, über deren Thurmspitzeman fast hinwegsieht; gegenüber das Schloß und dieGärten.

25 Ganz recht, versetzte Eduard; einige Schritte von hierkonnte ich die Leute arbeiten sehen.

Dann, fuhr der Gärtner fort, öffnet sich rechts das Thalund man sieht über die reichen Baumwiesen in eine heite-re Ferne. Der Stieg die Felsen hinauf ist gar hübsch

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angelegt. Die gnädige Frau versteht es; man arbeitet unterihr mit Vergnügen.

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8 I. TEIL, I. KAPITEL

151 Geh zu ihr, sagte Eduard, und ersuche sie, auf michzu warten. Sage ihr, ich wünsche die neue Schöpfung zusehen und mich daran zu erfreuen.

Der Gärtner entfernte sich eilig und Eduard folgte5 bald.

Dieser stieg nun die Terrassen hinunter, musterte, imVorbeygehen, Gewächshäuser und Treibebeete, bis er ansWasser, dann über einen Steg an den Ort kam, wo sichder Pfad nach den neuen Anlagen in zwey Arme theilte.

IU Den einen, der über den Kirchhof ziemlich gerade nachder Felswand hinging, ließ er liegen uni den anderneinzuschlagen, der sich links etwas weiter durch anmu-thiges Gebüsch sachte hinaufwand; da wo beyde zusam-mentrafen, setzte er sich für einen Augenblick auf einer

15 wohlangebrachten Bank nieder, betrat sodann den eigent-lichen Stieg, und sah sich durch allerley Treppen 161 undAbsätze, auf dem schmalen, bald mehr bald wenigersteilen Wege endlich zur Mooshütte geleitet.

An der Thüre empfing Charlotte ihren Gemahl und20 ließ ihn dergestalt niedersitzen, daß er durch Thüre und

Fenster die verschiedenen Bilder, welche die Landschaftgleichsam im Rahmen zeigten, auf einen Blick übersehenkonnte. Er freute sich daran, in Hoffnung daß der Früh-

ling bald alles noch reichlicher beleben würde. Nur eines

25 habe ich zu erinnern, setzte er hinzu: die Hütte scheintmir etwas zu eng.

Für uns beyde doch geräumig genug, versetzte Char-lotte.

Nun freylich, sagte Eduard, für einen Dritten ist auch30 wohl noch Platz.

Warum nicht? versetzte Charlotte, und 171 auch für ein

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I. TEIL, I. KAPITEL 9

Viertes. Für größere Gesellschaft wollen wir schon andereStellen bereiten.

Da wir denn ungestört hier allein sind, sagte Eduard,und ganz ruhigen heiteren Sinnes; so muß ich dir geste-hen, daß ich schon einige Zeit etwas auf dem Herzenhabe, was ich dir vertrauen muß und möchte, und nichtdazu kommen kann.

Ich habe dir so etwas angemerkt, versetzte Charlotte.Und ich will nur gestehen, fuhr Eduard fort, wenn

mich der Postbote morgen früh nicht drängte, wenn wiruns nicht heut entschließen müßten, ich hätte vielleichtnoch länger geschwiegen.

Was ist es denn? fragte Charlotte freundlich entgegen-kommend.

15 181 Es betrifft unsern Freund, den Hauptmann, antwor-tete Eduard. Du kennst die traurige Lage, in die er, wie somancher andere, ohne sein Verschulden gesetzt ist. Wieschmerzlich muß es einem Manne von seinen Kenntnis-sen, seinen Talenten und Fertigkeiten seyn, sich außer

20 Thätigkeit zu sehen und - ich will nicht lange zurück-halten mit dem was ich für ihn wünsche: ich möchte daßwir ihn auf einige Zeit zu uiis nähmen.

Das ist wohl zu überlegen und von mehr als einer Seitezu betrachten, versetzte Charlotte.

25 Meine Ansichten bin ich bereit dir mitzutheilen, ent-gegnete ihr Eduard. In seinem letzten Briefe herrscht einstiller Ausdruck des tiefsten Mismuthes; nicht daß es ihman irgend einem Bedürfniß fehle: denn er weiß sichdurchaus zu beschränken und für das Nothwendige habe

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ich gesorgt; auch drückt es ihn nicht 191 etwas von miranzunehmen: denn wir sind unsre Lebzeit über einander

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I0 I. TEIL, I. KAPITEL

wechselseitig so viel schuldig geworden, daß wir nicht be-rechnen können, wie unser Credit und Debet sich gegeneinander verhalte — daß er geschäftlos ist, das ist eigent-lich seine Qual. Das Vielfache, was er an sich ausgebildethat, zu Andrer Nutzen täglich und stündlich zu ge-brauchen, ist ganz allein sein Vergnügen, ja seine Leiden-schaft. Und nun die Hände in den Schoos zu legen, odernoch weiter zu studiren, sich weitere Geschicklichkeit zuverschaffen, da er das nicht brauchen kann, was er invollem Maaße besitzt — genug, liebes Kind, es ist einepeinliche Lage, deren Qual er doppelt und dreyfach inseiner Einsamkeit empfindet.

Ich dachte doch, sagte Charlotte, ihm wären von ver-schiedenen Orten Anerbietungen geschehen. Ich hatte

15 selbst, um seinetwillen, an manche thätige Freunde undFreundinnen geschrieben, und soviel ich weiß, blieb dießauch nicht ohne Wirkung.

bol Ganz recht, versetzte Eduard; aber selbst diese ver-schiedenen Gelegenheiten, diese Anerbietungen machen

20 ihm neue Qual, neue Unruhe. Keines von den Verhält-nissen ist ihm gemäß. Er soll nicht wirken; er soll sichaufopfern, seine Zeit, seine Gesinnungen, seine Art zuseyn, und das ist ihm unmöglich. Jemehr ich das alles be-trachte, jemehr ich es fühle, desto lebhafter wird der

25 Wunsch ihn bey uns zu sehen.Es ist recht schön und liebenswürdig von dir, versetz-

te Charlotte, daß du des Freundes Zustand mit so vielTheilnahme bedenkst; allein erlaube mir dich aufzufor-dern, auch deiner, auch unser zu gedenken.

30 Das habe ich gethan, entgegnete ihr Eduard. Wir kön-nen von seiner Nähe uns nur Vortheil und Annehmlich-

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I. TEIL, I. KAPITEL II

keit versprechen. Von dem Aufwande will ich nicht reden,der auf alle Fälle gering für mich wird, wenn er 'HI zu unszieht; besonders wenn ich zugleich bedenke, daß uns seineGegenwart nicht die mindeste Unbequemlichkeit verur-sacht. Auf dem rechten Flügel des Schlosses kann erwohnen, und alles andre findet sich. Wie viel wird ihmdadurch geleistet, und wie manches Angenehme wird unsdurch seinen Umgang, ja wie mancher Vortheil! Ich hättelängst eine Ausmessung des Gutes und der Gegend

to gewünscht; er wird sie besorgen und leiten. Deine Absichtist, selbst die Güter künftig zu verwalten, sobald die Jahreder gegenwärtigen Pächter verflossen sind. Wie bedenk-lich ist ein solches Unternehmen! Zu wie manchen Vor-kenntnissen kann er uns nicht verhelfen! Ich fühle nur zu

15 sehr, daß mir ein Mann dieser Art abgeht. Die Landleutehaben die rechten Kenntnisse; ihre Mittheilungen abersind confus und nicht ehrlich. Die Studirten aus der Stadtund von den Akademieen sind wohl klar und ordentlich;aber es fehlt an der unmittelbaren Einsicht in die Sache.

20 Vom 1121 Freunde kann ich mir beydes versprechen; unddann entspringen noch hundert andre Verhältnisse daraus,die ich mir alle gern vorstellen mag, die auch auf dichBezug haben und wovon ich viel Gutes voraussehe. Nundanke ich dir, daß du mich freundlich angehört hast; itzt

25 sprich aber auch recht frey und umständlich und sage miralles was du zu sagen hast, ich will dich nicht unterbrechen.

Recht gut, versetzte Charlotte: so will ich gleich miteiner allgemeinen Bemerkung anfangen. Die Männerdenken mehr auf das Einzelne, auf das Gegenwärtige, und

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das mit Recht, weil sie zu thun, zu wirken berufen sind;die Weiber hingegen mehr auf das was im Leben zusam-

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12 I. TEIL, I. KAPITEL

nlenhängt, und das mit gleichem Rechte, weil ihr Schick-sal, das Schicksal ihrer Familien, an diesen Zusammenhanggeknüpft ist, und auch gerade dieses Zusammenhängendevon ihnen gefordert wird. Laß uns deswegen einen Blickauf unser gek31genwärtiges, auf unser vergangenes Lebenwerfen, und du wirst mir eingestehen, daß die Berufungdes Hauptmanns nicht so ganz mit unsern Vorsätzen,unsern Planen, unsern Einrichtungen zusammentrifft.

Mag ich doch so gern unserer frühsten Verhältnissegedenken! Wir liebten einander als junge Leute rechtherzlich; wir wurden getrennt: du von mir, weil dein Vater,aus nie zu sättigender Begierde des Besitzes, dich mit einerziemlich älteren reichen Frau verband; ich von dir, weilich, ohne sonderliche Aussichten, einem wohlhabenden,

15 nicht geliebten aber geehrten Manne meine Hand reichenmußte. Wir wurden wieder frey; du früher, indem dichdein Mütterchen im Besitz eines großen Vermögens ließ;ich später, eben zu der Zeit, da du von Reisen zurückkamst.So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns der Erinnerung,

20 wir liebten die Erinnerung, wir konnten ungestört zusam-men leben. Du 1141 drangst auf eine Verbindung; ich willig-te nicht gleich: denn da wir ohngefähr von denselbenJahren sind, so bin ich als Frau wohl älter geworden, dunicht als Mann. Zuletzt wollte ich dir nicht versagen, was

25 du für dein einziges Glück zu halten schienst. Du wolltestvon allen Unruhen, die du bey Hof, im Militär, auf Reisenerlebt hattest, dich an meiner Seite erhohlen, zur Besin-nung kommen, des Lebens genießen; aber auch nur mitmir allein. Meine einzige Tochter that ich in Pension, wo

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sie sich freylich mannigfaltiger ausbildet, als bey einemländlichen Aufenthalte geschehen könnte; und nicht sie

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I. TEIL, I. KAPITEL 13

allein, auch Ottilien, meine liebe Nichte, that ich dorthin,die vielleicht zur häuslichen Gehülfinn unter meinerAnleitung am besten herangewachsen wäre. Das allesgeschah mit deiner Einstimmung, bloß damit wir unsselbst leben, bloß damit wir das früh so sehnlich gewünsch-te, endlich spät erlangte Glück ungestört genießen möch-ten. So haben wir unsern ländlichen Aufenthalt 1151 an-getreten. Ich übernahm das Innere, du das Aeußere undwas ins Ganze geht. Meine Einrichtung ist gemacht, dir in

lo allem entgegen zu kommen, iiur für dich allein zu leben;laß uns wenigstens eine Zeit lang versuchen, in wie fernwir auf diese Weise mit einander ausreichen.

Da das Zusammenhängende, wie du sagst, eigentlicheuer Element ist, versetzte Eduard; so muß man euch

15 freylich nicht in einer Folge reden hören, oder sich ent-schließen euch Recht zu geben, und du sollst auch Rechthaben bis auf den heutigen Tag. Die Anlage, die wir bisjetzt zu unserm Daseyn gemacht haben, ist von guter Art;sollen wir aber nichts weiter darauf bauen, und soll sich

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nichts weiter daraus entwickeln? Was ich im Garten leiste,du im Park, soll das nur für Einsiedler gethan seyn?

Recht gut! versetzte Charlotte, recht wohl! 1 161 Nur daßwir nichts hinderndes, fremdes herein bringen. Bedenke,daß unsre Vorsätze, auch was die Unterhaltung betrifft,

25 sich gewissermaßen nur auf unser beyderseitiges Zusam-menseyn bezogen. Du wolltest zuerst die Tagebücherdeiner Reise mir in ordentlicher Folge mittheilen, beydieser Gelegenheit so manches dahin gehörige von Papie-ren in Ordnung bringen, und unter meiner Theilnahme,

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mit meiner Beyhülfe, aus diesen unschätzbaren aberverworrenen Heften und Blättern ein für uns und andre

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14 I. TEIL, 1. KAPITEL

erfreuliches Ganze zusammenstellen. Ich versprach dir ander Abschrift zu helfen, und wir dachten es uns sobequem, so artig, so gemüthlich und heimlich, die Welt,

die wir zusammen nicht sehen sollten, in der Erinnerung5 zu durchreisen. Ja der Anfang ist schon gemacht. Dann

hast du die Abende deine Flöte wieder vorgenommen,begleitest mich am Clavier; und an Besuchen aus derNachbarschaft und in die Nachbarschaft fehlt es uns nicht.Ich wenigstens halu1be mir aus allem diesem den ersten

u^ wahrhaft fröhlichen Sommer zusammengebaut, den ichin meinem Leben zu genießen dachte.

Wenn mir nur nicht, versetzte Eduard indem er sichdie Stirne rieb, bey alle dem, was du mir so liebevoll undverständig wiederhohlst, immer der Gedanke beyginge,

15 durch die Gegenwart des Hauptmanns würde nichtsgestört, ja vielmehr alles beschleunigt und neu belebt.Auch er hat einen Theil meiner Wanderungen mitge-macht; auch er hat manches, und in verschiedenem Sinne,sich angemerkt: wir benutzten das zusaminen, und als-

20 dann würde es erst ein hübsches Ganze werden.So laß mich denn dir aufrichtig gestehen, entgegnete

Charlotte mit einiger Ungeduld, daß diesem Vorhabenmein Gefühl widerspricht, daß eine Ahndung mir nichtsGutes weissagt.

25 1181 Auf diese Weise wäret Ihr Frauen wohl unüber-windlich, versetzte Eduard: erst verständig, daß man nichtwidersprechen kann, liebevoll, daß man sich gern hin-giebt, gefühlvoll, daß man Euch nicht weh thun mag,ahndungsvoll, daß man erschrickt.

30 Ich bin nicht abergläubisch, versetzte Charlotte, undgebe nichts auf diese dunklen Anregungen, insofern sie

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I. TEIL, I. KAPITEL I5

nur solche wären; aber es sind meistentheils unbewußteErinnerungen glücklicher und unglücklicher Folgen, diewir an eigenen oder fremden Handlungen erlebt haben.Nichts ist bedeutender in jedem Zustande, als die Dazwi-schcnkunft eilfies Dritten. Ich habe Freunde gesehen, Ge-schwister, Liebende, Gatten, deren Verhältniß durch denzufälligen oder gewählten Hinzutritt einer neuen Personganz und gar verändert, deren Lage völlig umgekehrtworden.

Das kann wohl geschehen, versetzte Eduli9lard, beyMenschen, die nur dunkel vor sich hin leben, nicht beysolchen, die schon durch Erfahrung aufgeklärt sich mehrbewußt sind.

Das Bewußtseyn, mein Liebster, entgegnete Charlot-15 te, ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefähr-

liche, für den der sie führt; und aus diesem allen trittwenigstens so viel hervor, daß wir uns ja nicht übereilensollen. Gönne mir noch einige Tage, entscheide nicht!

Wie die Sache steht, erwiederte Eduard, werden wir20 uns, auch nach mehreren Tagen, immer übereilen. Die

Gründe für und dagegen haben wir wechselsweise vorge-bracht; es kommt auf den Entschluß an, und da wär' eswirklich das beste, wir gäben ihn dem Loos anheim.

Ich weiß, versetzte Charlotte, daß du in zweifelhaften25 Fällen gerne wettest oder würi2olfelst; bey einer so ernst-

haften Sache hingegen würde ich dieß für einen Frevelhalten.

Was soll ich aber dem Hauptmann schreiben? riefEduard aus: denn ich muß mich gleich hinsetzen.

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Einen ruhigen, vernünftigen, tröstlichen Brief, sagteCharlotte.

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I. TEIL, I. KAPITEL

Daß heißt soviel wie keinen, versetzte Eduard.Und doch ist es in manchen Fällen, versetzte Charlot-

te, nothwendig und freundlich lieber Nichts zu schreibenals nicht zu schreiben.

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ZWEYTES KAPITEL.

Eduard fand sich allein auf seinem Zimmer, und wirklichhatte die Wiederhohlung seiner Lebensschicksale aus demMunde Charlottens, die Vergegenwärtigung ihres beyder-

^^^ seitigen Zustandes, ihrer Vorsätze, sein lebhaftes Gemüthangenehm aufgeregt. Er hatte sich in ihrer Nähe, in ihrerGesellschaft so glücklich gefühlt, daß er sich einen freund-lichen, theilnehmenden, aber ruhigen und auf nichtshindeutenden Brief an den Hauptmann ausdachte. Als eraber zum Schreibtisch ging und den Brief des Freundesaufnahm, um ihn nochmals durchzulesen, trat ihm so-gleich wieder der traurige Zustand des trefflichen Mannesentgegen; alle Empfindungen, die ihn 1221 diese Tagegepeinigt hatten, wachten wieder auf, und es schien ihm

211 Unmöglich, seinen Freund edler so ängstlichen Lage zuüberlassen.

Sich etwas zu versagen, war Eduard nicht gewohnt.Von Jugend auf das einzige, verzogene Kind reicherAeltern, die ihn zu einer seltsamen aber höchst vortheil-haften Heirat mit einer viel ältern Frau zu beredenwußten, von dieser auch auf alle Weise verzärtelt, indemsie sein gutes Betragen gegen sie durch die größte Freyge-bigkeit zu erwiedern suchte, nach ihrem baldigen Todesein eigener Herr, auf Reisen unabhängig, jeder Abwech-

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selung jeder Veränderung mächtig, nichts Uebertriebeneswollend, aber viel und vielerley wollend, freymüthig,

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I. TEIL, 2. KAPI'T'EL

wohlthätig, brav, ja tapfer im Fall — was konnte in der Weltseinen Wünschen entgegenstehen!

Bisher war alles nach seinem Sinne gegangen, auchzum Besitz Charlottens war er 1231 gelangt, den er sich

5 durch eine hartnäckige, ja romanenhafte Treue dochzuletzt erworben hatte; und nun fühlte er sich zum ersten-mal widersprochen, zum erstenmal gehindert, eben da erseinen Jugendfreund an sich heranziehen, da er seinganzes I)aseyn gleichsam abschließen wollte. Er war ver-drießlich, ungeduldig, nahm einigemal die Feder undlegte sie nieder, weil er nicht einig mit sich werden konn-te, was er schreiben sollte. Gegen die Wünsche seinerFrau wollte er nicht, nach ihrem Verlangen konnte ernicht; unruhig wie er war sollte er einen ruhigen Brief

15 schreiben, es wäre ihiri ganz unmöglich gewesen. Dasnatürlichste war, daß er Aufschub suchte. Mit wenigWorten bat er seinen Freund um Verzeihung, daß er dieseTage nicht geschrieben, daß er heut nicht umständlichschreibe, und versprach für nächstens ein bedeutenderes,

20 ein beruhigendes Blatt.Charlotte benutzte des andern Tags auf einem Spazier-

gang nach derselben Stelle die 1241 Gelegenheit dasGespräch wieder anzuknüpfen, vielleicht in der Ueber-zeugung, daß man einen Vorsatz nicht sichrer abstump-

25 feie kann, als wenn man il us öfters durchspricht.Eduarden war diese Wiederhohlung erwünscht. Er

äußerte sich nach seiner Weise freundlich und angenehm:denn wenn er, empfänglich wie er war, leicht aufloderte,wenn sein lebhaftes Begehren zudringlich ward, wenn

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seine Hartnäckigkeit ungeduldig machen konnte; sowaren doch alle seihe Aeußerungen durch eine vollkom-

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I. TEIL, 2. KAPITEL 19

mene Schonung des andern dergestalt gemildert, daß manihn immer noch liebenswürdig finden mußte, wenn manihn auch beschwerlich fand.

Auf eine solche Weise brachte er Charlotten diesen5 Morgen erst in die heiterste Laune, dann durch anmuthi-

ge Gesprächswendungen ganz aus der Fassung, so daß siezuletzt ausrief: Du willst gewiß, daß ich das was 1251 ichdem Ehmann versagte, dem Liebhaber zugestehen so11.

Wenigstens, mein Lieber, fuhr sie fort, sollst du gewahrwerden, daß deine Wünsche, die freundliche Lebhaftig-keit womit du sie ausdrückst, mich nicht ungerührt, michnicht unbewegt lassen. Sie nöthigen mich zu einemGeständniß. Ich habe dir bisher auch etwas verborgen. Ichbefinde mich in einer ähnlichen Lage wie du, und habe

15 mir schon eben die Gewalt angethan, die ich dir nun überdich selbst zutnuthe.

Das hör' ich gern, sagte Eduard; ich merke wohl, imEhstande muß man sich manchmal streiten, denn dadurcherfährt man was von einander.

20 Nun sollst du also erfahren, sagte Charlotte, daß es mirmit Ottilien geht, wie dir mit dem Hauptmann. Höchstungern weiß ich 1261 das liebe Kind in der Pension, wo siesich in sehr drückenden Verhältnissen befindet. WennLuciane, meine Tochter, die für die Welt geboren ist, sich

25 dort für die Welt bildet, wenn sie Sprachen, Geschichtli-ches und was sonst von Kenntnissen ihr mitgetheilt wird,so wie ihre Noten und Variationen vom Blatte wegspielt;wenn bey einer lebhaften Natur und bey einem glückli-chen Gedächtniß sie, man möchte wohl sagen, alles vergißt

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und im Augenblicke sich an alles erinnert; wenn sie durchFreyheit des Betragens, Anmuth im Tanze, schickliche

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20 I. TEIL, 2. KAPITEL

Bequemlichkeit des Gesprächs sich vor allen auszeichnet,und durch ein angebornes herrschendes Wesen sich zurKöniginn des kleinen Kreises macht; wenn die Vorstehe-rinn dieser Anstalt sie als eine kleine Gottheit ansieht, dienun erst unter ihren Händen recht gedeiht, die ihr Ehremachen, Zutrauen erwerben und einen Zufluß von andernjungen Personen verschaffen wird; wenn die ersten Seitenihrer Briefe und Monatsberichte im1271tner nur Hymnensind über die Vortrefflichkeit eines solchen Kindes, die ichdenn recht gut in meine Prose zu übersetzen weiß: so istdagegen, was sie schließlich von Ottilien erwähnt, nurimmer Entschuldigung auf Entschuldigung, daß ein übri-gens so schön heranwachsendes Mädchen sich nicht ein-wickeln, keine Fähigkeiten und keine Fertigkeiten zeigen

15 wolle. 1)as wenige was sie sonst noch hinzufügt ist gleich-falls für mich kein Räthsel, weil ich in diesem lieben Kindeden ganzen Character ihrer Mutter, meiner werthestenFreundinn, gewahr werde, die sich neben mir entwickelthat und deren Tochter ich gewiß, wenn ich Erzieherinn

20 oder Aufseherinn seyn könnte, zu einem herrlichenGeschöpf heraufbilden wollte.

Da es aber einmal nicht in unsern Plan geht, und manan seinen Lebensverhältnissen nicht so viel zupfen undzerren, nicht immer was neues an sie heranziehen soll; so

25 trag ich das lieber, ja ich überwinde die unangenehme 1281Empfindung, wenn meine Tochter, welche recht gut weiß,daß die arme Ottilie ganz von uns abhängt, sich ihrerVortheile übermüthig gegen sie bedient, und unsre Wohl-that dadurch gewissermaßen vernichtet.

30 Doch wer ist so gebildet, daß er nicht seine Vorzügegegen andre manchmal auf eine grausame Weise geltend