LAGERGEMEINSCHAFT AUSCHWITZ - FREUNDESKREIS DER …

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Mitteilungsblatt, Dezember 2007 27. Jahrgang, Heft 2 LAGERGEMEINSCHAFT AUSCHWITZ - FREUNDESKREIS DER AUSCHWITZER

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Mitteilungsblatt, Dezember 200727. Jahrgang, Heft 2

LAGERGEMEINSCHAFT AUSCHWITZ -FREUNDESKREIS DER AUSCHWITZER

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Herausgegeben von Sascha Feuchert,Erwin Leibfried, Jörg Riecke. In Koope-ration mit Julian Baranowski, JoannaPodolska, Krystyna Radziszewska, JacekWalicki. Unter Mitarbeit von Imke Jans-sen-Mignon, Andrea Löw, Joanna Ratu-sinska, Elisabeth Turvold und Ewa Wiatr

Schriftenreihe zur Lodzer Getto-Chronik (Hg. von der Arbeitsstelle Ho-locaustliteratur an der UniversitätGießen und dem Staatsarchiv Lodz)

3052 Seiten,168 Abbildungen,5 Bän-de im Schuber, Format: 15,5 x 23 cm;ISBN: 3-89244-834-5, Wallstein, Göttin-gen, 2007; 128 Euro

Die Lagergemeinschaft Auschwitz- Freundeskreis bezuschusste die Fi-nanzierung der Edition mit 3000 Euro.

Zwischen 1940 und 1944 pferchtendie Nationalsozialisten im besetztenLodz (später umbenannt in Litzmann-stadt) nahezu 200.000 Juden auf etwasmehr als vier Quadratkilometern zu-sammen. Die Getto-Chronik, ein rund2000-seitiger Text - wurde seit 1941 aufPolnisch und Deutsch von der Verwal-tung des „Judenältesten von Litz-mannstadt-Getto“ erstellt. Wie eineZeitung, die sich einer internen Zensurunterwerfen musste, verzeichnet dieChronik akribisch die Ereignisse imGetto, gibt Einblicke in die kursieren-den Gerüchte und widmet selbst dem„Getto-Humor“ eine eigene Rubrik.Mehr als 15 Mitarbeiter - überwiegendJournalisten und Schriftsteller - schrie-ben täglich an der Chronik.

Die Edition bietet erstmals einevollständige wissenschaftliche Ausgabe.Entstanden ist ein einmaliges und er-greifendes Dokument, das nicht nurZeugnis ablegt vom schreibenden Wi-derstand der beteiligten Autoren, son-dern auch deren Wunsch zu erfüllensucht,einen Beitrag zur Erforschung ih-rer Lebens- und Leidensbedingungenzu leisten

Kurz vor seinem Tod hat WalterKempowski die Edition zur Kenntnisgenommen: „Die Herausgabe ist eingroßes Ereignis. Das schreckliche Ge-schehen im Osten bekommt immer neueFacetten. Und daß sich ein Verlag andiese große Aufgabe heranwagt, ist eingutes Zeichen.Wir dürfen nicht nachlas-sen in der Erforschung der deutschenSchuld. Vor Jahren hatte ich einen Teilder Chronik in der Hand. Ich wünschedem Werk große Verbreitung.“

Neue Facetten eines schrecklichen GeschehensLagergemeinschaft - Freundeskreis unterstützt die

Edition eines der erschütterndsten Dokumente der NS-Herrschaft

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 1

Inhaltsverzeichnis Seite

Neue Wege 2„Ich lebe durch Zufall“ 5Felix Kolmer gelang viermal die Flucht aus Konzentrationslagern

Jeder Häftling hat seine eigene Geschichte 8Auschwitz-Überlebende begleiten Reisegruppe

Prof. Pierzchalas Projekt „Sonderaktion Krakau“ 14Begegnung mit Halina Birenbaum 15Tränen 16Die Hoffnung stirbt zuletzt 17Wir lassen uns von den Nazis nicht provozieren 20Bericht über eine Fahrt nach Auschwitz mit Kommunalpolitikern

Vom Suchdienst zum Forschungsarchiv 29Das Archiv des Internationalen Suchdienstes des DRK inBad Arolsen wird bald für die Forschung geöffnet

Keine Entschädigung für SS-Opfer in Distomo 31Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde zurück

Die Zeit steht für immer still auf der Uhr von Kalavrita 32Griechisches Bergdorf war Schauplatz eines Kriegsmassakers

Bundesverdienstkreuz für Tadeusz SobolewiczWir freuen uns sehr: Unser Freund Tadeusz Sobolewicz bekam von der Bundes-republik Deutschland das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Die Aus-zeichung wurde ihm am 27. November in Krakau von Generalkonsul Dr.ThomasGläser in einer kleinen Feierstunde überreicht. Tadeusz Sobolewicz hat auch indiesem Jahr - wie in vielen anderen zuvor - eine Gruppe der LagergemeinschaftAuschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer begleitet und wesentlich dazu beige-tragen, dass den Teilnehmern die Menschheitsverbrechen der Deutschen in demehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager nicht nur theoretisch undsymbolisch bedeutsam bleiben, sondern durch ihn und andere Überlebende mitkonkreten menschlichen Gesichtern und Schicksalen verbunden sind. (Siehe Be-richt auf Seite 8 ff.) Wir bewundern den Mut, mit dem sich Tadeusz immer wiederder grausamen Vergangenheit stellt. Wir gratulieren sehr herzlich zu der Aus-zeichnung - sie war längst überfällig - und wünschen ihm und uns,dass er noch häu-fig dieser Selbstverpflichtung den Ermordeten gegenüber nachkommen kann.

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Unsere Satzung und die Geschäfts-ordnung des Vorstands geben einekonventionelle Vereinsstruktur wie-der: Der Vorsitzende repräsentiert undorganisiert den Verein; der stellvertre-tende Vorsitzende, dessen Aufgaben-gebiet ansonsten unbestimmt bleibt,vertritt den Vorsitzenden, während derKassierer traditionell verwaltend alsKassenführer gesehen wird. DieseDrei bilden den „engeren Vorstand“,dem derzeit drei Beisitzer und der Re-dakteur des Mitteilungsblatts beige-ordnet sind. Nicht bewährt hat sich ei-ne zeitweilige Beauftragung mit der„Wahrnehmung von Aufgaben“, diezwar nach der Geschäftsordnung desVorstands möglich ist, aber zu unver-bindlich blieb.

Der „engere“ Vorstand soll so-wohl administrativ „zuständig undverantwortlich für die laufende Ge-schäftsführung“ als auch, „entspre-chend den Beschlüssen des Vorstan-des“, konzeptionell gestaltend tätigsein - eine heutzutage unrealistischeAufgabenstellung und Überforde-rung eines ehrenamtlich besetztenVorstands, dessen Mitglieder über-wiegend berufstätig sind. Vergleich-bare Vereine gehen dieses Problemmit einem teilzeitbeschäftigten oderhauptberuflichen Geschäftsführer an,dem der ehrenamtliche Vorstand und

oft auch ein sachverständiger Beiratdie Umsetzung der beschlossenenZielvorstellungen übertragen. DieseLösung ist für uns aus Kostengründennicht realisierbar.

Ein breites Spektrum lebendiger Erinnerungskultur

An vielen Orten im deutschspra-chigen Raum und vor allem auch in-ternational arbeiten Menschen überdas Thema „Auschwitz“ - ob als Hi-storiker ausgebildet oder in anderenFachrichtungen, ob als engagierteEinzelpersonen oder als Mitarbeiterin Projekten an Hochschulen, Akade-mien, in Vereinen, Schulen, Gedenk-stätten, allen voran im StaatlichenMuseum Auschwitz-Birkenau. Durchsie entstehen Zeitzeugeninterviews,Publikationen, Ausstellungen, Vor-träge, Veranstaltungen, Zeitschriften-beiträge.

Ein Schatz an dokumentiertem Wissen

In vier Bereichen könnten wir un-sere Arbeit intensivieren, indem wirdie Verbindungen dorthin ausbauen,wo die Erinnerung an Auschwitz le-bendig ist und gepflegt wird: ErstensFahrten nach Auschwitz, Gespräche

Neue WegeZu neuen Ufern wird die Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der

Auschwitzer e.V. aufbrechen. Mit diesem Versprechen wenden wir uns an unse-re Mitglieder und Freunde. Zu neuen Ufern kommt man allerdings schwerlichauf ausgetretenen Pfaden. Deswegen will der am 22. September 2007 wiederge-wählte LGA-Vorstand seine Strukturen und die Kommunikation untereinan-der und in die Öffentlichkeit hinein neu bestimmen.

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mit ehemaligen Häftlingen, Kontaktezum Museum, zur Internationalen Ju-gendbegegnungsstätte, zur Stadt Os-wiecim. Zweitens Lehrerfortbildung,Entwicklung von Angeboten, die aufdie Situation in der jeweiligen Schuleabgestimmt sind, Begegnungen mitpolnischen Schülern in Oswiecim.Drittens Entschädigung, Renten, Pfle-geversicherung.Und viertens Publika-tionen,Ausstellungen,Gedenkstätten.

Zu jedem Bereich sind Personenangesprochen worden, die sich seitlängerem mit diesen Fragen sachkun-dig beschäftigen und zur Mitarbeit aneinzelnen Projekten bereit sind. Die-se könnten mit ihrem Fachwissen imVorstand aktiv werden und den Er-fahrungsaustausch mit den andern-orts tätigen Initiativen organisieren.Der Vorstand wäre demnach dasScharnier zwischen den ehemaligen

Häftlingen, für die wir tätig sind, undeben diesen vernetzten Ergebnissen -oder auch Zwischenergebnissen - un-terschiedlicher Projektarbeit. DerVorstand hätte also wesentlich einevermittelnde Funktion.

Außerordentliche Mitgliederversammlung

Um dies langfristig zu gewährlei-sten, ist allerdings eine Änderung derSatzung erforderlich. Anstelle derseitherigen Bestimmung, wonach der„erweiterte“ Vorstand sich zusam-mensetzt aus dem „engeren Vor-stand“ sowie den - zahlenmäßig limi-tierten - Beisitzern (pro angefange-nen einhundert Mitgliedern ein Bei-sitzer) und dem Redakteur des Mit-teilungsblatts, sollte sich künftig derVorstand aus dem engeren Vorstand

Tadeusz Sobolewicz,Auschwitz-Häftling Nr. 23053, mit dem LGA-Vorsitzenden AlbrechtWerner-Cordt bei einem Rundgang im Stammlager. Fotos: Paul Petzold

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und weiteren Vorstandsmitgliedern,die projektbezogen gemäß den Be-schlüssen arbeiten, zusammensetzen.Somit wären längst überholte Funkti-onsbezeichnungen wie „Beisitzer“,„Beauftragter“, Redakteur aufgeho-ben, und es wäre auch in der Außen-wirkung deutlich gemacht, dass essich bei diesen gleichfalls um Mitglie-der des Vorstands handelt.

Dies alles ist weniger dem Wunschnach einem zeitgemäßen „Organisati-onsdesign“ entsprungen; es ist viel-mehr die Antwort auf den Wunschehemaliger Auschwitzhäftlinge, dieLGA möge energischer und effekti-ver in der Öffentlichkeit auftreten.

Der Vorstand wird mit dem An-trag auf Satzungsänderung, die eineErweiterung des Vorstands möglichmacht, zu einer Mitgliederversamm-lung am 23. Februar 2008 einladen.

Eine gute Botschaft

An dieser Stelle stehen traditions-gemäß zum Jahresende gute Wün-sche. Nicht zuletzt auch folgt die Bitteum Spenden. Das soll auch diesmal sosein.

Vertragen sich jedoch Darlegun-gen zu Arbeitsvorhaben und Organi-sationsstruktur mit Besinnlichkeitund froher Botschaft? Aber ja! Dennim Sinne der ehemaligen Häftlingeund ihrer Angehörigen, die auf Aner-kennung ihrer Forderungen immernoch und viel zu lange warten, ist eseine gute Botschaft und ein durchausin die Weihnachtszeit und zum Jah-reswechsel passendes Versprechen:Euer Vermächtnis ist in der Lagerge-meinschaft Auschwitz - Freundeskreisder Auschwitzer in guten Händen.

Albrecht Werner-Cordt

Tadeusz Sobolewicz (Mitte) mit den Vorstandsmitgliedern Albrecht Werner-Cordt (links)und Gerhard Herr nach der Kranzniederlegung vor der Todeswand im Hof von Block 11.

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Auf Einladung der Lagergemein-schaft Auschwitz - Freundeskreisesder Auschwitzer (LGA) war der heute85-jährige Tscheche mit seiner Ehe-frau für einige Tage nach Hessen ge-kommen. Er hatte an mehreren Schu-len Jugendlichen von seinem Schick-sal als ehemaliger Häftling in denKonzentrationslagern Theresienstadt,Auschwitz und Friedland, einemschlesischen Nebenlager von Groß-Rosen, berichtet. Am 9. November,dem Jahrestag der Pogrome von 1938,war er im Museum der Stadt Butz-bach Gastredner bei einer von derLGA und dem Magistrat organisier-ten Gedenkfeier.

Nach dem Krieg studierte FelixKolmer in Prag Physik und wurde Pro-fessor für Kinematographie, Fernse-hen und Rundfunk. Er ist Mitglied inverschiedenen internationalen Wis-senschaftsorganisationen. Er gehörteder tschechischen Regierungsdelega-tion bei den Verhandlungen über dieEntschädigung von Sklaven- undZwangsarbeitern an, ist Vizepräsidentdes Internationalen Auschwitz-Komi-tees und Mitglied des tschechisch-deutschen Rates für Zusammenarbeit.„Die Beziehungen der Tschechen undDeutschen im Zweiten Weltkrieg“ lau-tete das Thema von Felix Kolmer imButzbacher Stadtmuseum. Hierbeinahm seine persönliche Verfolgung

und Inhaftierung einen großen Raumein.

Vom „guten Zusammenleben“ bis zur Okkupation

Felix Kolmer wurde 1922 in Pragals Sohn einer tschechisch-jüdischenFamilie geboren. Tschechische, jüdi-sche und deutsche Kultur existiertenzunächst in einem „guten Zusammen-leben“. Vor allem in Böhmen undMähren war die deutsche Minderheitmit 25 Prozent besonders groß. Sielebte in einer weitgehenden politi-schen Autonomie, es gab deutscheSchulen, deutsche Bürgermeister unddeutsche Offiziere in der Armee.Jedoch begrüßten 80 Prozent vonihnen den „Anschluss“ dieser Gebieteans Deutsche Reich, und 90 Prozenthatten bei den letzten freien Wahlenden tschechischen Ableger der deut-schen Nazi-Partei gewählt.

1939 besetzte die Wehrmacht dieganze tschechoslowakische Republik.Umsiedlungen wurden erzwungen,und Zwangsarbeiter nach Deutsch-land deportiert. 450.000 Tschechenwurden verhaftet, davon kamen395.000 ums Leben. Die Lebensmittelwurden rationiert: Während denDeutschen 4.000 Kalorien zugeteiltwurden, erhielten die Tschechen nur2.600, „Häftlinge in Theresienstadt

„Ich lebe durch Zufall“Felix Kolmer gelang viermal die Flucht aus einem Konzentrationslager

„Ich lebe durch Zufall“, sagt Felix Kolmer. „Dass ich überlebt habe, liegt daran,dass ich erstens Glück hatte und zweitens Glück und ... auch zehntens Glück.Alselftes war vielleicht, dass ich den festen Willen hatte zu überleben. Ich dachte im-mer, als Pfadfinder musst du stärker sein.“

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bekamen nur 1.000 Kalorien undAuschwitz-Häftlinge nur 300“, erläu-terte Felix Kolmer weiter. „Diedurchschnittliche Überlebensdauer inAuschwitz betrug sechs Wochen.“

Für Juden galten die NürnbergerGesetze. Kolmer wurde verhaftet undkam am 24. November 1941 mit demersten Transport ins KZ Theresien-stadt. „Es gab 120.000 jüdische Tsche-chen, davon konnten nur 30.000 flie-hen. Von 90.000 Verhafteten über-lebten nur 8.000“, bilanzierte er als ei-ner von ihnen.

Von Theresienstadt über Auschwitzin das „milde“ Friedland

In Theresienstadt floh Felix Kolmerzweimal,weil er als Mitglied der Wider-standsbewegung einen unterirdischenGang nach außerhalb des Lagers aus-

findig gemacht hatte. Er kehrte jedochimmer wieder umgehend zurück, weiler kein Versteck fand und weil er fest-stellen musste, dass es sehr viele Wehr-machtssoldaten und SS-Leute in derGegend gab. Außerdem wollte er denFluchtweg geheim halten, damit er imErnstfall auch für eine größere Zahlvon Häftlingen genutzt werden konnte.Hierzu kam es jedoch nie.

1944 wird Kolmer nach Auschwitzdeportiert.Von 1.500 Menschen seinesTransports werden 1.250 unmittelbarnach der Ankunft in den Gaskammernmit Zyklon B erstickt. Felix Kolmerhat erneut Glück und überlebt die Se-lektion. In den Arbeitskommandosmuss er fast täglich miterleben, wieschwache Häftlinge von SS-Männernoder von Kapos ermordet werden:„Sie mussten sich hinknien und be-kamen mit einer Eisenstange odereinem Knüppel das Genick gebrochenoder den Schädel eingeschlagen.“ InAuschwitz war es oft auch in der Nacht„hell von den Feuern in den Kremato-rien und den Scheiterhaufen“, auf de-nen die Leichen aus den Gaskammernverbrannt wurden.

Als Felix Kolmer mit dem Zug zuden Schwefelmühlen transportiertwerden soll, wagt er zum dritten Maldie Flucht. Er weiß, dass von den dort-hin hingeschickten Häftlingen noch nieeiner zurückkehrte. In der Nacht ge-lingt es ihm, aus dem Waggon zu ent-kommen und an dem Nebengleis aufeinen anderen zu springen. So kommter ins schlesische KZ Friedland. „Dawar es viel milder als in Auschwitz“,zieht er den Vergleich.Es gab nur nochselten Selektionen. Allerdings warauch hier der Hunger groß. Der Kom-

Felix Kolmer beim Vortrag in Butzbach

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mandant erlaubte es, dass die Häftlin-ge die Überreste von ausgeschlachte-ten Wehrmachtspferden ausgrubenund die Gedärme aßen. „Kein Ge-wehrkolben hätte mich davon abhal-ten können“, berichtet er fast stoisch.

Die Erinnerung und ihre Bedeutungfür die Gegenwart

Obwohl „milder“ als Auschwitzwurden auch in Friedland viele Häft-linge ermordet. Felix Kolmer überleb-te, weil seine vierte Flucht gelang. Alsbereits der Kanonendonner der her-anrückenden russischen Armee zuhören war, fiel der Strom aus und dieLagerscheinwerfer blieben dunkel.Rund 200 Gefangene nutzten dies zurFlucht. Als sie einige Tage nach demendgültigen Ende des Krieges zurück-kamen, mussten sie feststellen, dassdie Deutschen die verbliebenen 400Häftlinge umgebracht hatten.

Auch wenn Felix Kolmer seine de-

taillierten Ausführungen über denkaum glaublichen Vernichtungswahnder Deutschen ruhig, unspektakulärund mit wenig sichtbaren Emotionenvortrug, so machte er doch für alle imSaal klar, dass dieses scheinbar Un-glaubliche wirklich Realität war. Sowurde die Wahrheit eines alten jüdi-schen Dogmas konkret: Sich der Erin-nerung zu stellen, ist wichtig für dasVerständnis der Gegenwart sowie dieBemühungen, verantwortungsvoll zuhandeln und Partei zu ergreifen.

Freundlich und zuvorkommendging der KZ-Überlebende bei deranschließenden Fragerunde auf dieFragesteller im Saal zu.Er wollte deut-lich verstehen, was sie von ihm wissenwollten - sie, die Nachfahren der Ge-neration, die ihn „ausmerzen“ wollte,weil er Jude ist, dem als „Untermen-schen“ das Recht zu leben abgespro-chen worden war.

Hans Hirschmann

Der Auschwitz-Überlebende im Gespräch mit Fragestellern aus dem Publikum

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Es war der wohl bewegendsteMoment für die Teilnehmer der dies-jährigen LGA-Studienfahrt nachAuschwitz. Halina Birenbaum sitztauf „ihrer“ einstigen Pritsche imBlock 27 von Birkenau und signiertExemplare ihres Buches „Die Hoff-nung stirbt zuletzt“. Es kommt zuspontanen Umarmungen, viele Trä-nen fließen. Doch die Auschwitz-Überlebende betont, dass dieser Mo-ment für sie eine Genugtuung sei,

denn letztlich habe sie über ihre Pei-niger triumphiert.

Die „Annäherung an die Orte desTerrors und der Vernichtung“ - so dasMotto der Fahrt - erfolgte auf denSpuren ehemaliger Häftlinge. Am er-sten Tag traf sich die Gruppe - Päda-gogen, Therapeuten, Mediziner - mitJozef Stos, einem Gefangenen des er-sten Transports vom 14. Juni 1940.Damals wurden insgesamt 728 Polennach Auschwitz gebracht, nur 239

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„Jeder Häftling hat seine eigene Geschichte“Auschwitz-Überlebende führen Reisegruppe der LGA durchs Lager -

Eindrucksvolle Momente an den Orten des Grauens

Jozef Stos kam mit dem ersten Transport am 14. Juni 1940 nach Auschwitz und war dortnur noch die Nummer 752. (Alle Fotos zu diesem Artikel von Paul Petzold)

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war, wiederholte diese Liedzeilensichtlich gequält. „Jeder Häftling hatseine eigene Geschichte“, fasste er sei-ne Erinnerungen zusammen.

Dies verdeutlichte auch TadeuszSobolewicz, der schon oft Gruppen derLagergemeinschaft Auschwitz durchsStammlager geführt hat. Der einstigepolnische Widerstandskämpfer mit derHäftlingsnummer 23053 war mit dabei,als der LGA-Vorstand an der Todes-mauer beim Block 11 einen Kranz nie-derlegte - ein weiterer bewegenderMoment der Reise. Sobolewicz schil-derte vor dem Krankenbau im Block10, wie er damals seinem erkranktenVater heimlich Lebensmittel zukom-men ließ. Durch einen glücklichen Zu-fall hatte er es nämlich geschafft, alsKüchenjunge unterzukommen. Er

überlebten. Mit ihnen kamen 30 Ka-pos ins Lager - deutsche Kriminelle.

Jozef Stos wurde unter der willkür-lichen Anschuldigung interniert, pol-nischer Nationalist zu sein. Er erhieltdie Häftlingsnummer 752 und wurdemit Drill und Schikane zum Aufbaudes Lagers gezwungen. Auf demGelände des ehemaligen Tabakmono-pol-Gebäudes schilderte er der Grup-pe, wie die polnischen Gefangenenseinerzeit bei schwerster körperlicherArbeit auch noch „singen lernen“mussten. Den brutalen Kapos bereite-te es einen Heidenspaß, ihnen unterfortgesetzten Schlägen „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ oder „Oh,Du schöner Westerwald“ einzubläu-en. Stos, der damals keinen Namenmehr hatte, nur noch eine Nummer

In Birkenau vor Block 27: Halina Birenbaum (links) mit Annedore Smith (Mitte) und an-deren Teilnehmern der Studienfahrt.

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Block 6 ausgestellt sind. Im Block 7 er-läuterte sie anhand der Schautafelndie menschenunwürdigen Lebensbe-dingungen im Lager. Nächste Stationdes Rundgangs war Block 11 mit denTodeszellen - darunter die Stehzellen,die so eng waren, dass viele Häftlingedarin erstickten. Immer wieder zitierteKaczmarczyk aus historischen Quelleneinschließlich der Aufzeichnungen vonGefangenen. Es war eine äußerst ein-fühlsame Darstellung der damaligenEreignisse, die sich in ihrer Grausam-keit kaum in Worte fassen lassen.

In Birkenau schließlich war esHalina Birenbaum, die die Reiseteil-nehmer mit ihren lebhaften Schilde-rungen über alle Maßen beeindruck-te. Eineinhalb Stunden lang stand dieheute 78-jährige Jüdin mit der im lin-ken Unterarm eintätowierten Häft-lingsnummer 48693 in der Sonne vordem Block 27 und erzählte ohne Un-terbrechung ihre einstige Leidensge-

schichte. Sieüberlebte denAufstand imWarschauerGhetto 1943und kam dannim Mai ins La-ger Majdanek,wo ihre ge-liebte Mutterermordet wur-de. Letzerekonnte derdamals 13-Jährigen nochsagen, sichstets als 17-Jährige auszu-

konnte aber nicht verhindern, dass seinVater schließlich in die Gaskammernvon Birkenau geschickt wurde. DieVerzweiflung des Sohnes über diesesVerbrechen wurde auch nach rund 65Jahren noch so deutlich, als hätte sichdas ganze erst gestern zugetragen.

Neben den ehemaligen Häftlingenbegleitete auch die Museums-Mitar-beiterin Bozena Kaczmarczyk dieLGA-Gruppe durch Auschwitz. Sieschilderte die Hinrichtungen auf demAppellplatz im Stammlager, wo am19. Juli 1943 gleich zwölf Männer aufeinmal wegen Flucht und Fluchthilfegehenkt wurden. Einer von ihnen,Janusz Pogonowski, stieß den Sche-mel, auf dem er stand, selber um undzeigte auf diese Weise seinen Wider-stand gegen die SS-Schergen.

Bozena Kaczmarczyk führte dieTeilnehmer zu den erschütterndenOpferporträts, die in den Fluren vom

Tadeusz Sobolewicz ist ein eindringlicher Berichterstatter

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Im Block 11: Ausschnitt aus einer, von ei-nem Häftling erstellten Skizze

Einer von weit mehr als einer Million Op-fern, die in Auschwitz ermordet wurden

Im Kellergeschoss des Tabakmonopol-Gebäudes in Oswiecim waren die Häftlinge des 1.Transportes unter erbärmlichen Bedingungen untergebracht.Am historischen Ort, von woaus nach qualvoller „Quarantäne“ die Häftlinge in das wenige hundert Meter entfernt lie-gende „KL Auschwitz“ einzogen, erinnert eine Dauerausstellung an diesen „1.Transport“,die vom „Christlichen Verband der Auschwitzer Familien“ (ChSRO) organisiert wird.Die Teilnehmer der Studienfahrt verdanken Wojtek Parcer vom ChRSO eine sachkundi-ge Einführung in die Geschichte der „Stunde Null“ von Auschwitz.(Das Bild zeigt eine historische Aufnahme)

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geben, damit sie nichtsofort vergast würdewie die meisten Kinder.

Am 7. Juli 1943 kamBirenbaum zusammenmit ihrer SchwägerinHela nach Auschwitz. InMajdanek hatten diebeiden die Gaskammerüberlebt, weil gerade dieGaskonserven ausge-gangen waren. Bei einerSelektion vor demberüchtigten LagerarztJosef Mengele konnteHalina mit ihrem ver-zweifelten Flehen ver-hindern, dass Hela insGas geschickt wurde,doch starb die Schwäge-rin kurze Zeit später anTyphus. Halina über-wand ihre eigene Infek-tion, aber die Lebensbe-dingung im Lager zehr-ten so sehr an ihr, dasses ihr schon gar keineMühe mehr bereitete,sich als 17-Jährige aus-zugeben. „Du siehst wie40 aus“, konstatierte ein SS-Mann. Eswaren solche Einzelschicksale, die denReiseteilnehmern das Ausmaß desGrauens von Auschwitz erst richtignahe brachten.

Neben diesen unvergesslichen Be-gegnungen war es auch Ziel der Rei-se, die Kontakte der LGA zu polni-schen Partnern zu festigen. LeszekSzuster, Leiter der InternationalenJugendbegegnungsstätte in Oswiecim,

erläuterte das Konzept der Einrich-tung, in der Jugendliche sowie Er-wachsene aus aller Welt Auschwitz als„Lernort“ erfahren sollen. Die LGAsagte Szuster einen Zuschuss für dieFotoausstellung „Die andere Seiteder Welt“ zu. Im dazugehörigen Bild-band äußern sich KZ-Überlebendeund Jugendliche in kurzen Zitaten aufPolnisch, Deutsch und Englisch überihre Eindrücke von Auschwitz.

Vertieft wurden auch die Kontakte

Bozena Kaczmarczyk im Stammlager vor den Gedenk-tafeln mit Porträts ermordeter Auschwitz-Häftlinge

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zum StaatlichenMuseum. AndrzejKacorzyk erläu-terte das pädago-gische Konzeptdes von ihm gelei-teten neuen „In-ternationalen Bil-dungszentrumsüber Auschwitzund den Holo-caust“. Demnachsoll die auf dasJahr 1955 zurück-gehende Ausstel-lung im Stammla-ger aktualisiertwerden, wobeivor allem „derMensch“ im Mit-telpunkt stehen soll. Um die Erinne-rungen der inzwischen betagten Häft-linge auch künftig zu bewahren, wer-den zurzeit Interviews elektronischaufgezeichnet.

Zu Ehren der LGA gab es schließ-lich einen Empfang beim Bürgermei-ster von Oswiecim, Janusz Marszalek.Er sprach vor den Gästen ausDeutschland über den geplanten Ge-denk- und Versöhnungshügel, der ne-ben dem Lager entstehen soll.

Zum Abschluss der Reise ver-brachte die Gruppe einen Tag in Kra-kau, wo ein Besuch in der Ambulanzfür ehemalige Häftlinge auf dem Pro-gramm stand. Diese Institution wirdschon seit langem von der LGA unter-stützt. In Anwesenheit ehemaligerHäftlinge, darunter Jozef Paczynski,konnte Albrecht Werner-Cordt zu-

sichern, dass die LGA ihren jährlichenZuschuss von bislang 4.500 Euro auf5.000 Euro aufstocken wird.

Am Abreisetag gab es noch einenVortrag von Henryk Pierzchala in derJagiellonischen Universitätsbiblio-thek. Der emeritierte Professor derKrakauer Bergbau-Akademie undAuschwitz-Überlebende hat es sichzur Lebensaufgabe gemacht, die„Sonderaktion Krakau“ zu erfor-schen. Dabei geht es um die willkürli-che Verhaftung polnischer Professo-ren zu Beginn des Zweiten Weltkriegs.Dies löste einen so großen Sturm derEntrüstung unter Akademikern inganz Europa einschließlich Deutsch-lands aus, dass die Nationalsozialistendie Mehrheit der Inhaftierten schließ-lich wieder frei ließ (siehe S. 14).

Diese europäische Solidarität kannnoch heute als Beispiel dienen, betonte

Janusz Marszalek, Bürgermeister von Oswiecim, stellte der Grup-pe den Prospekt des geplanten Gedenkhügels vor.

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Henryk Pierzchala. InAnwesenheit rangho-her Vertreter der Berg-und HüttenakademieAGH sowie auch vonKrystyna Oleksy vomStaatlichen MuseumAuschwitz referierte erdarüber, wie der Leipzi-ger Mathematikwissen-schaftler Dr. HassoHärlen dem polnischenMathematiker Stanis-law Golab das Lebenrettete. Besonders ein-dringlich war dies we-gen der Anwesenheitder Tochter des Geret-teten, die sich ausdrück-lich den Schlussfolge-rungen von HenrykPierzchala anschloss.

Annedore SmithHenryk Pierzchala bei seinem Vortrag vor der LGA-Gruppe

In dieser perfiden und bestens do-kumentierten Vernichtungsaktion hatSS-Sturmbannführer Bruno Müller,Befehlshaber des Einsatzkommandosder Sicherheitspolizei und des Sicher-heitsdienstes der SS, am 6. November1939 insgesamt 184 Professoren, Do-zenten und akademische Assistentender Krakauer Hochschulen sowie zu-fällige Begleiter verhaften lassen,nachdem diese, seiner heimtückischenEinladung zu einem „Pseudovortrag“folgend, sich im Collegium Novum derJagiellonen Universität Krakau ver-sammelt hatten.

Sie wurden in verschiedene Kon-zentrationslager deportiert, wo 15 zu

Tode gequält und umgebracht wurden.Infolge zahlreicher internationaler

Solidaritäts- und Protestinterventio-nen erfolgte am 8, Februar 1940 dieFreilassung von 102 älteren KrakauerWissenschaftlern aus dem KL Sach-senhausen-Oranienburg, dann folgtenweitere Freilassungen der restlichenProfessoren. 15 Personen sind auf-grund der Erschöpfung von den bar-barischen Bedingungen in den Kon-zentrationslagern und wegen desKZ-Syndroms in Krakau verstorben,so dass insgesamt 30 unschuldige Ver-treter der polnischen und internatio-nalen Wissenschaft dieser barbari-schen Aktion zum Opfer gefallen sind.

Aus dem Bericht zu Prof. Pierzchalas Projekt

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Als feststand, dass bei der Studien-reise (siehe Bericht S. 8 ff) eine Begeg-nung mit der Holocaust-ÜberlebendenHalina Birenbaum stattfinden würde,holte ich zur Vorbereitung ihre Biogra-fie „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ und ei-nen Band mit Gedichten von ihr ausdem Regel hervor. Bereits nach den er-sten Sätzen erinnerte ich mich, welchtiefes Mitgefühl ich empfand, als ich ih-re Werke zum ersten Mal las. Bewun-derswert und eindringlich bringt sie ih-re Trauer zum Ausdruck, die von einergroße Güte und einem starken Glau-ben an die Menschen geprägt ist.

Halina Birenbaum wurde 1929 inWarschau geboren. Im Getto wurdeder Vater am „Umschlagplatz“ bei derDeportation von der Familie gerissen.In Majdanek wurde ihre Mutter er-mordet.Sie selbst überlebte Majdanek,Auschwitz, Ravensbrück und Neu-stadt-Glewe,wo sie 1945 befreit wurde.Zurück in Warschau findet sie ihren

Bruder wieder, den einzigen weiterenÜberlebenden ihrer Familie. Sie emi-griert 1947 nach Palästina, heiratet undwird Mutter von zwei Söhnen. Heutelebt sie in Herzlia. Wie sie zum Schrei-ben kam,berichtet sie im Vorwort ihresBuches „Die Hoffnung stirbt zuletzt“(siehe folgende Seiten).

Ich freute mich sehr Halina Biren-baum persönlich kennenzulernen. Un-vergesslich bleibt mir die Szene, als sieauf der Pritsche im Block 27 „Die Hoff-nung stirbt zuletzt“ signierte. Nachdemwir dort noch einen Augenblick alleingeblieben waren, nahm sie mich in dieArme, herzte und küsste mich. Was ichdabei empfand, drückt am tiefsten ihrGedicht „Tränen“ aus, das ich später inihrem Beisein der Gruppe vortrug.

Als bisher Unbekannte sind wir unsbegegnet, als innerlich Vertraute habenwir uns verabschiedet.Vielleicht gibt esein Wiedersehen in Israel.

Gerhard Herr

Begegnung mit Halina Birenbaum

Die nebenstehende Zeichnung stammt von demisraelischen Maler und Holocaust-ÜberlebendenDavid Tzur. Sie ist ebenso wie das Gedicht „Trä-nen“ (auf der folgenden Seite) dem Band „HalinaBirenbaum und ich“ entnommen. Neben Gedich-ten und Zeichnungen sind hier „Gedanken undInterpretationen“ von Schülerinnen und Schülerndes Albert-Schweitzer Gymnasiums und des Ge-schwister-Scholl-Gymnasiums in Marl veröffent-licht. Der kleine Band wurde 2001 von Kurt Lan-ger für den Städtpartnerschaftsverein Herzlia -Marl zum Jubiläum anläßlich des 20-jährigen Be-stehens herausgegeben (ISBN 3-8311-3908-3).Zu Halina Birenbaums Lyrik schreibt Langer imNachwort: „Zwischen den Zeilen, so schreibt sie,spüre sie den freien Atem, ein Stück Wiedergeburt,Momente ohne Todesgefahr und ohne Angst.“

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16 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

Man nennt sie bitter, beißend, erstickend.Sie brennen die Augen aus, ritzen Faltenein.Man hat Angst vor ihnen - schämt sich fürsie

Man hält sie für ein Symbol derSchwäche, weiblich.Ein Ausdruck von Unglück,Trauer,Krankheit ...Man flieht vor ihrem AngesichtMan versteckt sich mit ihnen

Das schlimmste aber ist, wenn ich sie nicht habewenn in mir die Quelle versiegt.Denn das heißt, ich fühle nicht mehr

Mich bewegt nichts mehr,ich kann mich nicht sorgen undnicht freuen ...ich kämpfe um nichts, ich gewinnenichts,ich erstrebe nichts und nichts.

Das bedeutet, dass mich nichts angeht und ich niemanden angehe.Wie ein Stein - ein lebendiger Toter.

Tränen sind unersetzlich für michIch muss ihre beißende Flamme unterdem Augenlid spürenIch muss ihre nasse, warme Spur auf denWangen fühlenDen Würgegriff, das Schütteln im Körperund rasendes Herzklopfen,das ihr Rinnen hervorruft.

Ich muss den Trost ihrer Herzlichkeitempfinden und den brennenden Schmerzihrer Bitterkeit

Aus Zorn oder ProtestIch muss sie in den Augen eines anderenMenschen sehen.Wie eine SpiegelungEcho aus der Berührung, welches in demanderen mir zuliebe geboren wird.

Tränen sind unersetzlich für michEin Schatz, eine Reinigung vom StaubAus den Wirren des Alltags, derMüdigkeit, der Erniedrigung.Das ist die Auferstehung, die Geburt.Tränen sind ÖffnungWahrheit, Leiden und GlückTränen sind die Seelemanchmal verwundet, schmerzhaft,verbittertmanchmal fröhlich strahlendaber nie versteinert.

Tränen sind unersetzlich für mich Damit ich vollends spüre Ich lebe, ich besitze ein Herz Und ich bin wirklich ein Mensch.

Übersetzung: Nea Weissberg-Bob

TränenVon Halina Birenbaum (1967)

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 17

Ich kam nach Israel, als der Kriegvon 1947 begann.Alle Leute in diesemLand kämpften damals um ihre eigeneExistenz und um das Bestehen des

Staates, der gerade erst entstandenwar. Es war keine Zeit für Erinnerun-gen, die noch so frisch waren. Ichkämpfte mit meinem täglichen Pflich-

Die Hoffnung stirbt zuletztHalina Birenbaums Aufbruch in die Vergangenheit

„Aufbruch in die Vergangenheit“ nannte Halina Birenbaum im Untertitel ihrErinnerungsbuch „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, das 1986 in Polen erschien und1989 in Deutschland (siehe Mitteilungsblatt Oktober 1994). Leider ist es derzeitim Buchhandel vergriffen.Angeregt durch die Begegnung mit Halina Birenbaumim Sommer bei der Studienreise in Auschwitz drucken wir hier das Vorwort ausder deutschen Ausgabe, die 2006 im Verlag Staatliches Museum in Oswiecim er-schienen ist. Die Übersetzung aus dem Polnischen stammt von Esther Kinsky.

Halina Birenbaum in Birkenau, dem Ort ihrer größten Demütigung

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18 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

ten und der Erfüllung der Notwen-digkeiten des alltäglichen Lebens. Dasbeanspruchte mich in einem Maße, alshätte ich nie etwas anderes gekannt,als hätte mein ganzes Leben eben hierseinen Anfang genommen. Die ganzeVergangenheit hingegen sank tief inmeine Seele hinab.

Erst der Eichmann-Prozess brach-te eine Wende in meinem Leben. Alsich im Radio die Stimme des Anklä-gers Gideon Hausner gehört hatte,wich ich keine Minute mehr von demApparat. Ich ließ meine Hausarbeitliegen, vernachlässigte meine Kinder,verrichtete nur das Allernotwendigste... und hörte den Prozess in Jerusaleman. Meine Herkunft, mein Lebenslauftauchten aus der Anonymität auf. Eswurde mir bewusst, dass ja auch ichvon irgendwoher hierhin gekommenwar, eine Familie gehabt, mit anderenMenschen gelebt hatte, auch wennjetzt weder diese Menschen noch die-ses Leben mehr existierten. Es war, alskehrte ich wieder nach Hause zurück,und durch diese merkwürdige Fügungdes Schicksals war ich mir selbst nähergekommen.

Doch in den erschütternden Aussa-gen der Zeugen fehlte etwas. Es fehlteetwas ganz Wesentliches - die Atmo-sphäre dieser unausgesetzten Bedro-hung des täglichen Lebens inmitten allder Schrecken des Krieges. Ich hattedieses Grauen fast sechs Jahre lang ein-geatmet, sechs Jahre, deren jede ein-zelne Stunde eine Ewigkeit oder dieStunde vor dem Ende war.

Meinem Mann erzählte ich Tag undNacht davon, bis er mir schließlichvorschlug: „Schreib doch ein Buchdarüber!“ Ich nahm das mit Verwun-

derung auf - und mit Schrecken. Wiesollte man das alles beschreiben? Allediese Fakten, Ereignisse, Leiden undverzweifelten Hoffnungen. Als dieseFakten, Ereignisse, Leiden und ver-zweifelten Hoffnungen. Als ich meineAufzeichnungen beendet hatte, fühlteich mich großartig: Ich hatte mich ei-ner Last entledigt! Das war es, was ichhatte tun müssen, was man von mirverlangte. Ich empfand diesen Augen-blick als den erhabensten meinesLebens.

Meine nächsten Angehörigen, ihreVergangenheit, meine Vergangenheit,die ich mit ihnen teilte, ihr Leben, ihrTod - das war nicht mehr nur meineSache. Sie waren wieder lebendig, alsseien sie bei mir.Und alle können jetztihr Schicksal erfahren, vor allem die,die mir heute am nächsten stehen:meine Kinder, ihre Freunde, meineBekannten.

Mit diesem Buch habe ich den Wegzu vielen Herzen gefunden. Ich habeFreunde in den verschiedenen Län-dern gewonnen: Erwachsene undKinder, Juden und Angehörige ande-rer Völker. Man hat mir tiefstes Ver-ständnis und Anerkennung entgegen-gebracht - ich habe nicht genug Worte,dafür zu danken. Ich habe erfahren,daß überall Menschen bereit sind zuhören und zu verstehen, wenn sichihnen ehrlich und aufrichtig ein Herzöffnet, um in Liebe und Vertrauen dieWahrheit weiterzugeben, die es in sichträgt. Diese Wahrheit wird angenom-men, so schwer und schmerzlich sieauch sein mag, ja es zeigt sich sogar,dass sie Trost und Glauben an das Le-ben spenden kann.

Halina Birenbaum

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 19

nern, sagt sie. Sie kann und willnicht vergessen. Später einmallese ich in einem ihrer Gedichte,dass sie diese Tätowierung ihreSeele nennt. Was muss passiertsein, damit fünf Zahlen einenLebensabschnitt besser beschrei-ben, als sie es jemals in Wortefassen könnte?

AuschwitzGibt es für den Irrsinn Worte?Ich finde keine.Gibt es für diesen Wahnsinn Zah-len? Eine Menge,doch sie bekom-men erst eine wahre Bedeutung,wenn man in diesem Wohnzimmerin Herzlia in Israel saß.Nur wer dieser Gastgeberin zu-gehört hat, versteht, dass hinterall diesen Statistiken,Berechnun-gen und Zahlenspielereien, dieuns bis in die Gegenwart beg-leiten, immer persönliche Schick-sale stehen. Ich habe eines davonkennen lernen dürfen!Wenn ich heute an die Shoahdenke, so erfülle ich ein altesjüdisches Dogma: sich erinnernist wichtig für das Verständnisder Gegenwart und ein verant-wortungsvolles Handeln für dieZukunft: ich hoffe, ich kann das.Wenn ich heute an die Shoahdenke, an mehrere MillionenOpfer des nationalsozialistischenTerrorregimes, an die wenigenTausend Überlebenden der Kon-zentrationslager, so denke ich an

Halina Birenbaum

Dennis Melsa, geboren 1980

(aus: „Halina Birenbaum und ich“siehe Seite 15)

Halina BirenbaumEs ist schon einige Jahre her,dassich sie das erste und zugleich letz-te Mal gesehen habe. Wenn ichmich an sie erinnern will,schließe ich die Augen und ver-suche Bilder und Eindrücke wie-der lebendig werden zu lassen,die ich noch habe an jenenHerbstnachmittag: Es ist dieNummer, an die ich zuerst den-ken muss -

Ihre NummerNoch bevor mir schemenhaft dasHaus und ihr Wohnzimmer, indem ich saß, vor meinem geis-tigen Auge erscheinen, ist es dieeintätowierte fünfstellige Zahlauf ihrem Arm, die ich immernoch deutlich vor mir sehe.

48693Warum trägt sie noch diese Num-mer am Unterarm, frage ichmich. Ich höre gebannt ihrer per-sönlichen Leidensgeschichte zu.Doch immer wieder kehren mei-ne Gedanken zu dieser Zahlen-kombination zurück.Sie hätte siedoch entfernen lassen könne!Nun, verblasst sind die Zahlenschon ein wenig, aber immernoch sichtbar.Wie kann sie damitleben?

Ihr LebenDie unvorstellbare Tragödie derShoah, in den Medien stetig wie-derkehrend, bekommt nun einGesicht. Jetzt sind es nicht mehrnur Statistiken, die sich mit deranonymen Masse der Opfer be-schäftigen, nun ist es ein wahr-haftiger Mensch, der uns einenEinblick in die Vergangenheit ge-währt.Die Nummer hilft ihr beim Erin-

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20 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

In zwei Berichten in den letztenMitteilungsblättern haben wir darge-stellt, wie sich Rechtsradikalismus ineiner Kommune entwickelt. Wie jungeNPD-Nazis agieren,wie sie ihre brauneSaat von der Gemeinde hin zum Land-kreis bis zum Bundesland verstreuen.Aber auch die Gegenbewegung in derStadt und im Landkreis wurde be-schrieben - so zum Beispiel, wie auf dieProvokationen des hessischen NPD-Vorsitzenden Marcel Wöll* hin diepolitische Spitze des Wetteraukreisesden Beschluss fasste, mit Vertreternaller demokratischen Parteien nachAuschwitz zu fahren.Der nachfolgendeBericht beschreibt diese Fahrt, die vonder Lagergemeinschaft Auschwitz -Freundeskreis der Auschwitzer (LGA)auf Wunsch der Politik organisiert wur-de. Damit sollte ein Zeichen gegen dieoffenkundige Holocaust-Leugnung undgegen die NPD-Nazis gesetzt werden.

Die Ausfälle eines Nazi-Agitateurs

Die Fahrtvorbereitung steht unterdem Eindruck einer ungeheuerlichenForderung Marcel Wölls im Kreistag,bei der klar wurde, dass er sich wenigerals Abgeordneter denn als Provokateurund Nazi-Agitateur versteht. Er hattebeantragt, Geldmittel für Jugendfahr-ten nach Auschwitz zu streichen, da inder dortigen Gedenkstätte und demMuseum die Jugendlichen einer

Wir lassen uns von den Nazis nicht provozierenBericht über eine Fahrt nach Auschwitz mit Wetterauer Politikern

„Gehirnwäsche“ unterzogen würden.Wöll bezeichnete dabei Auschwitz als„Stätte des so genannten nationalisti-schen Terrors“. Daraufhin gab es eineStrafanzeige von Abgeordneten undauch aus der Kreisspitze heraus. EineAnklage wegen Volksverhetzung standim Raum.

Die Ermittlungen der Staatsan-waltschaft gegen Wöll sind Teil derDiskussionen anläßlich eines Treffensvon Kreispolitikern, Schulsprechernund Pressevertretern, die sich auf eineStudienfahrt nach Auschwitz vorbe-reiten. Eingeladen sind auch LandratRolf Gnadl, der Vertreter des Landra-tes und erste KreisbeigeordneteOswin Veith,der KreistagsvorsitzendeBernfried Wieland sowie die Frakti-onsvorsitzenden und weitere Abge-ordnete von CDU, SPD, Grünen, FDP,FWG und Linken.Vorgestellt wird beidem Termin das Reiseprogramm, dasder Autor dieses Berichtes mit EwaGuziak und Teresa Milon-Czepiec vonder Internationalen Jugendbegeg-nungsstätte in Oswiecim/Auschwitzabgesprochen hatte.

Das Beispiel IG Farben

Den Schwerpunkt der Vorbereitungbildet ein besonders exemplarischesBeispiel,an dem sich eine unheilige undschuldhafte Kontinuität des DrittenReiches in der Nachkriegszeit und der

* Wöll ist nicht nur Landesvorsitzender der NPD in Hessen, sondern auch Kreistagsab-geordneter in der Wetterau und Stadtverordneter in der Hessentagsstadt Butzbach

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trieben“ (Farbwerke Höchst, Bayer-Leverkusen und BASF). Dort tauchenin den Vorständen schon bald nachKriegsende wieder Funktionäre auf,diebereits in Nazi-Zeiten das Sagen hatten- viele von ihnen werden mit dem Bun-desverdienstkreuz dekoriert.

Was Friedberg mit Zyklon B zu tun hat

Aus den Erklärungen am „rotenFaden“ wird nicht nur partiell klar,wie sich die Nazis etablieren und ver-brecherisch agieren konnten,es zeigensich auch die Versäumnisse der BRD.Es gibt eine durchgängige Linie vonden Alt-Nazis zu den Neu-Nazis.

Die Betroffenheit der WetterauerPolitiker und Politikerinnen ist nachzwei Stunden groß, es gibt gezielteNachfragen und den Wunsch nachmehr Informationen. Im Namen der

heutigen Bundesrepublik verdeutli-chen läßt: Die „IG-Farben-Auschwitz“ist nicht nur ein Thema der Geschichte,sondern höchst aktuell. Zusammenge-faßt ergeben sich daran folgende Stich-worte als „roter Faden“: Das Militärdefiniert die Produktionsprozesse in derGroßindustrie, die Industrie definiertdie Firmenkonzentrierung (sog. Inter-essengemeinschaft), die Nazis definie-ren, welche „Arier“ einen solchenBetrieb leiten dürfen und welche Rolleer in Auschwitz spielt (Monowitz), dieNazis definieren die begleitendenGesetze (z. B. Reichwirtschaftsenergie-gesetz von 1935), die Bundesrepublikdefiniert die Nichtnotwendigkeit einerrelevanten Gesetzesnovellierung undläßt den Naziwortlaut des Gesetzes bis1998 (!) genauso bestehen, wie dieReste der IG-Farben und die Struktu-ren in den entflochtenen „Nachfolgebe-

Kranzniederlegung vor der „Todeswand“ im Hof von Block 11: Landrat Rolf Gnadl, Kreis-tagsvorsitzender Bernfried Wieland,Erster Kreisbeigeordneter Oswin Veith,Diethardt Stamm

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22 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

LGA wird das neue Buch „Zyklon B“von der gleichnamigen Forschungs-gruppe in Dessau, die auch unser Part-ner ist,übergeben.Mit Zyklon B expe-rimentierte erstmals die SS im Herbst1941 an der Ermordung von Men-schen. Produziert wurde das Giftgasvon der Firma Degesch, an der die IGFarben große Anteile hatte. Über eineMillion Juden,Sinti und Roma,sowjet-ische Kriegsgefangene, Zeugen Jeho-vas und weitere Verfolgte des Nazire-gimes wurden mit Zyklon B ermordet.

Das Buch „Zyklon B“ weistschließlich auch auf Zerstörung derDegesch-Bürozentrale in Dessau imKrieg hin und auf die Umsiedlung anden neuen Standort Friedberg - dieKreisstadt der heutigen Wetterau.Inwieweit die Schreibtischmörder derDegesch eventuell direkt an der Kai-serstraße in Nähe der heutigen Kreis-verwaltung am Europaplatz arbeite-ten, muss noch recherchiert werden.Die Teilnehmer des Vorbereitungs-seminars erkennen aber die Zusam-menhänge und den örtlichen Bezug.Die erwünschte Motivation ist ge-weckt. Am 7. August - drei Tage vorder Abreise der Politiker und Schülernach Auschwitz - steht der Nazi Wöllvor Gericht. Unter dem Eindruck desUrteils (siehe Bericht auf Seite 23)fliegt die Politikergruppe am 10.August nach Polen.

Die Arbeit der Internationalen Jugendbegegnungsstätte

Vom Flughafen in Katowice gehtes direkt in die Internationale Jugend-begegnungsstätte in Oswiecim (derName Auschwitz wird nur noch für das

Lager benutzt, um die Verantwortlich-keit der Deutschen zu verdeutlichen).Untergebracht sind die Fahrtteilneh-mer im nahegelegenen „Zentrum fürDialog“. Hier finden in 500 MeternEntfernung vom Lager Begegnungenzwischen Jugendlichen Erwachsenen,Rabbinern und Priestern statt. Manspricht davon, dass es fast immer dieBegegnungen von Verletzten seien.„Juden sind von der Erinnerung anden Versuch totaler Vernichtung ver-letzt, Polen von der wiederholten Ver-gewaltigung durch Mächtigere, Deut-sche durch die Schuld in ihrerGeschichte“ heißt es in einer Schriftdes Zentrums.

Leszek Szuster, Direktor der Internationa-len Jugendbegegnungsstätte Oswiecim

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 23

zent von ihnen gelinge es, ihre nazisti-sche Weltanschauung ins Wanken zubringen. Insofern lohne sich der Auf-wand, meint Szuster. Der NPD-NaziWöll kommt da wieder ins Spiel, undes wird diskutiert,ob man dem Richterim Berufungsverfahren nicht empfeh-len sollte, Wöll auf eigene Kostenunter der Regie der Lagergemein-schaft in Auschwitz mit seiner Holo-caust-Leugnung zu konfrontieren.Szuster würde ihm sogar kostenlos

In der Jugendbegegnungsstättegibt es einen herzlichen Empfang beiDirektor Leszek Szuster. Er berichtetüber die Gründung der Stätte vor 20Jahren, ihrer Entwicklung, den heuti-gen Unterhalt von einem deutsch-pol-nischen Kuratorium und den Pro-grammen, die für viele Gästegruppendurchgeführt werden.Dazu zählt auchein Workshop, in dem Rechtsradikalemit Auschwitz und dem Völkermordkonfrontiert werden. Bei rund 50 Pro-

Am 7. August steht der Wetterauer Nazi Marcel Wöll vor Gericht. DasInteresse der Bevölkerung ist genauso groß wie das Bedürfnis des Gerich-tes nach Sicherheit. Jeder Besucher des Gerichtsverfahrens wird einer Kon-trolle unterzogen.Der Richter verweist auf das lange Vorstrafenregister desAngeklagten, meist wegen Körperverletzung. Die FAZ schreibt vom Bie-dermann,der die Maske habe fallen lassen,und vom Rechtsextremisten,derunter Beweis gestellt habe, „dass seine Partei nicht dem demokratischenGrundkonsens dieses Staates gerecht wird“.

Dem Angeklagten Wöll stehen zwei Rechtsanwälte zur Seite. Sie spre-chen von einem „Lapsus“ und „Versprechen“. Der Staatsanwalt fordertsechs Monate Gefängnis ohne Bewährung. Der Richter sagt deutlich, dassdie Äußerungen des Nazi Wöll nur das Schluss zulassen, „dass der Massen-mord an den Juden geleugnet werden sollte“. Der Urteilsspruch lautet aufvier Monate Haftstrafe ohne Bewährung.

Das Urteil wird von den Teilnehmern der Auschwitzfahrt positiv aufge-nommen. Landrat Gnadl kommentiert: „Die Demokratie hat sich als wehr-haft erwiesen. Die verfassungsmäßigen Organe das Staates haben gezeigt,dass sie sich gegen Angriffe auf unsere demokratisch pluralistische Gesell-schaft zu wehren wissen“. Und der erste Kreisbeigeortnete Oswin Veithergänzt: „Herr Wöll hat genau gewusst, was er sagt, jetzt hat er die Konse-quenzen für seine Äußerung zu tragen“.

Es werden auch Forderungen laut,Wöll doch für sechs Monate hinter Git-ter zu bringen.Die Gelegenheit könnte sich noch ergeben,denn Wölls Rechts-anwalt Dirk Waldschmitt, der auch stellvertretender NPD-Landesvorsitzen-der ist, legt Rechtsmittel gegen das Urteil ein.Am Ende des Jahres soll es zueiner neuen Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht Gießen. kommen.

Nazi Wöll schuldig gesprochen

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24 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

eine Unterkunft in der Jugendbegeg-nungsstätte zur Verfügung stellen.

Die Wetterauer Gäste waren auchdabei, als eine deutsch-polnisch-israe-lische Fotoausstellung eröffnet wurde.Themen aus dem Lager Auschwitz undaus der Stadt Oswiecim wurden vonjungen Leuten unter Beteiligung desehemaligen Häftlings und Lagerfoto-grafen Wilhelm Brasse ausgewählt.Bemerkenswert ist dabei, dass jungeJuden auch in der Begegnungsstätteschlafen. Für ältere Juden sind dasLager und die umliegende Stadt eineEinheit als der größte Friedhof derWelt. Auch dieses Detail löst bei derWetterauer Reisegruppe Betroffen-heit aus.

Landrat Gnadl betont denn auchin einer Rede gegenüber Szuster,welch wichtigen Beitrag die Jugendbe-gegnungsstätte zur „wehrhaftenDemokratie“ leiste. Es wird verein-bart, dass die anlässlich des 20-jähri-

gen Bestehens konzipierte Wander-ausstellung „Die andere Seite derWelt“ im nächsten Jahr in der Wet-terau gezeigt werden soll. Auch derKreisbeigeordnete Bernfried Wielandsieht durch die Arbeit von Szuster die„Gehirnwäsche-Aussagen“ des NazisWöll „erfolgreich konterkariert“.Under sieht „die Menschlichkeit geför-dert“.

Begegnung mit Kazimierz Albin,Auschwitz-Häftling Nr. 118

Am zweiten Tag der Reise steht dieBesichtigung des Stammlagers inAuschwitz unter der kundigen Leitungvon Jerzy Debski an. Er ist der LGAaus vielen Führungen als exzellenterKenner und verständnisvoller Beglei-ter bekannt.Viele Einzelheiten erklärter beim Rundgang durch die Blocks.An der Todeswand des Blocks 11 hältder Kreistagsvorsitzende Bernfried

Kazimierz Albin im Gespräch mit Diethardt Stamm

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 25

Wieland eine bewe-gende Rede undlegt gemeinsam mitdem Landrat, demErsten Kreisbeige-ordneten und Diet-hardt Stamm einenKranz nieder.

Am Abendkommt der ehema-lige Auschwitz-Häftling KazimierzAlbin,der auch Mit-glied der Lagerge-meinschaft ist, ausWarschau angereist. Der Pole mit derHäftlingsnummer 118 stellt seinbewegtes Leben ab 1939 dar. Erbenutzt dazu seine Muttersprache undmuss nicht nach deutschen Worten rin-gen.Ab und zu rutscht ihm ein „Lager-wort“ oder ein abgehackter Befehl derSS heraus. Die feinfühlige Überset-zung mit ihren vielen emotionalenFacetten besorgt Elzbieta Stamm.

Dem Vortrag von Albin hörenauch junge Leute der antifaschisti-schen Initiative Berlin-Moabit zu.Drei Stunden lang könnte man dasFallen einer Stecknadel bemerken.Plastische Schilderungen aus denTagesabläufen hinterlassen bei allenZuhörern einen tiefen Eindruck. AmEnde wird Albin gefragt, was er jetztgegenüber den Deutschen fühle. Erverweist spontan auf seine Freundebei der Lagergemeinschaft,viele ande-re Begegnungen mit Deutschen undseine Reisen als Zeitzeuge nachDeutschland. „Die Deutschen sindnicht mehr meine Feinde“, sagt er.Und nachdem ihm der WetterauerLandrat nach einem herzlichen Dan-

keschön ein Präsent überreicht, um-armt er ihn spontan. Viele der Anwe-senden haben sich vorher sein Buch„Steckbrieflich gesucht“ besorgt undwollen nun von ihm - diesem die Her-zen erobernden Mann - eine Widmunghaben.Auch das macht Albin trotz sei-ner 85 Jahre und dem späten Abend inRuhe mit einem Lächeln.

Knochensplitter an den Tümpeln von Birkenau

Mit der Voreinstimmung durch diegleichermaßen eindringlichen wiemahnenden Worte von KazimierzAlbin startet die Wetterauer Besuchs-gruppe einen Tag später nach Bir-kenau.Wieder führt Jerzy Debski. DieEindrücke, die viele von der LGAorganisierte Gruppen haben, werdendieses Mal durch eine Besonderheitverstärkt. Wochenlange Trockenheithat den Wasserstand in den Tümpelnmit der Asche der Ermordetenzurückgenommen. Die Ränder derTümpel sind übersät mit unendlichvielen zwei bis drei Millimeter großen

Oswin Veith auf dem Gelände des Vernichtungslagers Birkenau

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von der Sonne gebleichten Knochen-splittern, die sich fast weiß von derbraunen Erde abheben. Einige in derGruppe verharren nachdenklich alleinbei diesem Anblick. Wie viele Men-schenschicksale verbergen sich aufdem Zeugnis von ein paar Quad-ratzentimetern? Wie kann da ein Mar-cel Wöll in der Wetterau den Holo-caust leugnen?

Die Gruppe verlässt danach füreinige Stunden die GedenkstätteAuschwitz zu einem Besuch in derStadt Oswiecim. Ein junger Mann alsFreiwilliger für die Aktion Sühnezei-chen führt durch die einzige wiedererrichtete Synagoge und erläutertRituale und das ehemalige Leben derJuden in der Stadt. Heute gibt es keinejüdische Gemeinde mehr.

Im Archiv der Gedenkstätte

Am Abend erwartet der deutscheGeneralkonsul Dr. Thomas Gläser,der auch LGA-Mitglied ist, die Wet-

26 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

terauer.Er ist von seinem Dienstsitz inKrakau angereist und spricht über dietägliche Praxis der deutsch-polnischenBeziehungen. Diese stellt er in einemviel besseren Licht dar, als es überunsere Medien geschieht. Er beklagtallerdings auch die erschreckendeUnkenntnis der meisten Deutschenüber die polnischen Nachbarn. DieFrage nach polnischen Dichtern oderWissenschaftlern bleibe oft unbeant-wortet. Dr. Gläser ist über die LGAgut über die Hintergründe der Reiseder Kommunalpolitiker informiertund lobt die Aktivitäten gegen rechts.Er zeigt sich über die erhöhtenZuschüsse für Schülerfahrten nachAuschwitz beeindruckt und bezeich-net den Widerstand gegen die rechts-radikale NPD als vorbildlich. Gernewill er weitere Gruppen aus der Wet-terau im Generalkonsulat in Krakauempfangen.

Am letzten Tag lässt es sich KrystynaOleksy, die stellvertretende Gedenk-stättenleiterin und Direktorin desInternationalen Zentrums für Bildungüber Auschwitz und den Holocaust,nicht nehmen, die Gruppe zu empfan-gen. Sie berichtet über die Arbeit derGedenkstätte und über die jahrzehnt-lange Zusammenarbeit mit der Lager-gemeinschaft. Sie erwähnt die Unter-stützung bei der Renovierung vonSkulpturen und bei Gussabdrücken inBronze, die noch zu Zeiten vonHermann Reineck - dem ehemaligenKZ-Häftling und Gründer der Lager-gemeinschaft - durch Spenden derLGA ermöglicht wurden. Im Rahmeneiner besonderen Ehre dürfen dieBesucher aus der Wetterau das Kunst-archiv im Lager besuchen. Für dieGeneralkonsul Dr. Thomas Gläser

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 27

Lagergemeinschaft ist dies unteranderem ein Anlass, der Gedenkstättewieder eine größere Geldsumme füreine weitere zweckgebundene Aktionin Auschwitz in Aussicht zu stellen.

Die Nachbereitung

Nach der Heimreise gibt es in vie-len Zeitungen eine umfassendeBerichterstattung über die Ereignisseder Fahrt. Der Journalist ThomasKopp und der Kommunikationsleiterdes Wetteraukreises, Michael Elsaß,die beide die Fahrt begleiten, versor-gen die Medien mit umfassendenInformationen und Hintergrundmate-rial. Die LGA bewertet die Fahrt ineiner Presseerklärung als sehr positiv.

Wenige Tage später fordert derStaatsanwalt im Rahmen des Beru-fungsverfahrens gegen den NPD-NaziWöll die Haftstrafe von vier auf sechsMonate ohne Bewährung zu erhöhen.Gleichzeitig läuft ein neuer Prozeß

gegen Wöll an, wieder einmal wegenGewalttätigkeiten.

Die Förderung von Studienfahrtennach Auschwitz wird erweitert

Abschließend gibt es Ende Augustein Nachbereitungstreffen in Kreis-haus. Dort werden die Tätigkeiten derLagergemeinschaft gelobt. ElzbietaStamm erhält für ihre Dolmetscher-tätigkeiten und die Organisation „hin-ter der Kulissen“ das Wetterauer T-Shirt mit Schal aus der Hand vonLandrat Rolf Gnadl. Auch DiethardtStamm wird gewürdigt. Wichtig sindaber die Beschlüsse der Runde. Allesind sich einig, dass Schülerfahrten inGedenkstätten des Nationalsozialis-mus weiter gefördert werden müssen.„Jeder weitere Antragsteller be-kommt Geld“, sagt der stellvertre-tende Landrat und Kämmerer OswinVeith. Es wird festgestellt, dass dieSummenverdopplung im WetterauerHaushalt aufgrund vieler neuer An-träge nicht ausreicht und aktuell schonder dreifache Betrag ausgegeben sei.Angesprochen werden Möglichkeitender Mittelbeschaffung über die Lan-des- und Bundeszentrale für politischeBildung (u.a. kostenlose Bücher)sowie Möglichkeiten der Lehrerfort-bildung.

Die Fahrt nach Auschwitz erweistsich als das, was auf der Kranzschleifeder Gruppe am Todesblock 11 sinn-gemäß steht: „Mahnung und Ver-pflichtung zugleich“. Die demokrati-schen Kreistagspolitiker werdenbeiden Forderungen gerecht.

Diethardt Stamm

Landrat Rolf Gnadl bedankt sich beiKrystyna Oleksy

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auf, dass die Demokraten sich zu weh-ren wüssten. Der ehemalige Häftlingaus dem ersten polnischen Transportnach Auschwitz, Kazimierz Albin, mitdem die Politikergruppe zusammengetroffen war und der über seine Er-lebnisse in dem Konzentrations- undVernichtungslager sprach, bekräftigteebenso diese Anliegen und sprach vongefährlichen Aktivitäten der NPD in-und außerhalb der Parlamente inDeutschland. (...) „Wir haben gernedie Fahrt nach Auschwitz organisiertund begleitet und sind uns sicher, dassdies den Politikern viele Argumenteim Kampf für die Demokratie gelie-fert hat“, sagte Diethardt Stamm.

Lagergemeinschaft Auschwitz bewertet Politikerfahrt nach Auschwitz positiv

Artikel (Auszug) aus der Butzbacher Zeitung vom 24.August 2007

BUTZBACH (pe). Nachdem dieLagergemeinschaft Auschwitz die poli-tische Kreisspitze des Wetterauerkrei-ses und Vertreter aller demokratischenParteien im Kreisparlament zu einer In-formations- und Gedenkreise nachAuschwitz begleitet hat, weist der Vor-stand auf die Vorbildlichkeit dieser Ak-tion hin. Die Demokraten hätten par-teiübergreifend gemeinsam auf dieProvokation der rechtsradikalen NPDim Kreistag und deren faschistischeUmtriebe und gewaltsame „Argumen-te“ reagiert. ... Die Fahrt der Politikernach Auschwitz und die vielen Gegen-aktionen in der Wetterau machtennicht nur Mut, sondern zeigten auch

Die Tageszeitungen berichteten ausführlich über die von der Lagergemein-schaft organisierten Informationsreise der Wetterauer Kreispolitiker

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 29

Bislang kamen Wissenschaftler undInteressierte, die zum Schicksal einzel-ner Holocaustopfer forschten, relativschnell an ein Ende: Zu vielen Men-schen, die dem Nazi-Terror zum Opferfielen, ließen sich nur we-nige, häufig gar keine Da-ten ermitteln. Vielfachmussten daher Darstel-lungen vage bleiben, oftwaren sie gar voller Feh-ler, die sich auch beiäußerster Vorsicht nichtvermeiden ließen, da dieQuellenlage schlecht war.Daher waren die Hoff-nungen groß, als die vie-len Initiativen, die seit ge-raumer Zeit darauf ge-richtet waren, das Archiv des Interna-tionalen Suchdienstes (ISD) des RotenKreuzes in Bad Arolsen auch für dieForschung zu öffnen, endlich zum Er-folg gelangten: Der ISD wurde gegrün-det, um Auskunft über das Schicksalvon Verfolgten des NS-Regimes zu ge-ben und Familien wieder zusammen zuführen. Zugang hatten bislang nur dieBetroffenen selbst und ihre Angehöri-gen, 2006 wurden jedoch die so ge-nannten Bonner Verträge, die u.a. dieArchivbenutzung regeln, überarbeitet.

Mit Frankreich und Griechenlandhaben nun die letzten beiden der betei-ligten Länder die Änderungen ratifi-ziert, jedoch sind die schriftlichen Noti-fizierungen (bis zum Redaktionschlussdieses Mitteilungsblattes) noch nicht

beim Auswärtigen Amt in Berlin einge-gangen, wie der ISD auf Anfrage mit-teilte. Obwohl dieser bürokratischeProzeß noch nicht ganz abgeschlossenist, so arbeitet der ISD doch schon mit

Wissenschaftlern zusam-men. Und diese ersten Ar-beiten lassen erahnen, wiesehr die Öffnung der Ar-chive die Arbeit in Zu-kunft verändern und ver-bessern wird. Sobald allebeteiligten Staaten absch-ließend zugestimmt ha-ben, haben Historiker Zu-gang zu über 30 MillionenDokumenten - u.a. ausden Konzentrationslagernsowie zur Korrespondenz

zwischen Staaten oder Privatpersonenund dem Suchdienst, die älter als 25Jahre ist. Der ISD wird die Daten auchden nationalen Archiven zugänglichmachen, schon jetzt laufen die Vorbe-reitungen dafür auf Hochtouren.

Die Entstehung des Internationalen SuchdienstesUm die Bedeutung des ISD-Archivs

richtig zu begreifen, muss man zu-nächst freilich in dessen wechselvolleGeschichte schauen: Bereits im Jahr1943 wird auf Initiative des Haupt-quartiers der Alliierten Streitkräftebeim Britischen Roten Kreuz in Lon-don die Abteilung für InternationaleAngelegenheiten zu einem Suchdienstausgebaut, der mit der Registrierung

Vom Suchdienst zum ForschungsarchivDas Archiv des Internationalen Suchdienstes des DRK

in Bad Arolsen soll bald auch für die Forschung geöffnet werden

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30 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

von Verschollenen und ersten Ermitt-lungen beginnt. Im gleichen Jahr nochbegreifen die Alliierten, dass dasnahende Ende des Krieges genauereErhebungen über die Situation derZwangsarbeiter und Flüchtlinge inMitteleuropa nötig macht. Daher über-nimmt das SHAEF (Supreme Head-quarters Allied Expeditionary Forces)am 15. Februar 1944 die Arbeiten desZentralen Suchbüros und verlegt denStandort - jeweils der Front folgend -von London nach Versailles und an-schließend nach Frankfurt am Main,um dort den elementaren Bedürf-nissen der befreiten Häftlinge undDeportierten besser gerecht werdenzu können.

Da die Massen an Flüchtlingennicht sofort repatriiert werden kön-nen, werden Sammellager gebildet, umvon dort aus die Heimführung derÜberlebenden zu organisieren. Biszum 30. Juni 1947 ist es die UNRRA(United Nations Relief and Rehabili-tation Administration/Hilfs- und Wie-deraufbauorganisation der VereintenNationen), die die Versorgung undRückführung von Millionen nichtdeutscher Flüchtlinge organisiert.

Bereits im Januar 1946 wird diehumanitäre Institution nach Arolsenverlegt, da der Ort etwa im geografi-schen Mittelpunkt der damaligen vierBesatzungszonen liegt und über eineintakte Infrastruktur verfügt. Ab Juli1947 übernimmt die IRO (Internatio-nal Refugee Organization/Internatio-nale Flüchtlingsorganisation) das Zen-trale Suchbüro, das ab dem 1. Januar1948 unter dem noch heute gültigenNamen „International Tracing Service- ITS“ seinen Aufgaben nachgeht.

Im April 1951 geht die Leitung andie HICOG (Allied High Commissionfor Germany/Alliierte Hochkommis-sion für Deutschland) über, 1955 dann- nachdem der Besatzungsstatus inDeutschland aufgehoben wurde -übernimmt ein Internationalen Aus-schuss unter Leitung des IKRK (Inter-nationales Komitee vom Roten Kreuz)in Genf die Aufsicht über den ISD/ITS.

Künftige Nutzungsbedingungen stehen bereits im Internet

Am 16. Mai 2006 wurde nun dielang ersehnte Änderung der BonnerVerträge beschlossen, um Informatio-nen aus den Archiven künftig auch derForschung zugänglich zu machen. Vorwenigen Wochen war der Leiter desISD, Reto Meister, bereits in Washing-ton, um erste digitalisierte Datensätzedem US-Holocaust Memorial Museumzu übergeben. Anlässlich dieses Ereig-nisses erläuterten die beiden Institutio-nen in einer gemeinsamen Erklärungdie augenblicklichen Schwierigkeitenbei der Digitalisierung: „Zwar ist dieÜbergabe ein wichtiger erster Schritt,doch ist die Herausforderung, Zugangzum Material zu schaffen, sehr groß. Inihrem derzeitigen Zustand lässt sich diegroße Mehrheit der Archivmaterialien,die mehr als 50 Millionen digitalen Ima-ges der Karten in der Zentralen Namen-kartei eingeschlossen, nicht mittels einerSuchmaschine, beispielsweise des TypsGoogle recherchieren. Zwar gibt es vie-le der ITS-Dokumente jetzt auf digita-lem Träger, doch ist die überwiegendeMehrheit der in ihnen enthaltenenInformationen nicht in einer such-fähigen Datenbank indiziert worden.Informationen über eine Einzelperson

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 31

die Homepage des ISD im Auge behal-ten (www.its-arolsen.org), auch eineentsprechende Mailadresse ist bereitseingerichtet: [email protected](für Betroffene und ihre Angehörige,die weiterhin jederzeit Zugang haben,gilt die Adresse: [email protected]). Bereits jetzt stehen die Nutzungs-bedingungen online - sich vorab zu in-formieren, lont sich in jedem Fall.

Sascha FeuchertDer Autor ist Mitbegründer und stell-vertretender Leiter der ArbeitsstelleHolcaustliteratur an der Justus-Lie-big-Universität Gießen.

im Archivmaterial zu finden, ist einkomplexer, zeitaufwändiger Prozess,sogar für Personen mit eingehenderSchulung und jahrelanger Erfahrung.“

Beim ISD geht man davon aus, dassder Abschluss der formellen Ratifizie-rung mit dem Eingang der noch letztenfehlenden schriftlichen Notifizierun-gen beim deutschen Außenministe-rium noch in diesem Jahr bestätigtwird. Dann können zu Beginn des Jah-res 2008 die Archive für die wissen-schaftliche Forschung geöffnet werden.

Dafür ist der ISD bereits bestensvorbereitet: Forscher sollten unbedingt

Die Verbrechen während der deut-schen Besatzung Griechenlands sind inDeutschland ohne jede rechtliche Kon-sequenz geblieben. Keiner der Täterstand vor Gericht, die meisten Opferwurden niemals entschädigt. Die Bun-desregierung behauptet, mit einer ein-maligen Zahlung von 115 MillionenDM im Jahr 1961 sei alles erledigt. Die-ser Betrag deckt aber noch nicht einmalim Ansatz die Schulden der BRD ge-genüber Griechenland ab.

Die kategorische Weigerung auch

Keine Entschädigung für SS-Opfer in DistomoBundesverfassungsgericht weist Beschwerde zurück

Für Touristen ist Griechenland vor allem ein schönes Urlaubsziel.Von der jüngerenGeschichte, insbesondere der deutschen Besatzung während des zweiten Welt-kriegs,wissen die meisten nur wenig.Ortsnamen wie Distomo,Kalavrita und Kom-meno standen jahrelang in keinem Reiseführer. Sie stehen jedoch beispielhaft fürdie nationalsozialistischen Verbrechen an der Zivilbevölkerung und die Erinnerungan das erfahrene Leid.* So wie Lidice in Tschechien und Oradour in Frankreich.

* So nadir, ein „Informationssystem zulinker Politik und sozialen Bewegun-gen in Internet“ - www.nadir.org

Gedenkfeier am 60. Jahrestag des Massa-kers in Distomo Foto: www.nadir.org

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32 Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

mischt sich die Erinnerung an eine derschlimmsten Nazi-Gräueltaten inGriechenland während des ZweitenWeltkrieges. Ende 1943 nahmen Par-tisanen 81 deutsche Soldaten gefangenund töteten sie, als Besatzungskräftesie befreien wollten. Die deutschenTruppen trieben daraufhin am 13. De-zember in Kalavrita alle männlichenDorfbewohner ab 14 Jahren zusam-men und erschossen sie mit Maschi-nengewehren. Die Zahlenangabenüber die Opfer in dem Dorf und denumliegenden Ortschaften schwankenzwischen 676 und mindestens 1.436.

Die Schmalspurbahn windet sichdurch die enge Schlucht des tosendenVuraikos. Beiderseits ragen steile Fels-wände empor,es geht durch Tunnel undvorbei an rauschenden Wasserfällen.Mit dem Einrasten der Zahnräder be-ginnt der Aufstieg. Nach etwa einerStunde Fahrt und 700 Metern Höhen-unterschied tauchen auf einer grünenHochebene die ersten Häuser vonKalavrita auf.

Das abgelegene Bergdorf im Nor-den des Peloponnes ist heute ein be-liebter Ferienort vor allem für Athe-ner. Doch in die Idylle der Landschaft

Die Zeit steht für immer still auf der Uhr von Kalavrita

Griechisches Bergdorf war Schauplatz eines Kriegsmassakers

nur in Verhandlungen einzutreten,führ-te zu einer Welle von Klagen gegen dieBundesrepublik Deutschland,vor allemvor griechischen Gerichten. Im FallDistomo gelang dabei ein spektaku-lärer Erfolg. Deutschland wurde 2000vom obersten griechischen Gerichtshofrechtskräftig zur Zahlung von ca. 28Millionen Euro verurteilt.Gezahlt wur-de jedoch nicht. Mit politisch-diploma-tischem Druck wurde die griechischeRegierung erfolgreich genötigt, dieVollstreckung aus dem Distomo-Urteilgegen Deutschland zu unterbinden.

Im Sommer dieses Jahres wies dasBundesverfassungsgericht in Karlsruhevier Beschwerden von Angehörigen derOpfer zurück. Das Massaker wurdenicht als Verbrechen gewertet, sondernals Kriegshandlung,für die ein Entschä-digungsanspruch Einzelner nicht beste-

he.Der Anwalt der Kläger kündigte an,den Fall vor den Europäischen Ge-richtshof für Menschenrechte in Straß-burg zu bringen. Er kritisierte die Ent-scheidung als „Fehlinterpretation“.DieKarlsruher Richter setzten damit „dieVerweigerung einer Entschädigung na-tionalsozialistischer Verbrechen fort“.Das Haager Abkommen von 1907 ge-währe individuelle Schutzrechte.

Die vier inzwischen 66 bis 73 Jahrealten Beschwerdeführer lebten als Kin-der im griechischen Ort Distomo. Dortkam es 1944 zu Kämpfen zwischen dendeutschen Besatzungstruppen und Par-tisanen.Als „Vergeltung“ erschoss eineSS-Einheit am 10.Juni 1944 mehr als 200unbeteiligte Bewohner und brannte dasDorf nieder. Unter den Opfern warendie Eltern der Beschwerdeführer.

Hans Hirschmann

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Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer 33

nach sind höchstens alte Menschennoch verbittert über die Ereignissewährend des Zweiten Weltkriegs.AlteMenschen in Kalavrita - das sind fastausschließlich Frauen.Viele von ihnenhaben nie geheiratet, denn in den er-sten Jahren nach dem Massaker sindnur wenige Männer zugezogen. Dieoftmals verhärmten Gesichter dieseralten Frauen verdeutlichen mehr alsalle schriftlichen Dokumente,wie sehrihr Leben von der Gräueltat der deut-schen Besatzer zerstört wurde.Und siewerden auch zu Recht wütend seinüber das Gerichtsurteil,das ihnen eineEntschädigung nach all den Jahren im-mer noch versagt.

So bleibt dem Besucher von Kala-vrita auch stets der Spruch in Erinne-rung,der unter besagter Uhr am Kirch-turm in griechischer und englischerSprache in den Stein gemeißelt ist:„Die Stunde der Zerstörung hat eineNarbe auf der Zeit hinterlassen.Die ste-hende Uhr wird immer die genaue Stun-de anzeigen, zu der die Katastrophe mitTod, Blut, Feuer, Schmerz und Klagenbegann.“

Annedore Smith

Eine Uhr an der Kirche von Kala-vrita steht noch heute auf 02.34 Uhr - zudieser Zeit begann das Massaker. Deroberhalb des Ortes gelegene Berghang,an dem die Exekutionen stattfanden,wurde zur Gedenkstätte mit einemweithin sichtbaren weißen Kreuz. AmFuße des Hangs erinnern fünf ocker-farbene Betonstelen an die Ereignissedes 13. Dezember 1943. Sie zeigen vorallem die Namen der jüngsten Opfer imAlter zwischen 14 und 18 Jahren. Er-schütternde Gedichte und Widmungenbeklagen das Geschehen. Neben der inden Berg gebauten kleinen Kapelleprangen die weißen griechischenSchriftzeichen „Ochi pia Polemoi - Eiri-ni“ (Nie wieder Krieg - Frieden).

Zur Besichtigung der Gedenkstättekommen gelegentlich auch deutscheTouristen nach Kalavrita. Sie besuchendann auch die beiden Klöster in derUmgebung - Agias Lavras, von wo miteinem Aufruf des Bischofs Germanosim Jahre 1821 der Befreiungskampf derGriechen gegen die Türken seinen Aus-gang nahm, und Mega Spileon. DessenMönche waren die ersten Opfer derVergeltungsaktionen der Deutschen imDezember 1943.

Gleichwohl hat manals Deutscher nicht denEindruck, in Kalavritaunfreundlich empfangenzu werden. „Wir sind heu-te alle in der Europäi-schen Union,und die Ver-gangenheit liegt langehinter uns“, sagt DimitrisMichalopoulos, der mitseinem Bruder Nikolaosdas Hotel „Anesis“ be-treibt. Seiner Ansicht Die Gedenkstätte in Kalavrita

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Außerordentliche Mitgliederversammlung

Zug der Erinnerung fährt nach Auschwitz

Ausstellung „Legalisierter Raub“ in Limburg

Der Vorstand der Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzerlädt für Samstag, 23. Februar 2008, 15 Uhr zu einer außerordentlichen Mitglieder-versammlung ein. Sie findet im Ökohaus der Technikerschule, Emil-Vogt-Str. 8 in35510 Butzbach statt. Auf der Tagesordnung steht die Diskussion über eine neueVorstandsstruktur (siehe S. 2 dieses Mitteilungsblattes) sowie die Neuwahl desVorstandes.Den Mitgliedern geht noch eine schriftliche Einladung zu.Wir weisendaraufhin, dass auch Freunde und Interessierte herzlich willkommen sind.

Die Wanderausstellung des Fritz-Bauer-Instituts und des Hessischen Rundfunks„Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 -1945“ wird vom 11. Januar bis zum 24. Februar in den Kunstsammlungen der StadtLimburg, Fischmarkt 21, gezeigt. Anmeldung für Führungen: Telefon (06431)203257. Informationen im Internet: www.legalisierter-raub.hr-online.de

Eine mobile Ausstellung auf Schienen hältdas Gedenken an die von Nazi-Deutsch-land deportierten Kinder wach. In denWaggons sind ihre Lebensgesschichtenund Deportationswege dokumentiert.Dasvon dem Verein „Zug der Erinnerunge.V.“ organisierte Projekt geht auf eineIdee von Beate Klarsfeld zurück, die miteiner Ausstellung an die Deportation von11.000 jüdischen Kindern aus Frankreicherinnern wollte. Diese Dokumentationdurfte auf deutschen Bahnhöfen bisher nicht gezeigt werden. Auch am „Zug derErinnerung“ hat sich die Deutsche Bahn nicht beteiligt,Gleise und Strom muss derVerein bezahlen, Lokomotive und Waggons sind gemietet. Der Zug wird in vielenStädten Station machen und soll am 27. Januar 2008 in Auschwitz eintreffen. Infor-mationen im Internet unter „www.zug-der-erinnerung.eu“.

Impressum:Herausgeber: Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer

Freiherr-vom-Stein-Straße 27, 35516 Münzenberg Internet: www.lagergemeinschaft-auschwitz.de

Redaktion : Hans Hirschmann, Tel. (06101) 32010, Annedore Smith,Albrecht Werner-Cordt

Bankverbindung: Sparkasse Wetterau (BLZ 518 500 79) Konto-Nr.: 20 000 503Bei Spenden bitte Adresse deutlich schreiben, damit die Bescheinigung für die Steuererklärung zugeschickt werden kann.

Titelfoto:Ausstellung in der ehemaligen Sauna in Birkenau Foto:Paul Petzold